Beweiswert auch nach Arbeitgeberkündigung erschüttert

Bundesarbeitsgericht: Zweifel an passgenauer Krankschreibung während Kündigungsfrist

Legt ein Arbeitnehmer direkt nach einer Kündigung eine oder mehrere AU-Bescheinigungen vor, die genau die Zeit bis zum Ende der Kündigungsfrist abdecken, könnte das eine Beweislastumkehr in Richtung Arbeitnehmer hervorrufen. Damit könnte es im Streitfall passieren, dass Arbeitnehmer ihren Arzt von der Schweigepflicht entbinden müssen.

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Das Zusammentreffen des Kündigungstags mit dem Tag der Bescheinigung und zudem der Laufzeit der Krankschreibungen mit der Kündigungsfrist lassen einen ernsthaften Zweifel an der bescheinigten Arbeitsunfähigkeit aufkommen, so die Meinung des Bundesarbeitsgerichts.

Das Zusammentreffen des Kündigungstags mit dem Tag der Bescheinigung und zudem der Laufzeit der Krankschreibungen mit der Kündigungsfrist lassen einen ernsthaften Zweifel an der bescheinigten Arbeitsunfähigkeit aufkommen, so die Meinung des Bundesarbeitsgerichts.

© picture alliance / David Inderlied/Kirchner-Media

Erfurt. Der Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ist hoch, aber nicht unumstößlich. Er gilt als erschüttert, wenn nach einer Kündigung eine oder mehrere Bescheinigungen genau die Zeit bis zum Ende der Kündigungsfrist umfassen und der Arbeitnehmer danach sofort eine neue Tätigkeit aufnimmt, wie am Mittwoch das Bundesarbeitsgericht (BAG) in Erfurt urteilte. Wer die Kündigung ausgesprochen hat, spiele dabei keine Rolle.

Im Streitfall konnte ein Leiharbeitgeber den Kläger nicht mehr einsetzen und kündigte ihm am 2. Mai 2022 ordentlich zum 31. Mai 2022. Gleichzeitig wurde der Kläger vom 2. bis zum 6. Mai 2022 krankgeschrieben. Später reichte er zwei Folgebescheinigungen ein, insgesamt bis zum 31. Mai 2022.

Am 8. September 2021 hatte das BAG bereits entschieden, dass im Fall einer Eigenkündigung das Zusammentreffen des Kündigungstags mit dem Tag der Bescheinigung und zudem der Laufzeit der Krankschreibungen mit der Kündigungsfrist „einen ernsthaften Zweifel an der bescheinigten Arbeitsunfähigkeit“ begründet (Az.: 5 AZR 149/21). Diesen müsse der Arbeitnehmer ausräumen.

Arbeitgeberin verweigerte Lohnfortzahlung

Gestützt darauf verweigerte in dem neuen Fall die Arbeitgeberin die Lohnfortzahlung. Der Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen sei erschüttert.

Dem ist das BAG nun gefolgt. Dabei spiele es bei Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen nach einer Kündigung keine Rolle, wer diese ausgesprochen hat.

Allerdings habe hier der Leiharbeitnehmer am 2. Mai 2022 noch gar nicht gewusst, dass der Arbeitgeber ihm am selben Tag kündigen würde. Daher sei nur der Beweiswert der Folgebescheinigungen vom 7. bis zum 31. Mai 2022 erschüttert. Denn diese deckten „passgenau“ die Zeit bis zum Ende der Kündigungsfrist ab. Zudem habe der Arbeitnehmer unmittelbar danach eine neue Beschäftigung aufgenommen.

Praktisch bedeutet dies, dass sich hier die Beweislast für die Arbeitsunfähigkeit umkehrt. Trotz der Bescheinigungen muss daher nun der Arbeitnehmer nachweisen, dass er tatsächlich krank war – etwa indem er den Arzt von der Schweigepflicht befreit. Im Streitfall muss dies nun das Landesarbeitsgericht Niedersachsen in Hannover klären. (mwo)

Urteil des Bundesarbeitsgerichts, Az.: 5 AZR 137/23

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