EU-Auslandsbehandlung

Wenn Kostenübernahme das heimische System überlastet

Bei Patienten aus Rumänien, die sich in Deutschland behandeln lassen, können Ärzte sich auf die Erstattung der Kosten verlassen. Nun regt ein Gutachter des Europäischen Gerichtshofs an, dass ärmere Länder nicht in jedem Fall zahlen müssen.

Martin WortmannVon Martin Wortmann Veröffentlicht:
Zusammenhalt: Werden ärmere Länder bei der Kostenübernahme von Auslandbehandlungen alleine gelassen?

Zusammenhalt: Werden ärmere Länder bei der Kostenübernahme von Auslandbehandlungen alleine gelassen?

© froxx / fotolia.com

Drei Patienten pro Bett, keine Schmerzmittel und keine sterilen Verbände. Nach den Beobachtungen einer herzkranken Rumänin fehlte es in der Herzklinik in Temeswar an den grundlegendsten Dingen. Keine guten Voraussetzungen für eine Operation am offenen Herzen.

Eine Behandlung im Ausland lehnte die rumänische Krankenkasse allerdings ab. Dennoch entschied sich die Patientin für eine Operation in Deutschland, um die Mitralklappe auszutauschen und zwei Stents einzusetzen.

Und sie ist nicht die Einzige: Nach Zahlen des Statistischen Bundesamts ließen sich 2006, dem Jahr vor dem EU-Beitritt Rumäniens insgesamt 63.617 Patienten mit Auslandswohnsitz in deutschen Krankenhäusern behandeln, davon 601 aus Rumänien.

Während die Gesamtzahl bis 2012 um weniger als die Hälfte auf 90.716 anstieg, sind es nun aus Rumänien bald fünfmal so viele - genau 2779 im Jahr 2012.

"Gerade einmal drei von 400 öffentlichen Krankenhäusern im Land erfüllen europäische Standards", berichtete im Februar 2013 "Die Welt". "In anderen Kliniken tummeln sich Ratten zwischen den Patienten und die Ärzte arbeiten nur gegen ein entsprechendes Handgeld."

Ärzte sind willkommen - Patienten, wenn sie zahlen

Vielleicht tun sie das, um das Bestechungsgeld wieder herein zu bekommen, das sie selbst für ihre eigene Anstellung zahlen mussten. Darüber jedenfalls berichtete im Dezember 2013 die Bukarester Journalistin Elena Stancu in der "Süddeutschen Zeitung".

So verlassen auch viele rumänische Ärzte ihre Heimat. 544 kamen allein 2013 nach Deutschland. Nach der Statistik der Bundesärztekammer wurde Rumänien zum wichtigsten Herkunftsland ausländischer Ärzte überhaupt. Insgesamt 31.236 ausländische Ärzte gab es Ende 2013 in Deutschland - knapp das Doppelte im Vergleich zu Ende 2006.

Die Zahl der Ärzte aus Rumänien hat sich unterdessen auf 3454 nahezu verfünffacht.

Die Ärzte sind vor allem in deutschen Kliniken willkommen. Die Patienten auch - wenn sie bezahlen können. Oder ist hier der rumänische Staat in der Pflicht, so dass Kliniken und Ärzte in Deutschland auch ärmere Patienten behandeln können?

Der Fall der rumänischen Herzpatientin wirft nun ein Schlaglicht auf die prekäre Gesundheitsversorgung in Rumänien und die damit verbundenen rechtlichen und ethischen Fragen.

Auf 17.715 Euro beliefen sich ihre Behandlungskosten. Mit einer Klage fordert sie dieses Geld von ihrer Krankenkasse zurück. Das rumänische Gericht in Sibiu legte den Streit dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg vor.

Dort hat sich nun ein einflussreicher gerichtlicher Rechtsgutachter auf die Seite des Staates geschlagen (Az.: C-268/13; EuGH-Schlussanträge vom 19. Juni 2014).

Mit einem Kompromissvorschlag will der sogenannte Generalanwalt beim EuGH, Pedro Cruz Villalón, die Sozialkassen armer Herkunftsländer schützen.

Nach bisheriger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs können sich EU-Bürger in einem anderen Staat behandeln lassen, wenn eine in ihrem Heimatland eigentlich gewährte Behandlung dort nicht rechtzeitig möglich ist.

Belastungen durch "Gesundheitsmigration"

Nun hat das oberste EU-Gericht erstmals zu entscheiden, wie es bei gänzlich fehlenden Mitteln aussieht. Nach Überzeugung Cruz Villalóns müssen die osteuropäischen EU-Staaten keine Kosten stemmen, die sie letztlich nicht tragen können.

