Verloren in der Welt des Internets? Psychiater bietet Online-Hilfe an

HANNOVER (cben). Der Psychiater Bert te Wildt von der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) wollte ursprünglich in der virtuellen Computerwelt des "Second life" eine Online-Praxis für Internet-süchtige Patienten eröffnen. Jetzt hat er seine Pläne geändert. Aber bei der Sprechstunde vor dem Bildschirm bleibt es.

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Der Psychiater Bert te Wildt bietet per Webcam Gespräche an.

Der Psychiater Bert te Wildt bietet per Webcam Gespräche an.

© Foto: MHH

In der virtuellen Online-Welt des "Second life" kann sich jedermann einen "Avatar" schaffen, einen computeranimierten Doppelgänger von sich - allerdings auf Wunsch mit einer anderen Identität, anderem Aussehen, einem anderen Beruf und anderen Gewohnheiten als im Alltag dessen, der ihn erschuf. In dieser Parallelwelt hat der Psychiater von der MHH ein virtuelles Grundstück erworben. "Jetzt werde ich dort für Webcam-Gespräche werben, aber auf keinen Fall einen Avatar behandeln, denn einen Avatar kann man nicht therapieren", so te Wildt.

"Wenn ich die Patienten direkt in der Praxis in ,Second life‘ behandeln würde, dann würde ich die Internet-Sucht der Betroffenen ja noch verstärken", erklärt te Wildt der "Ärzte Zeitung". Außerdem würde er nicht erfahren, mit wem er es eigentlich zu tun hat. "Trotzdem ist es sinnvoll, kontaktgestörten Patienten zunächst über den Bildschirm zu begegnen."

Wie für jeden Patienten, sei es auch für die im Internet Verirrten wichtig, sie dort abzuholen, wo sie sich aufhalten - und wenn es im "Second life" ist. Zunächst denkt te Wildt an Gespräche per Webcam, die immerhin den Kontakt Auge in Auge ermöglichen.

"Ziel ist natürlich, dass die Patienten real in unsere Sprechstunde an der MHH kommen." Indessen sind rechtliche Fragen des Plans noch nicht beantwortet. Was tun, wenn eine Selbsttötung angekündigt wird, der Internet-User dann aber offline geht, also verschwindet? "Auch brauche ich von meinen Patienten eine schriftliche Einverständniserklärung", sagt te Wildt, "auch bei Gesprächen per Webcam".

Gefährdet sind junge Männer, die im Alltag keinen Tritt fassen.

Das Vorhaben, das zunächst kurios anmutet, hat einen ernsten Hintergrund. "Manche Studien gehen davon aus, dass zwischen drei und sieben Prozent der Bevölkerung computersüchtig sind", so te Wildt. Er geht davon aus, dass die "Zahlen von Patienten mit wirklich klinischer Prävalenz deutlich unter drei Prozent liegen". Vor allem seien junge Männer betroffen, die in ihrem Alltag privat und beruflich keinen Tritt fassen können. Gleichwohl mahnt te Wildt zur Besonnenheit. Computer würden heute ähnlich misstrauisch beurteilt wie einst der Fernseher.

"Aber es gibt bis heute keine ernsthafte Fernsehsucht", meint der Psychiater, "sondern Menschen mit dieser vermeintlichen Störung leiden eher unter Depressionen. Die Frage ist, wie es sich bei der Computersucht verhält. Vielleicht ähnlich." Die Online-Welt könne allerdings das Erleben der eigenen Identität in Frage stellen, so te Wildt.

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