Interview

Ausweg aus der Krise mit vereinten Kräften

Mit zwei Antikörpern und einem JAK-1- und JAK-2-Inhibitor will das Unternehmen Lilly die Behandlungsoptionen für COVID-19-Patienten erweitern. Über Ausnahmesituationen in Krisenzeiten und gesellschaftliche Verantwortung äußert sich Lilly Deutschland-Chefin Petra Jumpers im Gespräch mit der „Ärzte Zeitung“.

Von Wolfgang van den Bergh Veröffentlicht:
Das öffentliche Interesse an der Pharmaindustrie ist größer geworden: Petra Jumpers und Wolfgang van den Bergh.

Das öffentliche Interesse an der Pharmaindustrie ist größer geworden: Petra Jumpers und Wolfgang van den Bergh.

© [M] Preugschat / Weiszhaupt

Ärzte Zeitung: Frau Jumpers, angesichts hoher Infektionszahlen steigt der Erwartungsdruck, nicht nur einen sicheren Impfstoff gegen COVID-19 zu finden, sondern auch nach geeigneten Behandlungsoptionen zu suchen. Was kann Lilly anbieten?

Petra Jumpers: Die Pandemie ist neben der individuellen Belastung für jeden von uns eine der weltweit größten medizinisch-wissenschaftlichen Herausforderungen der letzten Jahrzehnte. Einen Ausweg kann es nur mit vereinten Kräften geben. Das hat uns veranlasst, uns an der Forschung zu beteiligen und Medikamente für die Behandlung von COVID-19-Patienten zu entwickeln. Aktuell haben wir drei Moleküle in der Pipeline: zwei Antikörper sowie einen JAK-1- und JAK-2- Inhibitor. Etesevimab wird in Kombination mit Bamlanivimab in einer Studie geprüft. Bamlanivimab wird darüber hinaus sowohl als Monotherapie als auch in verschiedenen anderen Kombinationen untersucht. Aktuell laufen dazu drei Studien, zwei weitere Studien sind in Planung.

Nun hat die US-amerikanische Zulassungsbehörde FDA hier kürzlich eine Notzulassung erteilt. Bei welchen COVID-19-Patienten kann Bamlanivimab eingesetzt werden?

Das ist richtig. Die FDA hat am 9. November den Einsatz von Bamlanivimab in den USA autorisiert. Der Wirkstoff kann bei erwachsenen Patienten und Kindern ab 12 Jahren eingesetzt werden, die eine nachgewiesene leichte bis mittelschwere COVID-19-Infektion haben sowie ein hohes Risiko für einen schweren Verlauf und/oder eine Hospitalisierung.

Und es hat eine weitere Notzulassung gegeben …

… dabei geht es um Baricitinib, das in Kombination mit Remdesivir am 19. November die Notzulassung in den USA erhalten hat. Die Autorisierung gilt für bereits hospitalisierte erwachsene und pädiatrische Patienten ab zwei Jahren, die vermutlich oder laborbestätigt eine COVID-19-Infektion haben. Deren Erkrankung ist so weit fortgeschritten, dass sie zusätzlichen Sauerstoff, eine invasive mechanische Beatmung oder eine extrakorporale Membranoxygenierung benötigen. Außerdem läuft eine Phase-3-Studie für die Monotherapie von Baricitinib bei hospitalisierten Patienten. Hier sind wir natürlich auf die Ergebnisse gespannt, die wir im Dezember oder Januar erwarten.

Petra Jumpers

  • Aktuelle Position: Seit November 2019 Geschäftsführerin von Lilly Deutschland. Ihre Zuständigkeit erstreckt sich auch auf Österreich und die Schweiz.
  • Ausbildung: Studium der Betriebswirtschaft in Aachen.
  • Karriere: 2002 steigt sie als Außendienst-Mitarbeiterin bei Lilly ein; nach zwei Jahren wechselt sie ins Marketing und begleitet dort die Einführung eines ADHS-Medikaments. 2009 geht sie nach Japan, wo sie die Einführung dieses Medikaments verantwortet. Anschließend ist sie zwei Jahre als Distriktleiterin in Deutschland tätig. Im Juni 2011 geht sie in die USA und übernimmt dort für dreieinhalb Jahre verschiedene Aufgaben im Bereich „Mens Health“ in der amerikanischen Filiale sowie im globalen Marketing. Weitere zwei Jahre arbeitet sie als Chief Operating Officer der Geschäftseinheit „Emerging Markets“. Danach wechselt sie als Geschäftsführerin nach Taiwan.

Neben großen Erfolgen gibt es in der Forschung immer wieder Rückschläge. Das ist grauer Alltag. Davon erfahren jetzt immer mehr Menschen. Ist das eher positiv oder negativ?

