Närrische Nachtvorlesung

Scharfe Zunge statt Skalpell

Wo sonst über Operieren und Sezieren gelehrt wird, stehen bei der Närrischen Nachtvorlesung Reime und Spott, Kokolores und Gesang auf dem Programm: Die Narren sind los im Chirurgie-Hörsaal der Unimedizin Mainz.

Christoph BarkewitzVon Christoph Barkewitz Veröffentlicht:
„Nachtwächter“ Adi Guckelsberger verliest seine Verse vor dem närrischen Auditorium.

„Nachtwächter“ Adi Guckelsberger verliest seine Verse vor dem närrischen Auditorium.

© Christoph Barkewitz

MAINZ. Ist ein Arzt ein Narr? Was sich Mediziner in weiten Teilen der Republik tunlichst verbitten würden, ist in Mainz ein Ehrentitel. In der fünften Jahreszeit allzumal und im närrischen Endspurt hin zum Rosenmontag insbesondere.

Professor Christian-Friedrich Vahl ist ein Narr. Und was für einer. Der Direktor der Herz-, Thorax- und Gefäßchirurgie der Universitätsklinik in der rheinland-pfälzischen Landeshauptstadt ist aktiver Fassenachter in Mainz, Komiteeter beim Mainzer Carneval-Verein (MCV) und Initiator der Närrischen Nachtvorlesung der dortigen Unimedizin.

Durch seine Verbindung zum MCV, dem wichtigsten Verein seiner Art in der Stadt, gelingt es Vahl, hervorragende Akteure auf die Bühne zu bringen: Redner aus der Mainz-typischen politisch-literarischen Fassenacht, Kokolores und Gesang. Und natürlich Vahl selbst – gleich in mehreren Rollen.

Liedermacher und Chirurg

Ein Mann mit einer ungewöhnlichen Vita. In den siebziger Jahren Liedermacher, Student der Kunstgeschichte, Philosophie und Soziologie, um dann doch bei der Medizin zu landen und schließlich ein hochdekorierter Chirurg zu werden.

Mit der Närrischen Nachtvorlesung hat Vahl ein einmaliges Format im an Fastnachtssitzungen ohnehin reichen Mainz geschaffen: Seit mehr als zehn Jahren gibt es im Hörsaal der Chirurgie an der Uniklinik die sogenannte Nachtvorlesung, die mehrmals im Jahr medizinische Themen dem Laien verständlich nahe bringt.

Im Jahr 2016 initiierte Vahl dann erstmals die karnevalistische Variante. Ob ernste oder närrische Vorlesung, jeder der mag, darf kommen. Und die Mainzer kommen: Der 300 Menschen fassende Hörsaal war am Mittwochabend vollbesetzt, im Vorraum saßen weitere 100 Menschen und verfolgten das vierfarbbunte Treiben via Monitor.

Die klassische Eröffnung einer Fastnachtssitzung erfolgt durch den Protokoller. Hier gibt es zwei davon: Das "Akademische Protokoll" übernahm der Wissenschaftliche Vorstand der Unimedizin, Professor Ulrich Förstermann. Als "Emissär" der République française – weil die Wiedergründung der Mainzer Uni 1946 durch die Franzosen erfolgte – sah er nach dem Rechten an der Université Mayence – und war meist erschüttert.

Singen ist Arbeit, und Arbeit macht schlank.

Professor Christian-Friedrich Vahl in seiner "pseudo-akademischen" Fastnachtsvorlesung über die segensreiche Wirkung des Singens.

Scharfzüngig sezierte er deutsch-französelnd die zahlreichen Vorstandswechsel an der Unimedizin in der Vergangenheit, das gewaltige Defizit in der Kasse und die schwache Frauenquote in den Gremien. Angesichtes des neuen Kaufmännischen Vorstands, Dr. Christian Elsner, schwant ihm Böses: "Der ist erst zwei Monate im Amt, und das Defizit ist von 40 auf 60 Millionen gestiegen – und er hat gesagt, er will zehn Jahre bleiben!"

Mit Peter Krawietz übernahm einer der profiliertesten Redner der Mainzer Fastnacht dann das "Politische Protokoll". Der ehemalige Kulturdezernent der Stadt arbeitete sich in seinen Reimen an Brexit, Gorch Fock, Merkel und Kramp-Karrenbauer ab, an "Spiegel"- wie an Diesel-Affäre. Zu letzterer knöpfte er sich Lungenarzt Professor Dieter Köhler vor, der mit seinen Feinstaub-Kalkulationen Furore gemacht hatte: "Jetzt hör isch, dass der Mann / gar net reschne kann!"

Akademischer Vortrag zum Schein

Um dem Dekan den Hörsaal für seine Närrische Nachtvorlesung abzuschwatzen, müsse er mindestens einen "pseudomedizinischen" Vortrag zusichern, berichtet Vahl augenzwinkernd im Gespräch mit der "Ärzte Zeitung". Oder wie es die "Mieze von Mainz", Vahls Mitarbeiterin Dr. Kathrin Dohle, Funktionsoberärztin in der Gefäß-Chirurgie, in ihrer amüsanten Moderation ankündigt: "In einem Hörsaal, sagt der Schein / muss ein Vortrag mindestens akademisch sein."

Das erledigte der Professor dann selbst mit einer wissenschaftlich unwiderlegbaren Vorlesung, warum das Singen gesund ist: Es stärke das Immunsystem, stabilisiere das Herz-Kreislauf-System, wirke antidepressiv, entgifte, kräftige Bauch-, Zwerchfell- und Rückenmuskulatur und verbessere durch Ausschüttung und Abbau verschiedener Hormone sogar das Liebesleben, dozierte er mit Narrenkappe auf dem Kopf.

Den Beweis lieferte Vahl gleich selbst: Als "Meenzer Fischergarde" – bestehend nur aus ihm – zeigte er gleich zweimal, wie gut er mit Gitarre und Stimme umgehen kann. Um alle – ausnahmslos hervorragenden – Aktiven zu würdigen, fehlt hier der Platz, darum zum Abschluss der Abschiedsgruß von "Nachtwächter" Adi Guckelsberger: "Mein Vortrag, der ist aus / und darum geh ich aus dem Hörsaal raus."

Adschee und Helau!

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