Vorhofflimmern

Siegeszug der NOAKs hält an

Bei der oralen Antikoagulation bei Vorhofflimmern sitzen Hausärzte weiterhin zwischen allen Leitlinien-Stühlen. Insgesamt setzen sich die Nicht-Vitamin-K oralen Antikoagulanzien (NOAK) aber immer mehr durch.

Philipp Grätzel von GrätzVon Philipp Grätzel von Grätz Veröffentlicht:

BERLIN. Das Schöne an Standards ist, dass es so viele gibt, lautet ein Bonmot der IT-Szene. Hausärzten geht es bei der Antikoagulation von Patienten mit Vorhofflimmern (VHF) und den Leitlinienstandards ganz ähnlich: Sollen sie sich an die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft halten, wonach Nicht-Vitamin-K orale Antikoagulanzien (NOAKs) Patienten vorbehalten bleiben sollen, die keine Vitamin K-Antagonisten (VKA) vertragen? Sollen sie sich die (ähnliche) Leitlinie der DEGAM zu Eigen machen? Oder ist die Europäische Gesellschaft für Kardiologie (ESC) der Maßstab, immerhin die Experten für VHF? Die ESC lässt keinen Zweifel, dass NOAKs bevorzugt werden sollten. Begründung: Sie sind genauso effektiv, wenn nicht effektiver als VKA und verursachen weniger Hirnblutungen. Evidenzklasse IA.

Ärzte zu Spagat gezwungen

Die aktuellen Zahlen zur Versorgungsrealität in Deutschland spiegeln den Spagat, zu dem Ärzte beim VHF gezwungen werden, teilweise wider. Gregor Drogies von der DAK Gesundheit präsentierte bei einer von BMS und Pfizer unterstützten Fachtagung des IGES Instituts in Berlin eine Analyse der NOAK-Quoten nach Fachgruppen. Angiologen und Kardiologen haben ihre Leitlinie demnach weitgehend verinnerlicht: Über 80 Prozent der Tagesdosen oraler Antikoagulanzien bei VHF-Patienten sind hier NOAKs. Bei Allgemeinmedizinern und Internisten sind es rund 60 Prozent.

Diese Quoten decken sich grob mit noch vorläufigen Daten aus dem APAF-Register, die Professor Uwe Zeymer vom Herzzentrum am Klinikum Ludwigshafen in Berlin vorstellte. APAF basiert auf gut 5000 Patienten aus 103 Zentren in Deutschland, darunter 40 Kardiologen und 29 Hausärzte. Die NOAK-Quote über alle Zentren hinweg liegt hier im Einklang mit den DAK-Zahlen bei rund zwei Dritteln. In der Detailanalyse gebe es Hinweise, dass Patienten mit höherem Risiko, gemessen am CHA2DS2-VASc-Score, eher seltener NOAKs verordnet bekämen. Ob sich hier eine ungute Tendenz zeigt, älteren Patienten eher die "billigeren" Medikamente zu verordnen, ist nicht ganz klar.

Deutliche Unterschiede gibt es in den unterschiedlichen KV-Regionen, wie die DAK-Analyse belegt. So liegt die NOAK-Quote in Hamburg bei über 70 Prozent, in Nordrhein und in Westfalen-Lippe dagegen nur bei gut 50 Prozent. In Westfalen-Lippe ist dafür der Anteil nutzenbewerteter NOAKs (Apixaban, Edoxaban) mit 62 Prozent höher als überall sonst. Seitens der Krankenkassen gibt es keine pauschale Ablehnung der NOAKs mehr, wie Drogies betonte: "Unsere Position ist: Wenn NOAK, dann ein nutzenbewertetes."

Finanziell machen sich die NOAKs im Haushalt der GKV durchaus bemerkbar. Die Arzneimittelkosten für die orale Antikoagulation seien in den letzten vier Jahren um über 300 Prozent gestiegen, so Drogies: "Das sind schon Ausgaben, die an anderer Stelle kompensiert werden müssen." Allerdings gebe es in den Abrechnungsdaten auch Hinweise darauf, dass deutlich mehr Patienten mit Vorhofflimmern als früher überhaupt behandelt werden. Eine Hypothese wäre demnach, dass VHF-Patienten, die früher wegen Sicherheitsbedenken keine VKA bekommen hätten, heute häufig NOAKs erhalten. Wäre das so, müsste die Schlaganfallquote in bestimmten Populationen abnehmen. Das sei bisher nicht analysiert worden, so Drogies. Auch Analysen, ob deshalb Hirnblutungen zurückgehen, gibt es bisher nicht.

ESC-Leitlinie zwingt, nachzudenken

Theoretische Überlegungen dieser Art helfen "an der Front" ohnehin nur begrenzt weiter. Die Hausärztin Dr. Petra Sandow aus Berlin betonte, dass sie bei der oralen Antikoagulation täglich zwischen den Stühlen sitze. Für sie als Hausärztin wiege keineswegs automatisch die DEGAM- oder AKdÄ-Leitlinie schwerer als andere: "Natürlich ist das Arzneimittelbudget im Hinterkopf präsent. Aber die ESC-Leitlinie zwingt jeden Hausarzt dazu, nachzudenken. NOAKs sind besser, was die Wirksamkeit angeht. Sie sind besser, was die Sicherheit angeht. Und wir sollten uns schon fragen, was wir selbst nehmen würden, wenn wir in die Situation kämen."

Das zentrale Gegenargument der hohen Kosten bei hoher Number-Needed-to-Treat lässt Sandow nur bedingt gelten. Zwar sei der Unterschied bei den Tagestherapiekosten mit 20 Cent gegenüber 2,5 bis 3,5 Euro groß. Würden allerdings die Teststreifen im Selbstmanagement mit einbezogen, stiegen die Tagestherapiekosten der VKA-Therapie schon auf 1,40 Euro. Und bei der Praxismessung sei der bürokratische Aufwand "mit 30, 40, 50 Quickmessungen an jedem Montagmorgen" immens. Dass die ständigen Gerinnungskontrollen eine compliancefördernde Maßnahme seien, hält Sandow für unbewiesen. Sie setzt deswegen bei der Mehrheit ihrer Patienten auf NOAKs.

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