Alternative zu russischem Erdgas

Alle wollen Flüssiggas: Ein Boom mit Verfallsdatum

Nach Russlands Angriff auf die Ukraine wollen die EU-Staaten unabhängig vom Erdgas aus dem Aggressorland werden und setzen nun auf Flüssiggas. Das treibt die Aktienkurse der Fördergesellschaften in den USA und der Reedereien, die auf den Transport des tiefgekühlten Brennstoffs spezialisiert sind.

Von Richard Haimann Veröffentlicht:
Versorgung übers Meer: Mit LNG-Importen will sich Europa unabhängig von russischem Erdgas machen.

Versorgung übers Meer: Mit LNG-Importen will sich Europa unabhängig von russischem Erdgas machen.

© alexyz3d / stock.adobe.com

Neu-Isenburg. Mit einem mächtigen „Rumms“ kracht die Ramme herunter und treibt die Stütze in den Schlick. Seit Monatsbeginn wird in Wilhelmshaven das erste von sechs geplanten deutschen Flüssiggas-Terminals errichtet.

Sie sollen Deutschland nach Russlands Überfall der Ukraine unabhängig machen von Gas aus dem Aggressorland. Ersetzt werden soll es durch Flüssiggas, mit Schiffen herangebracht aus dem Nahen Osten und Nordamerika. „Die Terminals werden unsere Energieversorgung sichern“, sagt Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck.

Flüssiggas, abgekürzt LNG nach dem englischen Fachbegriff Liquefied Natural Gas, ist für Europa die kurzfristig verfügbare Alternative zu russischem Erdgas. Allein in Deutschland wird jede zweite Wohnung mit Erdgas beheizt, knapp neun Prozent des Stroms durch die Verbrennung des fossilen Energieträgers erzeugt. Gut die Hälfte davon stammen aus Russland. Kaum anders ist die Situation in Italien und Österreich.

Reedereien auf Kurs

„Weltweit wächst der Bedarf an LNG, weil sich Staaten dadurch unabhängiger bei der Energieversorgung machen“, sagt Adrian Roestel, Stratege beim Vermögensverwalter Huber, Reuss & Kollegen. „Flüssiggas wird zum großen Investmentthema.“ LNG ist Erdgas. Doch um es mit speziellen Schiffen transportieren zu können, muss es auf minus 161 Grad Celsius heruntergekühlt werden. Dadurch wird es flüssig und schrumpft auf ein Sechshundertstel seines Volumens.

Mit welcher Macht in der EU die Abkehr von russischem Gas vorangetrieben wird, zeigen jüngste Daten der Brüsseler Denkfabrik Bruegel. Danach wurden in den ersten vier Monaten dieses Jahres 50,4 Milliarden Kubikmeter LNG in EU-Staaten importiert – knapp 20 Milliarden Kubikmeter mehr als im Vergleichszeitraum 2021. Habeck ist bereits nach Katar gereist, um zusätzliche Lieferungen mit dem Emirat auszuhandeln. Fördergesellschaften in den USA wie Cheniere Energy haben angekündigt, neue Gasfelder zu erschließen und die Ausbeute bestehender zu erhöhen.

Aktionäre von Cheniere Energy zählen denn auch zu den Gewinnern der neuen Lieferprioritäten im Gasgeschäft. In den vergangenen drei Monaten ist der Aktienkurs um mehr als 25 Prozent gestiegen. Allerdings hat das Papier auch in den Jahren zuvor schon stetig stark zugelegt; seit 2012 hat sich der Kurs mehr als verneunfacht. Nach Konsensschätzung der Analysten soll die Jahresdividende von zuletzt umgerechnet 0,62 Euro je Aktie auf 1,1 Euro in diesem Jahr und 1,35 Euro in 2023 steigen.

Von der steigenden Nachfrage nach Flüssiggas profitiert auch die auf LNG-Frachter spezialisierte griechische Reederei Gaslog Partners. Ihr Aktienkurs ist in den vergangenen drei Monaten um mehr als 18 Prozent gestiegen, in den vergangenen zwölf Monaten sogar um mehr als 53 Prozent. Nach den starken Kursgewinnen haben aktuell zwei Drittel der Analysten das Papier mit „Halten“ eingestuft, ein Drittel sieht noch weiteres Kurspotenzial und rät zum Kauf.

Klimapolitik im Auge behalten

Die in Monaco ansässige Reederei Dynagas LNG Partners ist ebenfalls auf den Seetransport von Flüssiggas spezialisiert. In den vergangenen zwölf Monaten hat ihr Aktienkurs um mehr als 40 Prozent zugelegt. Bereits im vierten Quartal 2021, noch vor dem Ukraine-Krieg, hatte das Unternehmen sein Ergebnis je Aktie um 18,9 Prozent auf 0,88 US-Dollar pro Anteilsschein gesteigert.

Was Anleger bedenken sollten: Deutschland und die übrigen EU-Staaten wollen bis 2045 vollständig fossile Energien durch Geothermie, Wasser-, Wind- und Solarkraft ersetzen. Der LNG-Boom dürfte deshalb nur einige Jahre währen. Wer langfristig investieren will, könnte deshalb besser mit Aktien von Unternehmen fahren, die jetzt von der steigenden Nachfrage nach Flüssiggas profitieren, zugleich aber immer stärker auf erneuerbare Energie setzen.

In Deutschland zählt dazu der Versorger RWE, der Flüssiggas aufkauft und vertreibt und am geplanten LNG-Terminal in Brunsbüttel mit zehn Prozent beteiligt ist, zugleich aber immer mehr Wind- und Solarparks errichtet. Die Aktie hat seit April 2021 mehr als 24 Prozent gewonnen. 20 Analysten haben das Papier mit „Kaufen“, nur zwei mit „Halten“ eingestuft. Die Dividendenrendite beträgt aktuell 2,24 Prozent.

Auch der italienische Energieversorger Enel schafft immer mehr Wasser-, Wind- und Solarparks – und errichtet gegenwärtig zwei LNG-Terminals. „Wir wollen die 29 Milliarden Kubikmeter Erdgas ersetzen, die wir bislang aus Russland erhalten“, sagt Italiens Umweltminister Roberto Cingolani. Enel hat 2021 seine Dividende um 6,1 Prozent auf 0,38 Euro je Aktie angehoben. Laut Analysten-Konsens soll sie dieses Jahr 0,40 Euro betragen.

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