Bezahlen sollen sie danach nur, wenn es um einen "punktuellen und vorübergehenden Mangel" geht, nicht aber, wenn der Mangel an medizinischen Mitteln "einem strukturellen Mangel entspricht".

Hier käme eine Pflicht zur Kostenübernahme nach Ansicht des Generalanwalts nur dann in Betracht, wenn dies die Funktionsfähigkeit des Leistungssystems des Herkunftslandes nicht infrage stellen würde - also wohl nur bei besonders seltenen Krankheiten.

Müssten die Länder "die finanzielle Belastung einer massiven Gesundheitsmigration" tragen, dann würde dies die für den Gesundheitssektor verfügbaren Mittel verschlingen, argumentiert Cruz Villalón. Die Versorgung in dem jeweiligen Herkunftsland würde dann noch mehr leiden.

Rumänien gibt nur weniger als vier Prozent seines Bruttoinlandsprodukts für die Gesundheitsversorgung aus (Deutschland über zehn Prozent). Auch gemessen an der Wirtschaftskraft ist Rumänien damit das Schlusslicht in der EU.

Der EuGH wird sein Urteil voraussichtlich im Herbst verkünden. Die sogenannten Schlussanträge Cruz Villalóns sind dabei nicht bindend, der EuGH folgt ihnen aber in den allermeisten Fällen.

Auf die mit dem Urteil verbundenen ethischen Fragen kann es eine befriedigende Antwort nicht geben. Umso wichtiger ist eine politische Antwort, bei der die EU Bukarest nicht alleine lassen darf.

Ihr Newsletter zum Thema
Mehr zum Thema
Das könnte Sie auch interessieren
Innovationsforum für privatärztliche Medizin

© Tag der privatmedizin

Tag der Privatmedizin 2025

Innovationsforum für privatärztliche Medizin

Kooperation | In Kooperation mit: Tag der Privatmedizin
Klaus Reinhardt, Präsident der Bundesärztekammer und Vizepräsident der Ärztekammer Westfalen-Lippe, hofft, dass das BMG mit der Prüfung des Kompromisses zur GOÄneu im Herbst durch ist (Archivbild).

© picture alliance / Jörg Carstensen | Joerg Carstensen

Novelle der Gebührenordnung für Ärzte

BÄK-Präsident Reinhardt: Die GOÄneu könnte 2027 kommen

Kommentare
Sonderberichte zum Thema
Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Symposiums v.l.n.r.: Professor Karl Broich (BfArM), Dr. Jürgen Malzahn (AOK-Bundesverband), Dr. Christine Mundlos (ACHSE e.V.), Hauke Gerlof (Ärzte Zeitung), Dr. Johanna Callhoff (DRFZ), Professor Christoph Schöbel (Ruhrlandklinik, Universitätsmedizin Essen), Privatdozent Dr. Christoph Kowalski (Deutsche Krebsgesellschaft), Dr. Peter Kaskel (Idorsia)

© Thomas Kierok

ICD-11: Die Zeit ist reif für die Implementierung

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: Idorsia Pharmaceuticals Germany GmbH, München
Ein Medikament unter vielen, das wenigen hilft? 2400 Wirkstoff-Kandidaten in der EU haben den Orphan-Drug-Status.

© artisteer / Getty Images / iStock

Wirkstoff-Kandidaten mit Orphan-Drug-Status

Orphan Drugs – Risiken für ein Modell

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: Verband forschender Pharma-Unternehmen (vfa)
Ein junges Mädchen wird geimpft – gegen HPV? (Symbolbild mit Fotomodellen)

© milanmarkovic78 / stock.adobe.com

Vision Zero Onkologie

Die Elimination des Zervixkarzinoms

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: Vision Zero e.V.
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Jetzt neu jeden Montag: Der Newsletter „Allgemeinmedizin“ mit praxisnahen Berichten, Tipps und relevanten Neuigkeiten aus dem Spektrum der internistischen und hausärztlichen Medizin.

Top-Thema: Erhalten Sie besonders wichtige und praxisrelevante Beiträge und News direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen

Krebs in Deutschland

Bei zwei Krebsarten nahm die Sterblichkeit am stärksten ab

Lesetipps
Die Luftbelastung in Innenräumen mit Reinigungsprodukten betrifft jede Person. Sie beeinflusst unsere Lungenfunktion, und das lebenslang. Diese Gefahr wird unterschätzt. So die Meinung einer Pneumologin aus Italien.

© natali_mis / stock.adobe.com

Verschmutzte Luft

Was Reinigungsmittel in der Lunge anrichten können