Immer mehr Pflegebedürftige
Medizinische Dienste fordern Wiedereinführung der Telefonbegutachtung
Die steigende Zahl pflegebedürftiger Menschen bringt die Medizinischen Dienste an ihre Kapazitätsgrenzen: Begutachtungen sollen deshalb wie in der Pandemie telefonisch vorgenommen werden können.
Veröffentlicht:Essen/Berlin. Der Medizinische Dienste müssen immer Pflegebedürftige begutachten: Laut einer Mitteilung des Medizinischen Dienstes Bund vom Dienstag sind die Begutachtungszahlen in den vergangenen sechs Jahren von 1,8 Millionen (2016) auf 2,6 Millionen (2022) gestiegen. In den ersten beiden Monaten dieses Jahres lägen die Aufträge um 20 Prozent höher als im Vorjahr, heißt es.
Der vom Statistische Bundesamt prognostizierte Anstieg bei den Pflegebedürftigen um rund 27 Prozent bis 2035 werde die Lage weiter verschärfen. Die Medizinischen Dienste fordern daher die sofortige Wiedereinführung der Telefonbegutachtung, um damit Versorgungssicherheit für die Versicherten zu gewährleisten.
Begutachtung muss im Hausbesuch erfolgen
Die Begutachtung der Versicherten ist Voraussetzung für den Bezug von Leistungen aus der Pflegeversicherung. Nach den Regelungen des Sozialgesetzbuches hat die Begutachtung im Hausbesuch zu erfolgen. „Die Medizinischen Dienste können die Begutachtung im Hausbesuch nicht mehr in jedem Fall fristgerecht gewährleisten, wenn nicht unmittelbar gegengesteuert wird. Damit die Versicherten eine qualitativ hochwertige und zeitgerechte Begutachtung erhalten, muss das strukturierte Telefoninterview sofort wieder eingeführt werden. Der Gesetzgeber hat jetzt im Rahmen der Pflegereform die Möglichkeit, eine entsprechende Regelung vorzusehen“, sagt Carola Engler, stellvertretende Vorstandsvorsitzende des Medizinischen Dienstes Bund.
Die Erfahrung aus der Pandemie zeige, dass das strukturierte Telefoninterview eine gleichwertige Alternative zum Hausbesuch sein könne: Die Pflegegradverteilung sei bundesweit stabil geblieben, weil sich das Begutachtungsverfahren sehr gut eignet, um es auch telefonisch einzusetzen, betont sie. Das treffe insbesondere auf Höherstufungsanträge zu: Diese werden von Versicherten gestellt, deren Pflegebedürftigkeit zugenommen hat und die zuvor in eigener Häuslichkeit begutachtet worden sind.
Mehr als doppelt so viele Höherstufungsanträge
Das gilt beispielsweise bei Versicherten, die an fortgeschrittenen Krebserkrankungen oder Demenz leiden. „In solchen Situationen geht es darum, eine zügige Begutachtung ohne Belastung für die Betroffenen zu ermöglichen, damit sie schnellstmöglich ihre Leistungen erhalten. Die Vorteile des Telefoninterviews überwiegen hier die des Hausbesuches“, erläutert Engler.
Die Höherstufungsanträge haben sich zwischen 2016 bis 2022 von 0,6 Millionen auf 1,2 Millionen verdoppelt. Die Ergebnisse der Versichertenbefragung haben gezeigt, dass die Zufriedenheit der Versicherten mit dem strukturierten Telefoninterview genauso hoch war wie bei den Hausbesuchen.
Studie zu Begutachtungen per Video gestartet
Die Pflegebegutachtung erfolgt beim Medizinischen Dienst durch qualifizierte Pflegefachkräfte. Dort stieg die Anzahl der Vollzeitstellen bundesweit um 43 Prozent. „Aufgrund des Fachkräftemangels stehen immer weniger Pflegefachkräfte zur Verfügung und der Trend verstärkt sich durch die demografische Entwicklung“, sagt Engler.
Laut Mitteilung hat der Medizinische Dienst während der Pandemie auch Videobegutachtungen in Pflegeeinrichtungen getestet. Die ersten Erfahrungen zeigten, dass auch diese sehr gut geeignet sind, um ortsungebunden und qualitativ hochwertige Pflegebegutachtungen durchführen zu können. Derzeit laufe eine große Forschungsstudie in Zusammenarbeit mit der Universität Bremen, um Eignung, Güte und Einsatzmöglichkeit der Videobegutachtungen wissenschaftlich zu untersuchen. (kaha)