Auf jeden Fall ist das positiv. Das öffentliche Interesse an der Pharmaindustrie ist durch COVID-19 viel größer geworden. Die Öffentlichkeit fragt nach, woher die Moleküle kommen. Sie erfahren mehr über die Komplexität der Abläufe bis zur Zulassung und zur Markteinführung. Damit wird auch klar, wie sorgfältig hier vorgegangen wird und welche Logistik dahintersteckt. Ich würde sagen, dass heute viel stärker wahrgenommen wird, wie relevant die forschende Pharmaindustrie für die Gesunderhaltung der Gesellschaft ist. Wir finden das toll.

Im Zuge der Pandemie sind die behördlichen Genehmigungsprozesse beschleunigt worden. Wird das dazu führen, bürokratische Prozesse im Zulassungs- und Nutzenbewertungsverfahren abzubauen?

Ich denke schon. Klar ist: An oberster Stelle muss die Sicherheit der Patienten stehen. Dennoch gibt es Verfahren, die optimiert werden können, wenn die kleinen Rädchen besser ineinandergreifen. Wenn der Ausnahmezustand vorbei ist, sollte das gründlich analysiert werden. Bei den Impfstoffen zum Beispiel sehen wir, wie etwa das „Rolling-Review-Verfahren“ die Zulassung beschleunigen kann. Da kann man nur hoffen, dass solche Erfahrungen auch nach der Krise Bestand haben werden.

Die Suche nach einem Wirkstoff zur Behandlung von COVID-19-Patienten verschlingt Ressourcen. Inwieweit hat das die Forschung in Kernbereichen Ihres Portfolios tangiert?

Ich bin sehr froh darüber, dass wir die Anstrengungen in unseren Kerngebieten fortsetzen konnten. Kleinere Projekte sind zwar zurückgestellt worden. Insgesamt läuft aber alles wie geplant. Das betrifft die Diabetologie, die Onkologie, die Immunologie, den Schmerz und neurodegenerative Erkrankungen. Ich muss meinen Kolleginnen und Kollegen ein großes Kompliment machen, die zum Teil für die COVID-19-Projekte Überstunden gemacht haben. Das pendelt sich jetzt wieder ein.

In welchen Indikationen hat es oder wird es demnächst neue Zulassungen geben?

Wir können in diesem Jahr sechs Neuzulassungen oder Indikationserweiterungen verzeichnen. 2020 ist damit für Lilly Deutschland das Jahr mit den meisten Launches in der Firmengeschichte – und das in COVID-19-Zeiten. Zwei Neuzulassungen hat es in der Diabetologie gegeben – zur Behandlung schwerer Hypoglykämien sowie ein ultra-kurzwirksames Insulin. Dann hat es vier Indikationserweiterungen gegeben – beim Lungenkrebs, der Plaque-Psoriasis bei Kindern und Jugendlichen, der Atopischen Dermatitis sowie der axialen Spondyloarthritis. Für zwei neue Wirkstoffe laufen die Zulassungsverfahren zur Therapie von Lungen- und Schilddrüsenkrebs bzw. für die Akutbehandlung der Migräne. Darüber hinaus ist eine Indikationserweiterung bei frühem Brustkrebs für eines unserer Onkologika beantragt.

Mit welchen Molekülen sind Sie in der Nutzenbewertung und wann ist mit Ergebnissen zu rechnen?

Wir rechnen bis Ende Januar 2021 mit einer GBA-Entscheidung zu Taltz®, mit Blick auf die Indikationserweiterungen bei der axialen Spondyloarthritis und der Plaque-Psoriasis bei Kindern und Jugendlichen. Für Olumiant® wird das Verfahren vermutlich im Mai abgeschlossen sein.

Apropos Nutzenbewertung: Der Ruf nach einer europäischen Methode wird immer lauter. Wird es eine Lösung geben, mit der Politik, IQWiG und GBA leben können?

In der aktuellen Situation ist das ein bisschen so, als wenn Sie in die Glaskugel schauen. Eine europäische Nutzenbewertung wäre wünschenswert, allein schon, um Doppelarbeit zu vermeiden. Es wäre denkbar, die medizinische Bewertung auf europäischer Ebene zu gestalten mit Empfehlungen für die nationalen HTA-Behörden. Dann könnte der GBA entscheiden, wie diese Empfehlungen zu interpretieren sind. Wichtig wären allerdings verbindliche europäische Standards, wie etwa die Auswahl der Vergleichstherapie.

Seit Mitte der 90-er Jahre beschäftigt sich Lilly mit dem Thema „Quality of Life“. Inwiefern hat das die Entwicklungen neuer Wirkstoffe beeinflusst? Und: Finden Sie, dass das von HTA-Gremien gewürdigt wird?

