Hintergrund

Notdienst - für niedergelassene Ärzte oft ungeliebt und rechtlich heikel

Am Notdienst kommt kein Arzt vorbei - selbst fachlich-notärztliche Inkompetenz befreit nicht von der Pflicht. Dabei werden Ärzte mit den rechtlichen Folgen des Notdienstes und Fehlern bei der Organisation von Vertretern meist allein gelassen.

Von Marion Lisson Veröffentlicht:
Ein Notfall-Besuch zu später Stunde - in einigen Landkreisen übernehmen das speziell eingerichtete Notfallpraxen.

Ein Notfall-Besuch zu später Stunde - in einigen Landkreisen übernehmen das speziell eingerichtete Notfallpraxen.

© klaro

Der Notfalldienst am Wochenende oder im Anschluss an einen anstrengenden Tag in der Praxis - bei vielen niedergelassenen Ärzten ist er nicht wirklich beliebt. "Natürlich lege ich mich nach einem hektischen Praxistag abends lieber auf die Couch oder unternehme am Wochenende etwas mit meiner Familie", gesteht eine niedergelassene Allgemeinärztin aus einer kleinen Kreisstadt im Rhein-Neckar-Kreis. Doch sie hat keine Alternative. Denn ihre Notfalldienste an einen Vertreter zu verkaufen - das ist teuer. Zwischen 2000 und 5000 Euro kann dies jährlich kosten.

Grundsätzlich ist jeder Arzt zum Notdienst verpflichtet

"Grundsätzlich ist jeder niedergelassene Arzt zum ärztlichen Notdienst verpflichtet", berichtet Rechtsanwältin Beate Bahner. Die Fachanwältin für Medizinrecht sieht diese Pflicht selbst in "exotischen Fällen". So wurde ein Pathologe, der über 30 Jahre keinen Patientenkontakt hatte, per Gerichtsurteil zum Notfalldienst herangezogen. "Selbst fachlich-notärztliche Inkompetenz befreit nicht vom Notdienst", fasst Bahner zusammen und verweist auf ein Urteil des Bundessozialgerichts aus dem Jahre 2008 (Az.: B 6 KA 13/06 R) in dem die strengen Auflagen für eine Befreiung vom Dienst nachzulesen sind. Schwangerschaften oder eine sehr schwere Erkrankung gehören dazu.

Eine kleine Runde hat sich in Heidelberg in der Rechtsanwaltpraxis von Beate Bahner und Kollegin Simone Eberhard getroffen, darunter auch eine Zahnärztin aus Mannheim. "Ich bin heilfroh, dass ich keinen Notdienst schieben muss, sondern unsere KZV dies über die Notfallpraxis organisiert, die wir Ärzte über eine Umlage finanzieren", freut sie sich. Einer Heidelberger Allgemeinärztin geht es nicht anders.

Rund 50 Notfallpraxen existieren in Baden-Württemberg - die meisten von ihnen in Städten. Bei vielen Einrichtungen sind mindestens zwei Ärzte im Dienst, einer für die in der Praxis erscheinenden Patienten, einer für Hausbesuchsfahrten. Von den Praxisärzten werden die Einrichtungen in der Tat als große Erleichterung empfunden, denn die zeitlich, körperliche und psychische Belastung eines Notdienstes ist groß.

Auf dem Land oder in kleinen Gemeinden jedoch können niedergelassene Ärzte nicht auf solch eine Notfallpraxis zurückgreifen. Sie müssen entweder persönlich mindestens alle zwei bis drei Wochen den Dienst leisten oder sich auf die Suche nach einem geeigneten Vertreter machen. Das gilt für Chirurgen ebenso wie für Gynäkologen oder HNO-Ärzte. "Vertragsärzte sind gemäß eines Urteils des Landessozialgerichtes in Nordrhein-Westfalen vom 23.12.2009 (L 11 B 19/09 KA ER 3) auch zum Notdienst am Ort ihrer Zweigpraxis verpflichtet", ergänzt Bahner. Privatärzte könnten sich ebenso nicht entziehen. Von ihnen werde verlangt, dass sie sich in die kassenärztliche Abrechnung einarbeiten und entsprechend technisch ausgestattet sind.

Für Vertreter haftet der auftraggebende Arzt

Wer einen Vertreter für den Notdienst hinzuziehe, der solle diesen sorgfältig aussuchen, rät Bahner. Rechnet der Praxisarzt nämlich die erbrachten Leistungen des Vertreters über die eigene Praxis ab und ebenso die Notdienstscheine, so haftet der Praxischef für seinen Vertreter.

"Dieser Notdienst in der Nacht und am Wochenende hat es manchmal echt in sich", erzählt man sich in der Runde bei Rechtsanwältin Bahner. Ständig klingele das Telefon. Patienten mit akuten und ernsthaften Herzproblemen riefen ebenso an, wie Menschen, die sich mehr aus Bequemlichkeit als medizinischer Notwendigkeit den Doktor nach Praxisende ins Haus bestellen wollen - einfach weil sie keine Lust haben, sich in ein volles Wartezimmer zu setzen.

Fehler bei Ferndiagnosen haben schwere Folgen

"Der Arzt muss natürlich nicht jeder Besuchsbitte nachkommen, doch andererseits sind Ferndiagnosen nur selten möglich", warnt Bahner. Es gelte: Besser zehn mal zu oft, als einmal zu wenig zu erscheinen! Ansonsten drohe die Gefahr des Vorwurfs der unterlassenen Hilfeleistung. Berufsrechtliche Sanktionen und Geldbußen in Höhe von 5000 Euro könnten folgen.

"Grundsätzlich ist es wichtig, dass der diensthabende Arzt telefonisch erreichbar ist und nicht nur ein Anrufbeantworter sich einschaltet", zählt Bahner zudem einige der allgemeinen Pflichten im Notdienst auf. Die Praxis müsse auch ungehindert zugänglich sein, und eine ordnungsgemäße Notfallausstattung haben.

In Gießen hatte ein Allgemeinarzt, der zum Notdienst eingeteilt war, im Dezember 2006 abends einer gegen 23 Uhr einbestellten Patientin auf ihr Läuten hin nicht die Türe aufgemacht, weil er es nach eigenen Angaben nicht gehört hatte. Ein Klinikarzt musste später bei der Patientin einen schweren Herzinfarkt diagnostizieren, an dem die Frau noch in der Nacht starb. "Die Richter des Verwaltungsgerichts Gießen machten deutlich, dass ein Arzt tatsächlich und nicht nur telefonisch erreichbar sein muss", so Bahner (Az.: 21 K 3235/09)

Verweigere ein Patient dagegen die empfohlene Behandlung eines Arztes oder lehne eine aus ärztlicher Sicht notwendige Einweisung in eine Klinik ab, so sei es Aufgabe des Arztes, die Folgen dieser Weigerung dem Patienten plastisch und unmissverständlich vor Augen zu führen. "Dann muss man zum Beispiel deutlich sagen, dass eine Nichtbehandlung zu einem Herzinfarkt oder zum Tode führen kann", so Bahner. Bei bewusstlosen Patienten, bei denen eine Einwilligung in die ärztliche Behandlung nicht möglich sei, müsse der Mediziner den mutmaßlichen Willen des Patienten und nicht der Angehörigen im Blick halten. Zu berücksichtigen seien frühere mündliche oder schriftliche Äußerungen, ethische oder religiöse Überzeugungen und sonstige persönliche Wertvorstellungen des Patienten.

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