Debatte in Frankreich

Macrons Initiative zur Sterbehilfe: Was hat er genau gemeint?

Wird es Tötung auf Verlangen – oder wird keine neue Grenze überschritten? Religionsvertreter in Frankreich sind nicht einig bei der Bewertung einer Ankündigung des Präsidenten. Gemeinsame Bedenken gibt es aber allemal.

Veröffentlicht:
Hat mit einem Zeitungsinterview, in dem er die baldige Vorlage eines Gesetzentwurfs zum Lebensende ankündigt, eine breite Debatte ausgelöst: Emmanuel Macron, Präsident von Frankreich.

Hat mit einem Zeitungsinterview, in dem er die baldige Vorlage eines Gesetzentwurfs zum Lebensende ankündigt, eine breite Debatte ausgelöst: Emmanuel Macron, Präsident von Frankreich.

© Michel Euler/AP/dpa

Paris. Führende Repräsentanten der Religionen in Frankreich äußern sich besorgt über das geplante Gesetz zum Lebensende. Vertreter von katholischer Kirche und Islam werteten die Möglichkeit von Sterbehilfe als einen gefährlichen Wendepunkt, wie die Zeitung „La Croix“ berichtet.

Juden und Protestanten seien dagegen der Meinung, dass es sich dabei weder um Euthanasie noch um assistierten Suizid handele. Bislang hatten sich die Religionen einhellig gegen eine Legalisierung von Sterbehilfe und assistiertem Suizid gewandt, so bei einer gemeinsamen Pressekonferenz Ende Januar.

Der Präsident der Protestantischen Föderation Frankreichs, Christian Krieger, sieht die Ankündigung von Präsident Emmanuel Macron vom Wochenende laut Bericht als eine Fortsetzung seiner bisherigen Äußerungen. Allerdings verschiebe sich der Akzent des Projekts offenbar zugunsten von Sterbehilfe und zu Lasten der Palliativkultur. Der Geistliche sieht „einen anthropologischen und zivilisatorischen Bruch ab dem Moment, in dem wir über das Töten nachdenken“.

„Die Praxis wird sich unweigerlich ausweiten“

Krieger wörtlich: „Ich bin mir über den Fortgang einer Liberalisierung des Gesetzes zu diesem Thema im Klaren: Menschen, die nicht den Kriterien für den Zugang zu diesen Maßnahmen entsprechen, werden ‚Diskriminierung‘ rufen, und die Praxis wird sich unweigerlich ausweiten.“

Eine ähnliche Position vertritt der Oberrabbiner von Frankreich, Haim Korsia. Er sagte dem Wochenmagazin „Le Point“, er halte den bisherigen Rechtsrahmen für ausreichend. Es brauche kein neues Gesetz für Grenzfälle, wie es jetzt auf den Weg gebracht werde. Einen Weg hin zu Tötung auf Verlangen lehnte Korsia zwar ausdrücklich ab, sieht ihn aber durch die Ankündigung Macrons auch noch nicht beschritten.

Der Rektor der Großen Moschee von Paris, Chems-Eddine Hafiz, sagte mit Blick auf Macrons Worte: „Sterbehilfe kann kein ‚Gesetz der Brüderlichkeit‘ sein, unabhängig von den Bedingungen und Umständen“; und weiter: „Wir sind auf dem falschen Weg.“ Es gebe ein echtes Ungleichgewicht zwischen Sterbehilfe und Palliativkultur. Für den Islam-Vertreter ist der Ausdruck „assistierter Tod“ irreführend und sollte durch „induzierter Tod“ ersetzt werden. Es handele sich um einen echten Paradigmenwechsel.

Macrons vage Versprechungen zur Palliativversorgung

Der Vorsitzende der Französischen Bischofskonferenz, Eric de Moulins Beaufort, hatte im „La Croix“-Interview erklärt, Macrons Begrifflichkeiten seien schöne Rhetorik; tatsächlich öffne der Präsident auch assistiertem Suizid die Tür. Die Versprechungen zum Thema Palliativversorgung seien vage, wie schon seit 20 Jahren, kritisierte der Erzbischof von Reims.

Unterdessen kündigte das nationale Netzwerk der katholischen Familienverbände (AFC) an, man werde nicht gegen das Gesetz auf die Straße gehen, aber dennoch intensive Lobbyarbeit leisten. „Die Menschen wollen nicht länger hören, wie Katholiken ihnen überheblich erklären, wie sie leben sollen“, sagte die AFC-Präsidentin Pascale Moriniere zu „La Croix“. Man werde stattdessen Flugblätter verteilen und Briefe an die Parlamentarier schreiben, um zu sensibilisieren.

Beobachter sehen in dieser eher zurückhaltenden Strategie auch eine Reaktion auf die öffentlichen Niederlagen der vergangenen Jahre; etwa der Demonstrationen der Anti-Gender-Bewegung „Manifs pour tous“ seit 2012, gegen künstliche Befruchtung für alleinstehende und lesbische Frauen 2021 oder die Liberalisierungen des Abtreibungsgesetzes 2022 und 2024.

