Wettbewerb lässt das Kassensystem knirschen

Etwa 25 gesetzliche Krankenkassen verfügen derzeit über keine ausreichende Finanzreserve, meldet das Bundesversicherungsamt. Sind sie nur kurzfristig klamm oder stehen sie vor der Pleite?

Anno FrickeVon Anno Fricke Veröffentlicht:
Eine Kundin auf dem Weg, sich von der City BKK zu verabschieden. Der Versicherungslandschaft steht weitere Konsolidierung bevor.

Eine Kundin auf dem Weg, sich von der City BKK zu verabschieden. Der Versicherungslandschaft steht weitere Konsolidierung bevor.

© Pedersen / dpa

BERLIN. Von den etwa 100 bundesweit geöffneten gesetzlichen Krankenkassen verfügt jede vierte derzeit nicht über die gesetzlich vorgeschriebenen finanziellen Rücklagen. Dies hat ein Sprecher des Bundesversicherungsamtes (BVA) der "Ärzte Zeitung" bestätigt.

Krankenkassen müssen immer ein Viertel ihrer durchschnittlichen Monatsausgaben flüssig haben. Mehr als 100 Prozent der Monatsausgaben darf die Reserve allerdings nicht betragen.

Sinke die Reserve unter den Mindestwert, sei dies ein Indiz dafür, dass die Kasse ihre finanzielle Situation verbessern müsse, sagte BVA-Sprecher Tobias Schmidt. Dies könne bedeuten, dass sie an den Satzungsleistungen und Personal sparen oder Zusatzbeiträge erheben müsse.

Kassen "pokern" mit dem Einsatz Zusatzbeiträge

Stelle das BVA eine solche Unterdeckung fest, fordere das Amt den Verwaltungsrat der auffälligen Kasse auf, etwas dagegen zu unternehmen.

Ein Alarmzeichen sei dies vorläufig noch nicht, heißt es aus dem Bundesgesundheitsministerium (BMG). Die Rücklage einer Kasse könne kurzfristig unter den geforderten Wert sinken. Es sei möglich, dass Kassen "hoch pokerten", um keinen Zusatzbeitrag erheben zu müssen, hieß es aus Ministeriumskreisen.

Dies bestätigt auch der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen. "Die Politik hat entschieden, dass Krankenkassen, denen die Zuweisungen aus dem Gesundheitsfonds für die Versorgung ihrer Versicherten nicht ausreichen, Zusatzbeiträge nehmen. Diesen Schritt möchte natürlich jede Kasse so lange wie möglich hinaus schieben", sagte Verbandssprecher Florian Lanz der "Ärzte Zeitung".

Für das laufende Jahr sehe der Verband die gesetzliche Krankenversicherung an sich als ausreichend finanziert an. Von Kasse zu Kasse könne die konkrete Situation allerdings sehr unterschiedlich sein.

"Haltlos und falsch"

In seiner jüngsten Ausgabe hat der "Spiegel" darauf hingewiesen, dass es bei der City BKK schon lange Hinweise auf die Pleite gegeben habe, dass das Bundesversicherungsamt als Aufsichtsbehörde aber durch seine "politisch gewollten" Sanierungsbemühungen den Schrecken ohne Ende einem frühzeitigen Ende mit Schrecken vorgezogen habe.

Dies sei "haltlos und falsch" entgegnet BVA-Präsident Dr. Maximilian Gaßner darauf. Zur Sanierung sei das Amt gesetzlich verpflichtet gewesen.

Die defizitäre Entwicklung der City BKK sei nicht mehr zu stoppen gewesen, nachdem wegen der Erhöhung des Zusatzbeitrages auf monatlich 15 Euro immer mehr Mitglieder die Kasse verlassen hätten. Von Insolvenzverschleppung könne schon deshalb keine Rede sein, weil das Amt die Kasse geschlossen habe, bevor sie ins Insolvenzverfahren gegangen sei.

Der Wettbewerb und seine Folgen sind gewollt

Ordentliche Bilanzen, die dem Markt vollständige Signale liefern könnten, müssen die gesetzlichen Krankenkassen nicht erstellen. Der gesundheitspolitische Sprecher der Unionsfraktion Jens Spahn will sie deshalb in diesem Punkt in die Pflicht nehmen. Der GKV-Spitzenverband hält die bestehenden Aufsichtsmechanismen für ausreichend.

In Kassenkreisen ist man darüber nicht glücklich. Schließlich müssen die BKKen zum Beispiel für die City BKK mithaften. Ohne genau zu wissen, was in deren Büchern schief gelaufen ist.

Im Ministerium sieht man der Debatte gelassen zu. Von Ulla Schmidt (SPD) über Philipp Rösler bis Daniel Bahr (beide FDP) haben die Gesundheitsminister in jüngerer Zeit Kassenschließungen und -fusionen bis hin zur Pleite als Folge des "politisch gewollten Wettbewerbs" bezeichnet.

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