GASTBEITRAG

Kapitaldeckung in der GKV -  sinnvoll, aber fast unbezahlbar

Immer wieder wird die Kapitaldeckung von Politikern als Alternative zur Umlagefinanzierung in den großen Sozialversicherungen ins Spiel gebracht. Die Kosten eines derartigen Systemumstiegs -  besonders für die junge Generation -  aber werden dabei gerne verschwiegen. Aus gutem Grund: Es müsste ein Kapitalstock von mehreren hundert Milliarden Euro aufgebaut werden. Dieser Prozess würde - realistisch betrachtet - mehr als 100 Jahre dauern.

Von Fritz Beske Veröffentlicht:
Erwerbstätige und Rentner: Bei einem Umstieg auf Kapitaldeckung werden Generationen unterschiedlich belastet.

Erwerbstätige und Rentner: Bei einem Umstieg auf Kapitaldeckung werden Generationen unterschiedlich belastet.

© Foto: imago

Die Forderung nach Kapitaldeckung in der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) und in der Sozialen Pflegeversicherung (SPV) nimmt zu. Es fehlt jedoch jede Analyse dessen, was Kapitaldeckung hinsichtlich der Aufbringung der Mittel für einen Kapitalstock bedeutet und welche Konsequenzen mit der Einführung einer Kapitaldeckung in beiden Sozialsystemen vor allem für die Beitragszahler verbunden sind. Dies ist keine Absage an die Sinnhaftigkeit einer Kapitaldeckung. Kapitaldeckung ist sinnvoll. Es wird nur die Frage gestellt, was zwangsläufig mit der Einführung einer Kapitaldeckung verbunden ist und welche Probleme zu lösen sind.

Rücklagen der PKV belaufen sich auf 97 Milliarden Euro

Vorbild für eine Kapitaldeckung in der GKV und der SPV ist die Private Krankenversicherung (PKV), in der seit 1952 Kapitaldeckung betrieben wird. Am 31. Dezember 2006 beliefen sich die Rücklagen der PKV auf 97 Milliarden Euro. Allein im vergangenen Jahr wurden dem Kapitalstock der PKV 8,8 Milliarden Euro zugeführt. Zum gleichen Zeitpunkt hatte die PKV 8,5 Millionen Versicherte mit einer Krankheitskostenvollversicherung und 13 Millionen Versicherte mit einer Zusatzversicherung und 18,4 Millionen Versicherungsverträgen, in der Regel mit begrenzten Zusatzleistungen wie Tagegeld oder Chefarztwahl.

Die Gesetzliche Pflegeversicherung wurde zum 1. Januar 1995 eingeführt. Seit diesem Zeitpunkt gibt es auch die private Pflegeversicherung. Am 31. Dezember 2006 betrugen die Rücklagen der privaten Pflegeversicherung 16,4 Milliarden Euro bei 9,3 Millionen Versicherten.

Die Begehrlichkeiten bestimmter Politiker hinsichtlich der Einbindung der privaten Kranken- und Pflegeversicherung in die GKV und in die Soziale Pflegeversicherung sind groß. Außer der Beibehaltung des Leistungsniveaus wird auch die Überführung zumindest von Teilen der Rücklagen der privaten Kranken- und Pflegeversicherung in einen Kapitalstock von GKV und SPV gefordert.

Modellrechnungen machen die Größenordnungen deutlich

Im folgenden soll ausschließlich die GKV behandelt werden. Die Überlegungen gelten im Prinzip analog auch für die Soziale Pflegeversicherung. Ausgangspunkt ist die PKV mit einem Kapitalstock von 97 Milliarden Euro. Wenn auch die Kollektive von gesetzlich und privat Versicherten nicht uneingeschränkt identisch und damit vergleichbar sind, da es Unterschiede in der Alters- und Einkommensstruktur und hinsichtlich der besonderen Situation von Beamten gibt, sind Modellrechnungen möglich, um die Größenordnung zu verdeutlichen, um die es geht.

