Anhörung im Gesundheitsausschuss

Juristen zerpflücken Koalitionspläne für Corona-Notbremse

Übereilt, unverhältnismäßig, unwirksam: Rechtswissenschaftler sparen nicht mit Kritik am Gesetzentwurf der Koalition für eine „Bundes-Notbremse“ gegen die Corona-Pandemie.

Thomas HommelVon Thomas Hommel Veröffentlicht:
Gegen das geplante Notbremsengesetz der Bundesregierung gibt es erhebliche juristische Bedenken.

Gegen das geplante Bundesnotbremsengesetz gibt es erhebliche juristische Bedenken.

© Z6944 Sascha Steinach / ZB / picture alliance

Berlin. Juristen hegen erhebliche Zweifel an der Verhältnismäßigkeit und Wirksamkeit der geplanten „Corona-Notbremse“ der Bundesregierung.

Das aktuelle Infektionsgeschehen und die Situation in den Krankenhäusern erfordere zwar „dringend“ Schutzmaßnahmen. Eine Ausgestaltung der „Notbremse“, die das Infektionsgeschehen „nur“ um den Inzidenzwert von 100 verstetige, sei für eine nachhaltige Eindämmung des Infektionsgeschehens allerdings ungeeignet, adressiert Dr. Andrea Kießling von der Ruhr Universität Bochum in einer Stellungnahme an die Mitglieder des Bundestags-Gesundheitsausschusses.

Der Ausschuss will sich an diesem Freitagnachmittag mit dem Entwurf der Koalition zu Änderungen am Infektionsschutzgesetz (IfSG) beschäftigen. Am Vormittag hatte der Bundestag das Vorhaben in einer scharf geführten Debatte erstmals beraten.

Kontakte punktuell einschränken

Nächtliche Ausgangssperren als „Freiheitsbeschränkungen“ dürften auch nicht unmittelbar durch ein Gesetz angeordnet werden, betont Kießling. Sie seien zudem unverhältnismäßig. Statt Ausgangssperren zu verhängen, sollten Kontakte „punktueller und wirksamer“ beschränkt werden. Das geltende Infektionsschutzgesetz enthalte in den Paragrafen 28ff. bereits „alle Befugnisse, die für das Ergreifen von Schutzmaßnahmen erforderlich sind“.

Ablehnend äußert sich auch der Rechtswissenschaftler Professor Christoph Möllers. „Der vorliegende Gesetzentwurf ist offensichtlich ein Produkt der Eile. Diese Eile aber ist kein Produkt der Pandemie, die seit mehr als einem Jahr andauert, sondern eines politischen Prozesses, der auf vorhersehbare Entwicklungen bemerkenswert unvorbereitet ist“, heißt es in der Stellungnahme des Berliner Juristen.

Eingriffe wie Ausgangssperren seien formell nur „auf Grund“ eines Gesetzes zulässig, das die Eingriffe verfahrensrechtlich absichere, so Möllers. Ein solches Verfahren sehe der Entwurf der Koalition aber nicht vor. „Die Eingriffe erfolgen direkt.“

Gefahr eines Jojo-Effekts

Die Ausgestaltung der Notbremse könne zudem einen Jojo-Effekt um den Schwellenwert von 100 produzieren, warnte der Rechtsgelehrte. Es sei besser, den Ausstieg aus der Notbremse nicht allein an die Unterschreitung der Inzidenz von 100 zu binden. Ratsam sei zudem ein niedrigerer Schwellenwert, „um ein ständiges Hin und Her zu vermeiden“.

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Die Gesellschaft für Aerosolforschung nennt „einheitliche und klare Regeln zur Bewältigung der Pandemie und zur Vermeidung der Überlastung des Gesundheitssystems“ zwar grundsätzlich richtig. „Wir fordern jedoch, zu berücksichtigen, dass die Infektionsgefahr in Innenräumen um ein Vielfaches über der Infektionsgefahr im Freien ist.“ Dieser Aspekt sei m Entwurf nicht hinreichend gewürdigt.

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