Umfrage der AOK Baden-Württemberg

Wartezeiten von teils mehr als vier Monaten auf Facharzttermin in Baden-Württemberg

Umfrageergebnisse der AOK Baden-Württemberg befeuern die Reformdebatte: Patienten wünschen sich vor allem rasche Termine und sprechende Medizin. Die Befragung zeigt massive Unterschiede zwischen Haus- und Fachärzten.

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Die AOK Baden-Württemberg hat in einer Umfrage Wartezeiten auf einen Termin beim Haus- oder Facharzt ermitteln lassen. Die Unterschiede fallen groß aus.

Die AOK Baden-Württemberg hat in einer Umfrage Wartezeiten auf einen Termin beim Haus- oder Facharzt ermitteln lassen. Die Unterschiede fallen groß aus.

© Wellnhofer Designs/stock.adobe.com

Stuttgart. In Baden-Württemberg wartet mehr als jeder fünfte GKV-Patient (22 Prozent) länger als vier Monate auf einen Termin beim Facharzt. Acht Prozent warten sogar länger als ein halbes Jahr. Das geht aus einer Umfrage des Instituts Civey im Auftrag der AOK Baden-Württemberg hervor, die die Kasse am Mittwochabend in Stuttgart vorgestellt hat. Dafür wurden im April dieses Jahres 1.000 Bürger über 16 Jahre befragt, die ihren Hauptwohnsitz in Bundesland haben.

Der Umfrage zufolge erhalten rund 17 Prozent der Patienten binnen einer Woche einen Termin. Weitere rund 15 Prozent der Befragten geben an, ein bis zwei Wochen warten zu müssen. Deutlich ist die Situation bei Hausärztinnen und Hausärzten: Etwa 14 Prozent der Befragten gaben an, noch am selben Tag in die Praxis gehen zu können. Rund 65 Prozent der Befragten können binnen einer Woche den Hausarzt aufsuchen und bei fast 80 Prozent ist dies innerhalb von 14 Tagen der Fall. Zugleich geben 70 Prozent der Befragten an, eine einfache Terminvereinbarung beim Arzt sei ihnen „sehr wichtig“. Weitere 24 Prozent bezeichnen diesen Punkt als „eher wichtig“.

Welcher Freiraum bleibt für Akteure in Baden-Württemberg?

Damit rangiert die Möglichkeit, unkompliziert einen Termin zu erhalten unter den „Top 3“ der Präferenzen von Patienten. Noch höher gewichtet werden nur die wohnortnahe Versorgung (78 Prozent sagen „sehr wichtig“) und die Tatsache, dass sich Arzt oder Ärztin ausreichend Zeit für die Anliegen des Patienten nehmen (75 Prozent sagen „sehr wichtig“).

Wartezeiten von teils mehr als vier Monaten auf Facharzttermin in Baden-Württemberg

© AOK Baden-Württemberg

Die Versorgungslandschaft muss so gestaltet werden, dass es ausreichend Zeit für das direkte Patientengespräch gibt.

Johannes Bauernfeind, Vorstandsvorsitzender AOK Baden-Württemberg


Dass zusammen 94 Prozent der Befragten eine schnelle Terminvergabe für wichtig oder sehr wichtig halten und zugleich 22 Prozent länger als vier Monate auf eine Facharzt-Konsultation warten müssen, sind für Johannes Bauernfeind, Vorstandsvorsitzender der AOK Baden-Württemberg, zwei zentrale Ergebnisse der Umfrage. „Strukturveränderungen sind absolut notwendig. Das Gesundheitssystem muss (...) einen Rahmen für eine verbindliche Primärversorgung setzen“, sagt der Kassenchef der Ärzte Zeitung. Dass im Koalitionsvertrag ein Primärarztsystem skizziert werde, sei ein „guter Ansatz und ein Schritt, der längst überfällig ist“.

Im Auge behalten müsse man allerdings, wie das Primärarztsystem im Kollektivsystem ausgestaltet werden soll, mahnte Bauernfeind. Das gelte auch für die Frage, „welche Freiräume für regionale Akteure bleiben und in welcher Form die HZV weiterbefördert wird“, sagt der Kassenchef mit Blick auf das bundesweit einmalige Netz aus HZV und Facharztverträgen, das seit 2008 im Südwesten entstanden ist.

Starker Wunsch nach „sprechender Medizin“

Die Effekte der Hausarztzentrierten Versorgung ließen sich an den Umfrageergebnissen gut ablesen, denn die Versicherten erhielten relativ kurzfristig und problemlos einen Termin bei ihrem Hausarzt. „Im Fokus steht für uns die zielgerichtete Einsteuerung in die fachärztliche Versorgung“, sagt Bauernfeind. Die Ergebnisse der Umfrage bestätigten den ausgeprägten Wunsch der Befragten nach „sprechender Medizin“ und ausreichend Zeit für ihre Anliegen (94 Prozent bezeichnen dies als „sehr wichtig“ oder „eher wichtig“).

Die Schlussfolgerung Bauernfeinds: „Die medizinische Versorgungslandschaft muss so gestaltet werden, dass es ausreichend Zeit für das direkte Patientengespräch gibt. Das ist essenziell, weil es Vertrauen schafft, eine präzisere Diagnostik ermöglicht und die Grundlage für individuelle Therapien bildet.“ Die HZV gebe hier eine richtige Antwort dadurch, dass ein multiprofessionelles Team – durch Einbindung von Versorgungsassistentinnen (VERAHs) oder Physician Assistants (PA) – die Patienten versorgt.

Fast jeder Fünfte nahm an keiner Vorsorgeuntersuchung teil

Die Umfrage gibt zudem wieder, wie einseitig das Gesundheitssystem in Deutschland auf Kuration fokussiert ist. Auf die Frage, wie häufig sie in den vergangenen zwölf Monaten einen Haus- oder Facharzt wegen akuter Beschwerden aufgesucht haben, gibt knapp die Hälfte der Befragten (49 Prozent) ein bis drei Mal als Antwort an. Rund 16 Prozent haben vier bis sechs Mal in diesem Zeitraum Ärzte aufgesucht – knapp fünf Prozent taten dies sogar mehr als zehn Mal.

Umgekehrt lässt die Befragung Lücken bei der Vorsorge erkennen: Rund zwei Drittel nahmen demnach in den vergangenen zwölf Monate ein bis drei Mal eine Vorsorge wahr (65 Prozent). Rund 18 Prozent nahmen dagegen an gar keiner Vorsorge teil. „Die Gesundheitskompetenz der Menschen muss erhöht werden“, folgert Bauernfeind. Dabei sei eine frühzeitige Gesundheitsbildung zentral für die Förderung der Gesundheitskompetenz. Der Kassenchef spricht sich für die Schaffung eines Schulfachs „Gesundheit“ in Baden-Württemberg aus.

Für all diese Schritte benötige die GKV eine finanzielle Stabilisierung. Dass die neue Bundesgesundheitsministerin Nina Warken (CDU) dazu auch kurzfristige Maßnahmen angekündigt hat, sei richtig, sagt Bauernfeind. Freilich reiche dies alleine nicht aus: „Was die GKV jetzt braucht, ist keine Notoperation, sondern eine nachhaltige Stabilisierung.“ (fst)

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