Es stimmt, dass wir das Thema sehr früh aufgegriffen haben. Es hat sich dann in den Folgejahren sehr dynamisch entwickelt. In diesem Jahr verleihen wir den „Quality of Life“-Preis, der die Forschung zur Messung von gesundheitsbezogener Lebensqualität und von gesundheitsbezogenem Nutzen fördert, bereits zum 24. Mal. Und aus der Nutzenbewertung ist das Thema nicht mehr wegzudenken, weil es vom GBA aktiv eingefordert wird. Was wir uns wünschen, ist mehr Flexibilität, gerade was die Anforderungen bei Rücklaufquoten oder auch die Anerkennung verschiedener Methoden der „Quality of Life“-Messung angeht.

Neben dem Thema Lebensqualität beschäftigt sich Lilly im Rahmen des „Frankfurter Forum“ mit gesundheits- und gesellschaftspolitischen Grundsatzfragen. Warum sind Ihnen solche Themen wichtig?

Es gehört zu unserer gesellschaftlichen Verantwortung, sich mit diesen Fragen auseinanderzusetzen. Das tun wir mit der Lilly Deutschland GmbH und mit der Lilly Deutschland Stiftung. Die Stiftung ist zu diesem Zweck vor 28 Jahren gegründet worden. Ziel war und ist es, den interdisziplinären Austausch zu fördern. Dazu hat sich die Stiftung im letzten Jahr auch mit einem unabhängigen Vorstand neu aufgestellt. Das Motto lautet: Gesundheit weiterdenken. Die Arbeit der Stiftung stützt sich auf drei Säulen. Erstens die Förderung von Innovation in Gesundheitsversorgung und Wissenschaft, wozu auch der „Quality of Life“-Preis gehört. Zweitens die direkte Förderung der Gesundheit, wie der Aufbau eines produktunabhängigen Netzwerks, um die Inzidenz von Diabetes zurückzufahren. Und drittens der offene Austausch über gesundheits- und versorgungspolitisch relevante Themen. Hier setzt das „Frankfurter Forum“ klare Akzente, die über die tagesaktuelle Gesundheitspolitik hinausgehen. So lautet der Titel der nächsten Veranstaltung im Frühjahr: Die gesellschaftspolitischen Herausforderungen und die Verantwortung, die durch Krisen entstehen. Ein wichtiger Diskurs.

Und jetzt engagieren Sie sich auch noch in Sachen „Gemeinwohl-Ökonomie“ und sind, so hab ich’s gelesen, als erstes „gemeinwohlbilanziertes Pharma-Unternehmen“ ausgezeichnet worden. Provokant nachgefragt: Ist das Allgemeinwohl wichtiger als eine hohe Umsatz-Rendite?

Für uns ist das keine „Entweder-Oder Frage“. Es geht beides zusammen, weil es eben nicht um Gewinn oder Mensch geht. Natürlich sind Umsatz und Profitabilität sehr wichtige Ziele, die aber auch nur von den Menschen im Unternehmen erreicht werden können. Es geht also um die Frage, wie wir zu einem wirtschaftlichen Handeln gelangen, das auf gemeinwohlfördernden Werten basiert. Das gute Leben für alle basiert auch auf wirtschaftlichem Erfolg. Und das ist nicht von der Geschäftsführung verordnet worden, sondern war Idee von Mitarbeitern. So kam es auch zur Zertifizierung.

Frau Jumpers, Sie sind jetzt genau ein Jahr in dieser Position. Ist nach der freudigen Erwartung nach einem solchen Jahr eher Ernüchterung eingekehrt? Wie zuversichtlich sind Sie mit Blick auf 2021?

Der Reihe nach. Genau das Gegenteil ist der Fall. Wenn ich die vergangenen Monate rückblickend betrachte, ist mir vor allem die Solidarität der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Erinnerung geblieben. Familien haben sich gegenseitig unterstützt und waren für einander da. Und die Geschäftsleitung hat mit viel Rücksicht auf individuelle Bedürfnisse da geholfen, wo in der Phase des Lockdowns unsere Unterstützung am meisten gebraucht wurde. Am Ende des Jahres stelle ich aber auch fest, dass wir alle ein bisschen erschöpft sind. Wir sind ein tolles Team und ich starte mit großer Zuversicht ins neue Jahr.

Ich danke Ihnen für das Gespräch.

Lilly

  • Branche: Forschendes Pharmaunternehmen mit Hauptsitz in Indianapolis, Indiana, USA. Seit 1960 ist Bad Homburg Hauptstandort für Lilly Deutschland. Lilly führte 1923 das erste kommerzielle Insulin der Welt ein und ist weltweit führend in der Diabetesversorgung.
  • Umsatz 2019: 6 55,4 Mio. Euro in Deutschland; 22 319,5 Mio. US Dollar weltweit.
  • Investitionen F&E 2019: 5 595 Mio. US Dollar.
  • Mitarbeiter 2019: weltweit 34 722, davon 822 in Deutschland.
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