Es liegt wohl mit an den Genen, wenn Sibutramin bei Diät hilft

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ESSEN (run). Für einige übergewichtige Patienten sind Antiadiposita ein hilfreicher Baustein in einer gewichtsreduzierenden Therapie. Doch offensichtlich wirken sie nicht bei allen.

Denn so wie die genetische Veranlagung das Entstehen von Übergewicht begünstigen kann, so können Genvariationen auch die Wirksamkeit des Antiadipositums Sibutramin beeinflussen, wie Essener Wissenschaftler herausgefunden haben.

Unter Leitung von Professor Dr. Winfried Siffert vom Institut für Pharmakogenetik an der Uniklinik Essen wurden Blutproben von 110 Patienten einem Gentest unterzogen. Die übergewichtigen Patienten mit einem BMI zwischen 30 und 40 hatten alle zuvor an einer kontrollierten Studie bei niedergelassenen Ärzten teilgenommen, in der sie das Antiadipositum Sibutramin (15 mg/Tag) oder Placebo ein Jahr lang zusätzlich zu einem Sport- und Diätprogramm erhalten hatten.

GNAS-Gen kodiert ein Lipolyse-Protein

Bei dem Gentest wurde gezielt nach Veränderungen im Gen "GNAS" gesucht. Wie Siffert im Gespräch mit der "Ärzte Zeitung" erläuterte, steuert GNAS die Produktion eines Lipolyse-Proteins, das unter anderem an der Fettverbrennung und der Steuerung der Herzfrequenz beteiligt ist. Menschen mit der GG-Genvariante - das sind rund 40 Prozent - produzieren am meisten von diesem Protein. Diejenigen mit der A-Variante produzieren weniger.

Mit der Genanalyse, deren Daten auch in der Fachzeitschrift "Pharmacogenetics an Genomics" publiziert wurden (18, 2008, 141), fanden die Wissenschaftler nun heraus: Patienten mit der GG-Variante hatten im Durchschnitt durch die Lebensstiländerung 7,5 Kilogramm abgenommen - und zwar sowohl mit als auch ohne Sibutramin. Patienten mit der A-Variante wogen hingegen durch alleinige Lebensstiländerung im Mittel nur 4,5 Kilo weniger, mit Sibutramin hingegen 9,4 Kilo.

Nebenwirkungen variieren je nach Genvariante

Auch bei den unerwünschten Wirkungen der Pharmakotherapie gab es Unterschiede: Bei den mit dem Antiadipositum behandelten Patienten mit GG-Variante kam es im Mittel zu einem Anstieg der Herzfrequenz um knapp neun Schläge pro Minute und einer systolischen Blutdrucksenkung um 9 mmHg im Vergleich zur Placebotherapie. Bei den Trägern der A-Variante gab es weniger Nebenwirkungen. Die Herzfrequenz erhöhte sich nur um 3,4 Schläge pro Minute, der Blutdruck sank um 4 mmHg.

Nach Ansicht der Wissenschaftler könnten sich aus diesen ersten Daten künftig auch therapierelevante Konsequenzen ergeben. So ließen sich durch einen wenig aufwendigen Gentest die Patienten mit GG-Variante identifizieren, bei denen Sibutramin kaum wirkt, dafür mehr unerwünschte Herz-Kreislauf-Effekte hat als bei Patienten mit A-Variante.

Ist ein Gentest bei Übergewichtigen sinnvoll?

Nach Angaben von Professor Winfried Siffert lässt sich die GG-Variante im GNAS-Gen, die für ein erfolgreiches Abnehmen allein durch Lebensstiländerung prädisponiert, mit einem wenig aufwendigen Gentest identifizieren. "Der Nacktpreis des Tests für uns im Labor an der Uni beträgt zirka 25 Euro, nach GOÄ-Abrechnung wären wir bei etwa 100 Euro", so Siffert zur "Ärzte Zeitung". Mit modernen Hochdurchsatzverfahren ginge es aber sicher billiger. Prinzipiell ließe sich der Test auch bereits in der Praxis anwenden. "Aber da es sich in unserer Studie um eine kleine retrospektive Analyse gehandelt hat, wäre es sinnvoll, zunächst noch mehr Patienten zu analysieren oder eine prospektive Studie zu machen." Würden die Befunde bestätigt, wäre es für einen übergewichtigen Patienten eine Option, bevor er eine teure Monatspackung Sibutramin kauft, die Wahrscheinlichkeit einer Wirksamkeit zu testen. Außerdem: Wenn nachweisbar sei, dass Patienten genetisch bedingt nur schwer abnehmen können durch Diät und Sport allein, wäre das ein Argument, ein Medikament wie Sibutramin doch verordnungsfähig zu machen. Generell sieht Siffert Genmarker im Trend: Sie helfen einerseits festzustellen, ob ein Mittel wirkt. Umgekehrt ist bei einigen Substanzen bereits in den Beipackzettel aufgenommen worden, dass Genveränderungen Nebenwirkungen begünstigen können etwa bei Azathioprin. Auch bei Irinotecan kann bereits durch Genotypisierung das Risiko einer Neurotoxizität vorab festgestellt werden. (run)

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