Kassenmilliarden: Luxusdebatte um "Hosenscheißerei"?

Das Milliardenpolster der Kassen erhitzt die Gemüter im Bundestag. Auf Antrag der SPD wurde dort diskutiert, wie die Kassenüberschüsse verwendet werden sollen. Für die einen eine „Luxusdebatte“, für die anderen eine „Hosenscheißerei“.

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Auf Anfrage der SPD wurde im Bundestag diskutiert, wie die Kassenmilliarden verwendet werden sollen.

Auf Anfrage der SPD wurde im Bundestag diskutiert, wie die Kassenmilliarden verwendet werden sollen.

© steinach / imago

BERLIN (jvb). Viel Wind um 19,5 Milliarden Euro in der gesetzlichen Krankenversicherung. Doch auch eine von der SPD beantragte Bundestagsdebatte konnte keine Klarheit bringen, was mit dem Finanzpolster passieren wird.

Anlass für den Antrag der SPD war die Übereinkunft von Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) und Gesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) Mitte März, dass zwei Milliarden Euro aus dem Gesundheitsfonds in den Bundeshaushalt fließen sollen.

Zumindest in einem Punkt waren sich alle Parteien in der Diskussion einig: Die angehäuften Milliarden gehören den Beitragszahlern – und nicht dem Finanzminister.

Am Vormittag hatte das Bundeskabinett die Eckwerte für den Bundeshaushalt 2012 und den Finanzplan bis 2016 beschlossen. Diese sehen unter anderem vor, dass der Bund 2013 einmalig seinen Zuschuss zum Gesundheitsfonds um zwei Milliarden Euro kürzt.

Damit will Schäuble den Bundeshaushalt sanieren. Das spielte jedoch in der Diskussion kaum eine Rolle.

Koalition sieht Überschüsse als Erfolge ihrer Politik

Die Koalitionsparteien schmückten sich mit den Kassenüberschüssen, die sie auf ihre gesundheitspolitischen Entscheidungen der vergangenen Jahre zurückführten, etwa Einsparungen bei Arzneimittelherstellern oder Krankenhäusern.

„Es wäre falsch, jetzt den Ausgabenhahn aufzudrehen oder bei den Einnahmen zu kürzen“, sagte Johannes Singhammer (CDU). Daher warne er davor, die Praxisgebühr abzuschaffen, die die Kassen jährlich von zwei Milliarden Euro entlaste, oder den Beitragssatz zur gesetzlichen Krankenversicherung zu senken.

„Die Rücklagen von 4,5 Milliarden Euro sollten als Vorsorge für schwierige Zeiten bewahrt werden“, forderte er. Ähnlich sieht es die FDP.

Nur bei einer soliden Finanzierung der Kassen könnten sich die Versicherten einer guten gesundheitlichen Versorgung sicher sein, betonte Daniel Bahr (FDP) immer wieder. Trotzdem wolle man Patienten entlasten, wo es möglich sei.

Bahr: Mehr Kassen sollten Prämien auszahlen

„Etwa 30 Kassen könnten Prämien auszahlen, nur neun tun das derzeit. Deswegen fordere ich die Kassen auf, die mehr Geld auf dem Konto haben, als es gesetzlich vorgeschrieben ist, das auch zu tun“, so der Gesundheitsminister.

Parteikollegin Christine Aschenberg-Dugnus unterstrich die Forderung der FDP, die Praxisgebühr abzuschaffen. Damit habe man die Praxisbesuche reduzieren wollen, das sei aber ausgeblieben.

Stattdessen hätten Ärzte 2010 rund 1,4 Millionen Mahnverfahren wegen der Praxisgebühr einleiten müssen.

„Sie könnten sofort vier Milliarden Euro an Versicherte ausschütten, zum Beispiel indem sie die Praxisgebühr abschaffen oder den Beitragssatz senken“, sagte Professor Karl Lauterbach von der SPD. Ein niedrigerer Beitragssatz ist aus Sicht der Linken nicht das richtige Mittel.

Die Hälfte des Beitragssatzes käme schließlich den Arbeitgebern zugute. Zudem trügen die Arbeitnehmer den größeren Anteil, da es keine paritätische Finanzierung mehr gebe, führte Harald Weinberg (Linke) an. Daher befürworte er die Abschaffung der Praxisgebühr, wofür im Bundestag zusammen mit SPD, Grünen und FDP eine Mehrheit bestünde.

Hingegen bezeichnete Birgitt Bender, gesundheitspolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag, die Koalitionsparteien als „Hosenscheißer“. Im System gehe die Angst vor Zusatzbeiträgen um, nicht nur bei den Kassen, sondern auch bei der Koalition.

Kämen Zusatzbeiträge auf breiter Front vor der Bundestagswahl, sei das ungünstig für CDU/CSU und FDP, sagte Bender.

Grüne: Niedrigerer Beitragssatz führt zu Zusatzbeiträgen

„Deswegen horten sie das Geld im Gesundheitsfonds und verzichten auf eine Beitragssatzerniedrigung. Denn das würde ja zwingend zu Zusatzbeiträgen führen“, sagte die Grünen-Politikerin. Am meisten Zustimmung in der Bevölkerung finden wohl die Aussagen der CDU.

In Umfragen hat sich die Mehrheit der Deutschen immer wieder dafür ausgesprochen, die Milliardenreserven bei den Kassen zu belassen. Diese sollten etwa die Überschüsse für beitragsschwache Jahre zurückstellen.

Derzeit haben die gesetzlichen Krankenkassen und der Gesundheitsfonds Finanzreserven von 19,5 Milliarden Euro. Auf rund 4,4 Milliarden Euro aus dem Fonds könnte die Politik zugreifen.

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