WIP-Analyse

Pflegebeitrag künftig bis zu acht Prozent?

Gerade erst sind die Beiträge zur gesetzlichen Pflegeversicherung um 0,5 Prozentpunkte gestiegen. Die Diskussionen, wohin sie sich entwickeln, reißen gleichwohl nicht ab. Auch die Privatversicherten könnten betroffen sein.

Von Jonas Tauber und Anno FrickeAnno Fricke Veröffentlicht:
Die Beiträge zur Pflegeversicherung reichen nicht mehr. Es klafft eine absehbare Lücke von über 400 Milliarden Euro.

Die Beiträge zur Pflegeversicherung reichen nicht mehr. Es klafft eine absehbare Lücke von über 400 Milliarden Euro.

© Christian Ohde / chromorange / picture alliance

BERLIN. Die Beitragszahler in der gesetzlichen Pflegeversicherung müssen wegen der Alterung der Gesellschaft mit steigenden Beiträgen rechnen, warnt das wissenschaftliche Institut der privaten Krankenversicherung (WIP).

Sollte die Politik zusätzlich die Leistungen des Systems ausbauen, würde der Beitragssprung entsprechend höher ausfallen, sagten Institutsvertreter in Berlin.

„2040 wären wir allein wegen des demografischen Wandels bei 4,1 Prozent“, sagte die Projektleiterin des WIP, Dr. Christine Arentz, am Montag vor Journalisten.

Bei höheren Ausgaben infolge einer Leistungsausweitung rechnet sie – je nach Szenario – sogar mit einem Anstieg auf 5 bis 7,9 Prozent. Aktuell liegt der Satz bei 3,05 Prozent für Erwachsene mit Kindern und 3,3 Prozent für Kinderlose.

Beitrag: 38.000 Euro im Leben

Damit legt das WIP in der Diskussion um eine Entlastung der gesetzlich Pflegeversicherten nach. Erst vor kurzem hatte das Institut von einem verstecken Schuldenberg im umlagefinanzierten System in Höhe von 435 Milliarden Euro gesprochen.

Arentz sagte, die Ausgaben seien in den vergangenen Jahren durch verschiedene Reformen wie zuletzt das Pflegestärkungsgesetz bereits stark gestiegen. In der aktuellen Diskussion werde der demografische Wandel überhaupt nicht berücksichtigt, kritisierte sie.

Dabei seien die Folgen der Entwicklung erheblich. Selbst wenn sich das konservative Szenario bewahrheitet, nachdem das Verhältnis zwischen Ausgaben und Einnahmen sich nicht weiter verschlechtert, müssten jüngere Versicherte künftig deutlich mehr Beiträge für die gesetzliche Pflegeversicherung schultern.

Steigt der Beitragssatz bis 2040 auf 4,1 Prozent, muss demnach ein 1989 Geborener mit einem Durchschnittseinkommen über seine Lebenszeit Beiträge in Höhe von 38.000 Euro aufbringen. Das seien 50 Prozent mehr als bei einem 1966 geborenen Versicherten.

Vorschlag: Medizinische Behandlungspflege in GKV überführen

In der Politik ist die Beitragsdämpfung für die Pflege gleichwohl angekommen. SPD-geführte Länder haben bereits eine sachgerechte Zuordnung von Kosten angemahnt. Von Kassenseite ist der Ruf nach Steuerzuschüssen laut geworden.

Bereits vorhanden ist der Pflegevorsorgefonds aus der vergangenen Legislaturperiode. In ihn fließen 0,1 Prozentpunkte der Beiträge zur Pflegeversicherung, derzeit rund 1,7 Milliarden Euro im Jahr. Ab 2035 soll der Fonds abgeschmolzen werden, um die Beitragszahler in der GKV zu entlasten..

Unter Federführung von Hamburgs Gesundheitssenatorin Cornelia Prüfer-Storcks (SPD) hatten vier SPD-geführte Länder zudem die Herausnahme der medizinischen Behandlungspflege aus der Pflegeversicherung und Überführung in die GKV vorgeschlagen.

Umgekehrt sollte die geriatrische Rehabilitation der Pflegeversicherung zugeschlagen werden. In der Summe sollte die Pflegeversicherung durch die neue Zuordnung von Aufgaben entlastet werden.

Deckelung der Eigenanteile im Heim gefordert

Teil dieses Gesetzesprojekts sollte auch die Deckelung der Eigenbeiträge der Bewohner von Pflegeheimen sein. Das wiederum hätte die Pflegeversicherung belastet. Der Entwurf liegt derzeit auf Eis, nachdem die unions-geführten Länder nicht mitzogen.

Ein solches Modell unterstützt auch DAK-Vorstandsvorsitzender Andreas Storm. Die Mehrbelastungen für die Pflegeversicherung sollten aus Steuermitteln gegenfinanziert werden. „Pflege ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe“, so Storm.

Menschen in Deutschland sind zum Abschluss einer Pflegeversicherung verpflichtet. Eine Deckelung der Eigenbeiträge träfe auch die Privatversicherten.

Weil sich das private System am Leistungskatalog der gesetzlichen Pflegeversicherung orientiert, müssten auch private Anbieter eine Obergrenze für den Eigenanteil der Versicherten an den Pflegekosten übernehmen, bestätigte ein Sprecher des PKV-Verbands.

PKV für mehr Eigenverantwortung

Die privaten Krankenversicherer (PKV) sprechen sich seit längerem für eine Stärkung der kapitalgedeckten Vorsorge aus. Gegen Leistungserweiterungen im gesetzlichen System spricht nach ihrer Ansicht, dass die Abgaben- und Steuerlast in Deutschland im internationalen Vergleich einen Spitzenwert erreicht, sagte WIP-Leiter Dr. Frank Wild.

Ähnlich äußerte sich Dr. Timm Genett, Leiter Politik beim PKV-Verband. „Auch der Sozialstaat benötigt Eigenverantwortung, dafür ist die Pflege prädestiniert“, sagte er.

Das System sei bewusst als Teilkaskoversicherung geschaffen worden, sagte er im Hinblick auf die Beteiligung der Versicherten an den Kosten im Pflegefall.

Ein weiterer Grund für das Interesse der Privatwirtschaft an möglichen Änderungen im gesetzlichen System ist die immer wieder aufflammende Diskussion über eine Zusammenführung in einer Bürgerversicherung. Außerdem wollen die PKV-Anbieter auch mit den gesetzlich Versicherten Geschäfte machen – etwa in der Pflegezusatzversicherung.

Ende 2018 hatten die Gesellschaften demnach fast 2,8 Millionen Pflegezusatzversicherungen im Bestand. Das waren 1,83 Prozent mehr als im Vorjahr.

Dazu kommen 878.000 geförderte Pflege-Zusatzversicherungen („Pflege-Bahr“). Ihr Bestand ist um rund 5,3 Prozent gestiegen.

Wir haben den Beitrag aktualisiert und ergänzt am 13.05.2019 um 16:26 Uhr.

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