Pflegereform beschert Ärzten mehr Geld für Heimbesuche

Monatelang gab es Streit, am Mittwoch hat das Kabinett die Pflegereform von Gesundheitsminister Daniel Bahr auf den Weg gebracht. Die Ärzte dürfen sich über mehr Geld für Heimbesuche freuen. Kritiker ätzen: Die Reform sei "substanzlos".

Von Sunna Gieseke Veröffentlicht:
Zwischen "Meilenstein" und "langem Weg": Daniel Bahr mit seiner Pflegereform im Bundeskabinett.

Zwischen "Meilenstein" und "langem Weg": Daniel Bahr mit seiner Pflegereform im Bundeskabinett.

© Hannibal / dpa

BERLIN. Leistungen für Demenzkranke sollen verbessert, Pflege-Wohngemeinschaften gefördert und die Leistungen flexibler gehandhabt werden: Das sind die Kernpunkte der Pflegereform von Gesundheitsminister Daniel Bahr (FDP). Das Gesetzesvorhaben wurde nach monatelangem Streit am Mittwoch vom Bundeskabinett durchgewunken.

Minister Bahr nannte sein Pflege-Projekt "einen Meilenstein". Es sei aber noch nicht die ganze Wegstrecke, räumte er ein: "Was wir leisten, ist, dass erstmals Demenz berücksichtigt wird. Davon profitieren 500.000 Menschen in Deutschland."

Insgesamt gibt es etwa 1,2 Millionen Demenzkranke in Deutschland. 2,4 Millionen Menschen sind pflegebedürftig. Es ist die zweite Reform seit Einführung der Pflegeversicherung im Jahr 1995.

Pflegebedürftigen ein Leben in den eigenen vier Wänden ermöglichen

Ziel dieser Reform sei es, Pflegebedürftigen so lange wie möglich ein Leben in den eigenen vier Wänden zu ermöglichen, sagte Bahr.

Aufgestockt werden sollen daher die Pflegesätze der Pflegestufen null bis zwei, und zwar sowohl das Pflegegeld als auch die Pflegesachleistungen.

Ab dem 1. Januar 2013 erhalten Menschen mit erheblich eingeschränkter Alltagskompetenz, die ohne Pflegestufe sind, monatlich ein Pflegegeld von 120 Euro (bisher 100 Euro) oder Pflegesachleistungen von bis zu 225 Euro (bisher 200 Euro).

Die Pflegegeldsätze der Pflegestufen eins und zwei werden um 70 beziehungsweise 85 Euro auf 305 und 525 Euro erhöht. Dazu können dann noch bis zu 200 Euro Demenzzuschlag kommen.

Darüber hinaus sollen künftig neue Wohnformen für pflegebedürftige Menschen gefördert werden, erklärte Bahr. Statt eines starren Konzepts der Minutenpflege soll es zudem mehr Wahlfreiheiten in der Pflege geben.

Mehr Geld für Heimbesuche

Auch Ärzte sollen mehr Geld erhalten - für ihre Heimbesuche sollen ihnen 77 Millionen Euro zusätzlich zur Verfügung stehen. "Das zusätzliche Geld für Heimbesuche ist eine sinnvolle Investition", betonte Bahr. Damit würde die medizinische Versorgung in Heimen verbessert werden.

Das Ziel sei, unnötige Klinikeinweisungen zu verhindern. Heimbewohner würden besonders am Wochenende häufig ins Krankenhaus eingewiesen. "Jeder Krankenhaustransport, der durch eine bessere medizinische Versorgung im Heim vermieden werden kann, spart Geld", so Bahr.

Nach einigen Jahren soll evaluiert werden, wie viel tatsächlich mit diesen Maßnahmen eingespart werden könne. Für die Umsetzung würden bereits Gespräche mit der Selbstverwaltung geführt.

Lob kam von der KBV: "Es ist ein richtiger Gedanke, dass Ärzte für den enormen Arbeitseinsatz, den sie in Heimen leisten, auch mehr Geld erhalten sollen", sagte KBV-Sprecher Roland Stahl.

Der GKV-Spitzenverband lehnte die neue Regelung ab: "Der Sicherstellungsauftrag in der ambulanten Versorgung gilt auch für Pflegebedürftige", sagte Verbandssprecher Florian Lanz der "Ärzte Zeitung". Eine Ausnahme könne höchstens für Zahnärzte gelten, die gegebenenfalls besonderes technisches Gerät für Heimbesuche benötigten.

Finanziert werden soll die Pflegereform über eine Beitragssteigerung: Vom 1. Januar 2013 an soll der Beitragssatz 2,05 Prozent statt wie bisher 1,95 Prozent betragen. Dies soll 2013 rund 1,1 Milliarden Euro mehr in die Kassen spülen.

Grüne: "Es droht eine Pflegekatastrophe, von der wir alle betroffen sein werden"

Kritik an der Reform kommt nicht nur von der Opposition - auch aus den eigenen Reihen: Eine große Schwäche des Gesetzentwurfs der Bundesregierung sei die fehlende Einführung eines Pflegebedürftigkeitsbegriffs, erklärte Stefan Grüttner (CDU), Gesundheitsminister in Hessen, der im vergangenen Jahr der GMK vorsaß.

Opposition und Arbeitgeberverbände lassen kein gutes Haar an der Reform und zerpflückten sie regelrecht. SPD-Politikerin Hilde Mattheis kritisierte Bahrs Pläne als "substanzlos". Es fehlten zum Beispiel Ansätze, um den Fachkräftemangel in der Pflege zu beheben.

Nordrhein-Westfalens Gesundheitsministerin Barbara Steffens (Grüne) warnte: "Es droht eine Pflegekatastrophe, von der wir alle betroffen sein werden." Die Zahl der Pflegebedürftigen und ihrer Angehörigen steige rapide an. Ohne durchgreifende Reform fahre der Bund das Pflegesystem vor die Wand.

Die Grünen-Fraktionschefin Renate Künast und ihre Fraktionskollegin Elisabeth Scharfenberg kritisierten, selbst die ursprünglich geplanten kleinen Verbesserungen für Angehörige bei Reha und Vorsorge der Rentenversicherung seien komplett gestrichen worden.

Linke-Politikerin Kathrin Senger-Schäfer kritisierte, die geplanten zusätzlichen Leistungen seien nicht der angekündigte erste Schritt zum neuen Pflegebegriff. Der finanzielle Rahmen sei zudem offen.

Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt hält die Reform für verfehlt: "Ich habe Verständnis für die notwendigen Leistungsausweitungen für Demenzkranke." Diese müssten jedoch solide und nachhaltig gegenfinanziert sein, "sonst verschärfen sie die ohnehin zu erwartenden Finanzierungsprobleme", so Hundt.

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