Tarifeinheit
"Probleme mit Händen zu greifen"
Ob das Tarifeinheitsgesetz bei Klinikärzten greift, könnte fraglich sein. Die Präsidentin des Bundesarbeitsgerichts, Ingrid Schmidt, sieht gravierende Probleme in der Anwendung.
Veröffentlicht:Ingrid Schmidt

© Martin Schutt / dpa
Die 60-Jährige steht seit März 2005 als Präsidentin an der Spitze des höchsten deutschen Arbeitsgerichts.
Sie studierte Rechtswissenschaften an der Goethe-Universität in Frankfurt/Main.
Als Richterin arbeitete sie unter anderem in der hessischen Sozialgerichtsbarkeit.
ERFURT. Das Gesetz zur Tarifeinheit wirft nach Ansicht der Präsidentin des Bundesarbeitsgerichts, Ingrid Schmidt, noch viele Fragen auf.
Ob es in seiner jetzigen Form Bestand haben wird, muss aber zunächst das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe klären.
Frage: 2015 haben Millionen Menschen unter Streiks der Piloten und Lokführer gelitten. Spricht das nicht für das umstrittene Tarifeinheitsgesetz?
Ingrid Schmidt: Wie sich das Tarifeinheitsgesetz auf den Arbeitskampf auswirkt, darüber wird das Bundesverfassungsgericht im Rahmen der dort anhängigen Verfassungsbeschwerden befinden. Aber es ist ja jetzt schon offenkundig, dass bei bestimmten Arbeitskampfmaßnahmen das Tarifeinheitsgesetz gar nicht wirken kann.
So kann etwa bei der Lufthansa in deren Flugbetrieb die vom Gesetz vorausgesetzte Tarifkollision kaum auftreten, da die Vereinigung Cockpit nur für die Piloten abschließt und die Gewerkschaft UFO nur für die Flugbegleiter.
Diese Bereiche überschneiden sich nicht, also gibt es keine Tarifkollision, deren Auflösung das Gesetz regeln will. Bei der Bahn sieht das allerdings anders aus.
Was sagt die oberste Arbeitsrichterin zu der immer mal wieder diskutierten Pflicht zu einer frühzeitigen Ankündigung von Streiks?
Schmidt: Darauf gibt es weder für den Bereich der sogenannten Daseinsvorsorge noch für andere eine einfache Antwort. So ist es für Reisende sicherlich gut, frühzeitig über abgesagte Flüge oder ausfallende Züge Bescheid zu wissen.
Für die Verkehrsunternehmen ist es schlecht, weil Umbuchungen und Stornierungen zunehmen, auch wenn der Streik noch abgesagt wird. Deren Risiko verringert sich also bei kurzfristigen Ankündigungen.
Für den Gesetzgeber wäre es also kein leichtes Unterfangen eine Ankündigungspflicht für alle Bereiche zu regeln, die den sehr unterschiedlichen Interessen gerecht würde.
Sehen Sie Schwierigkeiten bei der Umsetzung des Gesetzes?
Schmidt: Es ist mit den Händen zu greifen, dass schon die Feststellung der Mehrheitsverhältnisse im Betrieb die Rechtsprechung vor große Herausforderungen stellen wird. Das dazu vom Gesetz vorgegebene Verfahren ist komplex.
Woher soll man wissen, wie viele Arbeitnehmer zu welchem Zeitpunkt in welcher Gewerkschaft sind? Aber so weit ist es nicht, die Arbeitsgerichtsbarkeit wartet mit Spannung auf die Entscheidung aus Karlsruhe. (dpa)