Präsident hat baldige Gesetzesvorlage angekündigt

Präsident Macron hatte in einem Zeitungsinterview am Sonntag die baldige Vorlage eines Gesetzentwurfs zum Lebensende angekündigt. Medial wurde seine Skizzierung des Gesetzesrahmens als eine Freigabe aktiver Sterbehilfe unter strengen Auflagen gewertet.

Nach Worten Macrons sollen künftig unheilbar kranke Erwachsene im Endstadium ihrer Krankheit „um Hilfe bitten können zu sterben“. Der Patient müsse voll urteilsfähig, also weder minderjährig noch psychisch krank sein. Tötung auf Verlangen soll dann durch ein tödliches Präparat erfolgen, das der Sterbewillige selbstständig oder aber mit Hilfe einer anderen Person zu sich nimmt.

Bislang ist in Frankreich gesetzlich lediglich erlaubt, Todkranke am Lebensende dauerhaft zu sedieren und Apparate abzuschalten. Fälle von Schwerkranken, die sterben wollen oder deren Angehörige sie sterben lassen wollen, sorgen immer wieder für heftige öffentliche Debatten. (KNA)

Jetzt abonnieren
Ihr Newsletter zum Thema
Mehr zum Thema
Das könnte Sie auch interessieren
Glasglobus und Stethoskop, eingebettet in grünes Laub, als Symbol für Umweltgesundheit und ökologisch-medizinisches Bewusstsein

© AspctStyle / Generiert mit KI / stock.adobe.com

Klimawandel und Gesundheitswesen

Klimaschutz und Gesundheit: Herausforderungen und Lösungen

Kooperation | In Kooperation mit: Frankfurter Forum
Ein MRT verbraucht viel Energie, auch die Datenspeicherung ist energieintensiv.

© Marijan Murat / dpa / picture alliance

Klimawandel und Gesundheitswesen

Forderungen nach Verhaltensänderungen und Verhältnisprävention

Kooperation | In Kooperation mit: Frankfurter Forum
Ein Dialogforum von Fachleuten aus Gesellschaft, Gesundheitspolitik und Wissenschaft

© Frankfurter Forum für gesellschafts- und gesundheitspolitische Grundsatzfragen e. V.

Das Frankfurter Forum stellt sich vor

Ein Dialogforum von Fachleuten aus Gesellschaft, Gesundheitspolitik und Wissenschaft

Kooperation | In Kooperation mit: Frankfurter Forum
Kommentare
Sonderberichte zum Thema
Detailansicht eines Windrades: Bringt eine ökologisch nachhaltige Geldanlage auch gute Rendite? Anleger sollten auf jeden Fall genau hinschauen.

© Himmelssturm / stock.adobe.com

Verantwortungsbewusstes Investment

„Nachhaltig – das heißt nicht, weniger Rendite bei der Geldanlage!“

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: der Deutschen Apotheker- und Ärztebank (apoBank)
Dr. Antigone Fritz und Hubertus Müller sitzen trocken am PC. Dort zu sehen: ein Bild vom Hochwasser in Erftstadt vor drei Jahren.

© MLP

Gut abgesichert bei Naturkatastrophen

Hochwasser in der Praxis? Ein Fall für die Versicherung!

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: MLP
Protest vor dem Bundestag: Die Aktionsgruppe „NichtGenesen“ positionierte im Juli auf dem Gelände vor dem Reichstagsgebäude Rollstühle und machte darauf aufmerksam, dass es in Deutschland über drei Millionen Menschen gebe, dievon einem Post-COVID-Syndrom oder Post-Vac betroffen sind.

© picture alliance / Panama Pictures | Christoph Hardt

Symposium in Berlin

Post-COVID: Das Rätsel für Ärzte und Forscher

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: vfa und Paul-Martini-Stiftung
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Das war der Tag: Der tägliche Nachrichtenüberblick mit den neuesten Infos aus Gesundheitspolitik, Medizin, Beruf und Praxis-/Klinikalltag.

Top-Thema: Erhalten Sie besonders wichtige und praxisrelevante Beiträge und News direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen

Daktyloskopische Nebenwirkungen

Wenn die Krebstherapie die „Identität“ verändert

Lesetipps
Auch einem CT-Bild ist ein Prostata-Karzinom markiert.

© samunella / stock.adobe.com

Aktualisierung der S3-Leitlinie

Früherkennung von Prostatakrebs: Tastuntersuchung vor dem Aus

Abstraktes buntes Bild vieler Bücher die umherschwirren.

© 100ME / stock.adobe.com

Empfehlungs-Wirrwarr

Drei Hypertonie-Leitlinien: So unterscheiden sie sich

Die Ärzte Zeitung hat jetzt auch einen WhatsApp-Kanal.

© prima91 / stock.adobe.com

News per Messenger

Neu: WhatsApp-Kanal der Ärzte Zeitung