Hintergrund

Deutschland hinkt IT-Vernetzung hinterher

Veröffentlicht:

In Sachen IT im Gesundheitswesen galt Deutschland einst als Vorreiter. Doch diese Zeiten sind laut einer Studie längst vorbei.

Von Philipp Grätzel von Grätz

Derzeit kann man mal wieder den Eindruck haben, es bewegt sich etwas in der deutschen Gesundheits-IT. Die Healthcare-IT-Messe conhIT letzte Woche schloss mit Besucher- und Ausstellerrekorden.

Und die internationale Ausschreibung der für das Jahr 2013 geplanten Tests für die ersten Anwendungen der elektronischen Gesundheitskarte elektrisiert nicht nur die üblichen deutschen Verdächtigen wie Telekom, CompuGROUP und Siemens, sondern auch internationale E-Health-Größen, die über der Teilnahme an Konsortien brüten.

Wer in eine neue Studie hineinschaut, die das international in Sachen E-Health sehr erfahrene Beratungsunternehmen Accenture vorgelegt hat, kann nur sagen: Höchste Zeit!

Die Berater sahen sich in den acht Ländern Deutschland, Frankreich, Österreich, Spanien, England, Singapur, Australien, den USA und Kanada um.

Sie interviewten insgesamt 160 Führungskräfte im Gesundheitswesen und über 3700 Ärzte aus Praxis und Klinik, um herauszufinden, wie intensiv Informationstechnik im jeweiligen Gesundheitswesen genutzt wird und wofür.

Bei der Nutzung Weltniveau

Die Analyse gliederten sie in drei Segmente. Zum einen interessierte die Nutzung von IT intern, also die Frage, inwieweit medizinische Einrichtungen für interne Zwecke von der Buchführung bis zur Patientendatenverwaltung IT-Systeme nutzen.

Klinische Effizienz, lautete hier das Stichwort. Punkt zwei war der Austausch von Gesundheitsinformationen. Punkt drei war etwas, das Accenture "Insight driven Health" nennt.

Die Berater verstehen darunter den Einsatz von IT-Systemen zu Zwecken der Gesundheitsanalytik und zur Vernetzung mit den Patienten, Stichwort Verbesserung der Versorgungsqualität.

Das Ergebnis überrascht nicht, ist aber in dieser Deutlichkeit doch erschreckend. Im ersten Untersuchungssegment, also bei der internen Nutzung von IT-Systemen im klinischen Alltag, liegt Deutschland auf Weltniveau.

IT-Systeme werden hierzulande genauso häufig, teilweise sogar häufiger als in den anderen sieben Ländern genutzt, um administrative Tätigkeiten wie Terminplanung oder Abrechnung zu erledigen, oder um Patientendaten während oder nach Konsultationen zu erfassen.

Datenaustausch?

Jenseits dessen wird es dann allerdings weniger schön. Beim elektronischen Austausch von Gesundheitsinformationen gehört Deutschland zu den schlechtesten der acht Länder.

Bei der elektronischen Kommunikation mit Kollegen machten nur zwölf Prozent der niedergelassenen Ärzte einen Haken, immerhin noch jedes dritte Krankenhaus. Bei elektronischen Rezepten ist Deutschland Schlusslicht.

Beim elektronischen Zugriff auf Klinik- oder Labordaten anderer Einrichtungen kreuzte nur jeder fünfte Niedergelassene und jedes vierte Klinikum ein "Ja" an. Auch das ist konkurrenzlos niedrig.

Auf der nächsten Stufe wird es nicht besser. Nicht einmal 30 Prozent aller medizinischen Einrichtungen gaben an, dass sie Patientendaten für Register, Public Health-Analytik oder Management der Ergebnisqualität zur Verfügung stellen.

In Spanien, Singapur oder England liegt diese Quote bei rund 70 Prozent. Insgesamt landet Deutschland in dieser Erhebung in Sachen Nutzung von Gesundheits-IT zusammen mit Frankreich auf dem letzten Platz. Sieger wird Spanien, gefolgt von Singapur, Kanada und England.

Ärzte fordern besseren Datenzugang

Wer sich die Schwierigkeiten vor Augen führt, die die nationale Telematikinfrastruktur in Deutschland hat, aber auch die großen Probleme von Ärztenetzen, sich miteinander vernünftig zu verdrahten, den können diese Ergebnisse eigentlich nicht überraschen.

Dabei ist es nicht so, dass der potenzielle Nutzen der Digitalisierung nicht gesehen würde. Die Ärzte wurden hierzu explizit befragt.

Und in allen Ländern, einschließlich Deutschland, wurden ein besserer Zugang zu Daten für die klinische Forschung, eine bessere Koordination der Versorgung, eine Verringerung von Fehlern, bessere Diagnoseentscheidungen und sogar bessere Behandlungsergebnisse als Resultate der Digitalisierung genannt.

Es scheint deswegen doch eher die gesundheitspolitische Gesamtkonstellation zu sein, die in Deutschland das spezielle Problem ausmacht.

Vernetzung funktioniert (bisher) einerseits in staatlichen Systemen wie eben Singapur oder auch Kanada, andererseits in Ländern wie Spanien, wo das Gesundheitswesen stark nach dem Modell regionaler Health-Management-Organisationen arbeitet.

Kommentare
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Das war der Tag: Der tägliche Nachrichtenüberblick mit den neuesten Infos aus Gesundheitspolitik, Medizin, Beruf und Praxis-/Klinikalltag.

Eil-Meldungen: Erhalten Sie die wichtigsten Nachrichten direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen

Stabile Erkrankung über sechs Monate

Erste Erfolge mit CAR-T-Zelltherapien gegen Glioblastom

Lesetipps
Die Empfehlungen zur Erstlinientherapie eines Pankreaskarzinoms wurden um den Wirkstoff NALIRIFOX erweitert.

© Jo Panuwat D / stock.adobe.com

Umstellung auf Living Guideline

S3-Leitlinie zu Pankreaskrebs aktualisiert

Gefangen in der Gedankenspirale: Personen mit Depressionen und übertriebenen Ängsten profitieren von Entropie-steigernden Wirkstoffen wie Psychedelika.

© Jacqueline Weber / stock.adobe.com

Jahrestagung Amerikanische Neurologen

Eine Frage der Entropie: Wie Psychedelika bei Depressionen wirken