Wird allein von den 8,5 Millionen Vollversicherten der PKV ausgegangen, dann stehen bei einem Kapitalstock von 97 Milliarden Euro für einen Versicherten 11 425 Euro an Rücklagen zur Verfügung. In der GKV gibt es 50,6 Millionen Mitglieder und damit Beitragszahler und 70,3 Millionen Versicherte durch beitragsfrei mitversicherte Ehegatten und Kinder. Um die gleiche Höhe an Rücklagen für GKV-Mitglieder zur Verfügung zu haben wie für PKV-Versicherte, wäre für Mitglieder ein Kapitalstock von 578 Milliarden Euro und für Versicherte insgesamt von 803 Milliarden Euro erforderlich. Werden als Annahme für jedes Mitglied 100 Euro jährlich in die Rücklage eingezahlt, würde dieser Kapitalstock für Mitglieder in 114 Jahren und für Versicherte insgesamt in 159 Jahren erreicht.

Die Altersgruppe von 20 bis 64 Jahren wäre besonders belastet

Wie stellt sich die Situation derjenigen Bevölkerungsgruppe dar, die den Kapitalstock aufbauen, die in die Rücklage einzahlen muss unabhängig von eher unwahrscheinlichen Zuschüssen aus dem Bundeshaushalt in nennenswerter Höhe. Es ist die Altersgruppe der Beitragszahler im erwerbsfähigen Alter, statistisch die Altersgruppe von 20 bis 64 Jahre. Diese Altersgruppe wird die Hauptlast zu tragen haben. Ihre Zahl geht von 51,2 Millionen im Jahr 2000 auf 35,5 Millionen im Jahr 2050 zurück. Gleichzeitig steigt die Zahl der Personen, die 65 Jahre oder älter sind, von 13,7 Millionen auf 22,9 Millionen und damit auf rund ein Drittel der Bevölkerung von 69 Millionen.

Was wird von der im Wesentlichen belasteten Altersgruppe und was wird damit von künftigen Generationen erwartet?

Zunächst müssen sich diese Generationen um ihren eigenen Unterhalt und den Unterhalt ihrer Familie kümmern mit der Hoffnung auf eine steigende Kinderzahl mit dann auch steigender Belastung. Zu zahlen sind die Beiträge zur gesetzlichen Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung mit steigender Tendenz zumindest in der Kranken- und Pflegeversicherung. Dabei muss darauf hingewiesen werden, dass die Höhe zukünftiger Renten sinkt und eine Rente von rund 40 Prozent des letzten Bruttoeinkommens nicht ausreicht, um das Alter abzusichern. Eine private Altersvorsorge wird empfohlen.

Das jetzige Versorgungsniveau zu halten, kostet viel Geld

Hiervon wird auch zunehmend Gebrauch gemacht. Bei der vorhersehbaren demografischen Entwicklung ist in Verbindung mit dem medizinischen Fortschritt abzusehen, dass Leistungen der GKV eingeschränkt werden müssen. Wer das heutige Leistungsniveau aufrechterhalten möchte, muss auch dort vorsorgen.

Das Gleiche gilt grundsätzlich auch für die Soziale Pflegeversicherung. In der Summe ergeben sich finanzielle Belastungen, deren Höhe es nicht erlauben dürfte, die für den Aufbau eines Kapitalstocks in der GKV und in der SPV mit Beiträgen zu finanzieren, die erforderlich sind, um in der zur Verfügung stehenden Zeit einen Kapitalstock aufzubauen.

Wer in dieser Situation fordert, dass künftige Generationen einen Kapitalstock von mehreren hundert Milliarden Euro in der GKV und SPV aufbauen sollen, muss rechnen und muss sagen, wie dieser Kapitalstock aufgebracht werden soll. So wünschenswert ein Kapitalstock in der GKV und in der Sozialen Pflegeversicherung auch ist - die Realisierungschancen sind gering.

ZUR PERSON

Professor Dr. med. Fritz Beske, MPH, leitet das Institut für Gesundheits-System-Forschung in Kiel. Seine früheren beruflichen Stationen führten ihn unter anderem ins Kieler Sozialministerium und zur Weltgesundheitsorganisation.

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