Insulin

Hormon aus Milliarden Bakterien

Hinter den Toren des Industrieparks Höchst bieten sich faszinierende Einblicke in die Welt der Hochleistungs-Biotechnologie: Milliarden von E.coli-Bakterien produzieren hier in 16.000 Liter fassenden Fermentern das für Diabetiker überlebenswichtige Insulin.

Anne BäurleVon Anne Bäurle Veröffentlicht:
Streng überwacht: Die Insulinproduktion bei Sanofi

Streng überwacht: Die Insulinproduktion bei Sanofi

© Denis Félix/Interlink Images/Sanofi

FRANKFURT / MAIN. Auf 4,6 Quadratkilometern – etwa die Fläche von 700 Fußballfeldern – findet sich in Frankfurt Höchst einer der größten Produktionsstandorte der Chemie- und Pharmaindustrie in Europa. Die Anfänge des Industrieparks liegen dabei mehr als 150 Jahre zurück: Im Jahr 1863 wurde in Höchst die "Theerfarbenfabrik Meister Lucius & Co." gegründet. Mit der kleinen Fabrik für die damals innovativen Teerfarben begann die Erfolgsgeschichte des Industrieparks. Heute findet hier Hochleistungs-Biotechnologie statt: Unter anderem produzieren Milliarden E.coli-Bakterien in acht Meter hohen Fermentern das Insulin für jährlich 349 Millionen Insulin-Pens.

365 Tage im Jahr wird produziert

Die streng bewachten Eingangstore, über die der Industriepark Höchst zu erreichen ist, passieren Tag für Tag 22.000 Beschäftigte. Vorbei geht es an Produktionsanlagen für Pflanzenschutzmittel, Medikamente und Lebensmittelzusätze, vorbei an Rohrleitungen und Bürogebäuden. Am südlichen Ende des Industrieparks befindet sich die Produktionsanlage für Insulin glargin des Unternehmens Sanofi. Die Anlage wurde von 2001 bis 2003 eigens für die Produktion des Insulins (Handelsname Lantus®) gebaut, investiert wurden etwa 150 Millionen Euro. Sie läuft 24 Stunden am Tag, 365 Tage im Jahr. Gearbeitet wird hier in 12-Stunden-Schichten.

Am Eingang wartet bereits Dr. Ingolf Stückrath. Er ist Produktionsleiter der Lantus®-Anlage und wird heute einer kleinen Besuchergruppe des Industrieparks einen Einblick in die Insulin-Produktion geben. Zunächst geht es in die Messwarte der Anlage, dem "Herzstück", wie Stückrath erklärt. Mindestens zehn Mitarbeiter überwachen hier Tag für Tag die Insulin-Produktion. Die Schreibtische stehen in einem großen Halbkreis beieinander, auf den Bildschirmen leuchten rote und grüne Graphen, Zahlenkolonnen laufen über die Monitore. Damit kein Computervirus die Produktionsanlage lahmlegen kann, ist das Prozessleitsystem autark und hat keine Verbindung nach außen, außerdem laufen im Hintergrund zur Absicherung zwei Server.

Durch eine Tür geht es schließlich in den Eingangsbereich der Anlage. Hier zeigt Stückrath auf mehrere Glaskolben, die auf einem Rollwagen aufgereiht sind. Darin befindet sich Insulin in seinen unterschiedlichen Produktionsstufen – von einer trüben Flüssigkeit zu einer klaren Flüssigkeit und schließlich zu weißen Kristallen, die lagerungsfähige Form des Insulins. Täglich werden bis zu einer Million Ampullen für Insulin-Pens hergestellt.

Die Herstellung des Hormons übernimmt dabei ein auf die Insulin-Produktion optimierter E.coli-Bakterienstamm, der Mitte der 1990er Jahre entwickelt wurde. Im ersten Schritt der Produktion wird eine Kultur der E.coli-Bakterien zusammen mit einer Nährflüssigkeit in einem wenige Liter umfassenden Glaskolben angesetzt, die Kultur wächst aber rasch und wandert schon bald in einen 16.000 Liter fassenden, acht Meter hohen Fermenter. In diesem produzieren die Bakterien eine inaktive Vorstufe des Hormons, der Prozess lässt sich über die zugegebenen Agenzien, die Temperatur und den pH-Wert steuern.

Lagerung als weiße Kristalle

Um das noch inaktive Hormon anschließend zu isolieren, werden die Bakterien zerstört und die Zelltrümmer durch eine Zentrifugation abgetrennt, die Flüssigkeit wird dabei klarer. Allerdings befindet sich die Insulin-Vorstufe immer noch in einer inaktiven Form – um das aktive Protein zu bekommen, muss das Insulin über einen enzymatischen Schritt richtig gefaltet werden. "Dabei werden in das Insulin Schwefelbrücken eingebaut, die für die richtige Proteinfaltung sorgen", erklärt Stückrath. "Dann kommt die eigentliche Herausforderung bei der Insulinproduktion: Aus den Insulin-Molekülen genau die herauszufischen, die richtig gefaltet und funktionsfähig sind." Dieser Schritt sei der wichtigste und auch teuerste, berichtet Stückrath.

Das Herausfischen der richtigen Insulin-Moleküle gelingt dabei mit der Methode der Hochleistungsflüssigkeitschromatografie (HPLC). Insgesamt dreimal wird dieses Trennungsverfahren durchgeführt, bis die Reinheit des Insulins bei 99,8 Prozent liegt, erklärt Stückrath. Das gesamte Material, das während des Trennungsverfahrens zum Einsatz kommt, muss alle drei Monate ausgetauscht werden – daher die hohen Kosten.

Im letzten Schritt wird das Insulin schließlich kristallisiert und gefriergetrocknet. Als weiße Kristalle liegt es dann in der Form vor, in der es gelagert und je nach Bedarf in die jeweilige Formulierung gebracht werden kann – zum Beispiel in die flüssige Form, die sich Diabetes-Patienten täglich mit einem Pen in das Unterhautfettgewebe spritzen.

Schritte der Insulinproduktion - Die Herstellung des Hormons übernimmt ein auf die Insulin- Produktion optimierter E.coli- Bakterienstamm.

- Während der Fermentation wächst die Biomasse der Bakterien, die eine inaktive Vorstufe des Insulins produzieren.

- Nach der Isolation und Aufreinigung der Insulin-Vorstufe wird das Hormon enzymatisch in seine aktive Form gebracht.

- Nach einer weiteren Aufreinigung wird das Insulin kristallisiert und gefriergetrocknet. In dieser Form wird es schließlich gelagert.

Mehr zum Thema

Glosse

Die Duftmarke: Ab auf die Waage!

Gastbeitrag

DMP Adipositas – Änderung des Lebensstils im Fokus

Kommentare
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Das war der Tag: Der tägliche Nachrichtenüberblick mit den neuesten Infos aus Gesundheitspolitik, Medizin, Beruf und Praxis-/Klinikalltag.

Eil-Meldungen: Erhalten Sie die wichtigsten Nachrichten direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen

Ergänzung herkömmlicher Modelle

Kalziumscore verbessert Vorhersage stenotischer Koronarien

Lesetipps
Der papierene Organspendeausweis soll bald der Vergangenheit angehören. Denn noch im März geht das Online-Organspende-Register an den Start.

© Alexander Raths / Stock.adobe.com

Online-Organspende-Register startet

Wie Kollegen die Organspende-Beratung in den Praxisalltag integrieren