EU-Kompromiss

Kritik an neuer Medizinprodukte-Regelung

Eine Folge des Skandals um minderwertige Brustimplantate: Medizinprodukte sollen in Europa schärfer kontrolliert werden. Dem AOK-Bundesverband gehen die neuen Regeln nicht weit genug.

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BRÜSSEL/BERLIN. Brustimplantate, Insulinpumpen, künstliche Gelenke und Herzschrittmacher sollen nach dem Willen des Europäischen Parlaments (EP) und der niederländischen EU-Ratspräsidentschaft künftig besser kontrolliert werden.

Nach eineinhalbjährigem Tauziehen haben sich das EU-Parlament und die EU-Mitgliedstaaten auf effektivere Kontrollen, verbesserte Zulassungsverfahren und höhere Anforderungen an die Qualifikationen für Prüfpersonal bei Kontrollinstanzen wie dem TÜV oder Dekra geeinigt.

"Die Menschen in Europa haben ein Recht darauf, dass wir die richtigen Konsequenzen aus Skandalen wie den um schadhafte Brustimplantate, ziehen", sagte der gesundheitspolitische Sprecher der EVP-Fraktion im Europaparlament, Peter Liese (CDU).

Die Europaabgeordneten waren tätig geworden, nachdem im Frühjahr 2010 der "PIP-Skandal" ruchbar geworden war. Die französische Firma Poly Implante Prothèse hatte Brustimplantate mit minderwertigem Silikon befüllt.

Bei zahlreichen Frauen rissen die Implantate ein. Das Zertifikat für dieses Medizinprodukt hatte der TÜV Rheinland ausgestellt.

Ob das Prüfunternehmen für die Schäden, die PIP angerichtet hat, mitverantwortlich ist, ist Gegenstand eines Verfahrens vor dem Europäischen Gerichtshof (EUGH). 5000 Frauen in Deutschland, rund 125.000 weltweit, waren die Produkte eingesetzt worden.

Schwab: "Ausgewogener Kompromiss"

In den vergangenen Jahren hat das EU-Parlament darum gerungen, eine verbraucher- und wirtschaftsfreundliche Lösung zugleich zu finden.

"Wir haben einen ausgewogenen Kompromiss zwischen der Verbesserung von Sicherheitsstandards für Medizinprodukte und der Vermeidung von unverhältnismäßigen Belastungen für Medizinprodukte-Hersteller erreichen können", so der der CDU-Europaabgeordnete Andreas Schwab.

Für den AOK-Bundesverband gehen die Vorschläge nicht weit genug. "Einige der jetzt beschlossenen Regelungen sind ein Schritt zu mehr Patientensicherheit. Aber viele wichtige Vorschläge fanden auf EU-Ebene leider keine Mehrheiten", bedauert AOK-Bundesverbandschef Martin Litsch.

Seine Forderung: Die Bundesregierung solle bei der Industriehaftung nachbessern und die Hersteller zum Abschluss einer Haftpflichtversicherung verpflichten.

"Wenn Patienten unter den Folgen fehlerhafter Medizinprodukte leiden, dürfen sie nicht auch noch finanziell im Regen stehen, begründete Litsch seinen Vorstoß.

Litsch kritisierte, dass die Medizinprodukte von Stellen mit eigenen wirtschaftlichen Interessen geprüft werden sollen. In Deutschland sind das TÜV und DEKRA.

Prüfstellen sollen auf medizinische Expertise zurückgreifen

Der Sachverständigenrat für das Gesundheitswesen hatte bereits 2014 vorgeschlagen, eine zunabhängige und zentrale Zulassung auf europäischer Ebene einzuführen. Immerhin sollen die Prüfstellen künftig vor dem Erteilen einer Zulassung auf medizinische Expertise zurückgreifen müssen.

Zudem sollen sie auch dioe Herstellung fortlaufend kontrollieren. Eine Nummer soll die Implantate identifizierbar machen. In Deutschland gibt es zusätzlich seit knapp einem Jahr für Hochrisikoprodukte eine Art früher Nutzenbewertung.

Die Gesundheitsminister der EU-Länder werden die Verordnung bei ihrem Treffen am 16. Juni voraussichtlich durchwinken. Die EU-Verordnung soll im zweiten Halbjahr in Kraft treten. Die Mitgliedsländer haben danach drei Jahre Zeit, die neuen Regeln umzusetzen. (taf/af).

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