Ärger um Limonade

Zu wenig Zucker ist kein Verstoß

Der Ärger einer kleinen Bio-Limonadenfirma über den Mahnbescheid einer lokalen Behörde zieht weite Kreise: Nun sollen alle Regeln für den Zuckergehalt von Lebensmitteln auf den Prüfstand.

Von Eckart Gienke Veröffentlicht:
In der Regel wird ein zu hoher Zuckergehalt in Limonaden kritisiert. Doch auch ein zu niedriger Gehalt kann Probleme machen.

In der Regel wird ein zu hoher Zuckergehalt in Limonaden kritisiert. Doch auch ein zu niedriger Gehalt kann Probleme machen.

© Marzia Giacobbe / stock.adobe.com

HAMBURG. Der Hamburger Getränkehersteller Lemonaid darf seine Bio-Zitronen-Limonade weiter mit einem niedrigeren Zuckergehalt von sechs Prozent anbieten. Das Bezirksamt Hamburg-Mitte werde das Produkt vorerst nicht beanstanden, obwohl die Lebensmittel-Leitsätze für Limonaden einen Zuckergehalt von mindestens sieben Prozent vorsehen, teilte die Gesundheitsbehörde mit. Senatorin Cornelia Prüfer-Storcks (SPD) will sich nun auf Bundesebene dafür einsetzen, dass die Vorgaben überprüft werden: „Lebensmittel mit wenig Zucker sollten nicht bestraft werden, sondern der Normalfall sein.“

„Der aktuelle Fall zeigt: Die Leitsätze für Erfrischungsgetränke sind in manchen Bereichen nicht nachvollziehbar und konterkarieren unsere Strategie zur Zuckervermeidung sowie zur gesundheitsbewussten Ernährung“, sagte Prüfer-Storcks. Es sei „ein Stück aus dem Tollhaus, dass Leitsätze der Kommission für Lebensmittel zwar den Begriff Limonade schützen wollen, dadurch aber gleichzeitig der Reduzierung von Zucker entgegenwirken.“

Seit 2009 unbeanstandet

Lemonaid ist seit zehn Jahren auf dem Markt. Das Start-up aus dem Stadtteil St. Pauli will „trinkend die Welt verändern“, mischt seine Limonaden aus biologisch angebauten Zutaten und hat mit mehr als drei Millionen Euro Entwicklungsprojekte in Anbauländern gefördert. Dass die Limonade auch weniger Zucker enthält, wurde nun zum Problem. Denn das Amt hatte gefordert, dass der Hersteller sein Szenegetränk entweder umbenennt oder mehr Zucker hinein geben solle. Lemonaid lehnte das ab mit dem Hinweis, dass die Limonade seit 2009 unbeanstandet im Handel sei.

Der Zucker-Mindestgehalt von sieben Prozent ist in den Leitsätzen des Deutschen Lebensmittelbuches über Limonaden festgeschrieben. Das Lebensmittelbuch ist kein Gesetz, aber Akteure halten sich in der Regel daran. In der Lebensmittelbuch-Kommission sind Wirtschaft, Wissenschaft, Verbraucher und Lebensmittelüberwachung gleichberechtigt vertreten. Sie soll für Klarheit und Wahrheit bei Lebensmitteln sorgen und Verbraucher vor Irreführung und Täuschung schützen.

Hohn und Spott gegen das Amt

Auf den Vorstoß des Amtes reagierte das Unternehmen empört. Schließlich hatte Ernährungsministerin Julia Klöckner (CDU) verkündet, sie wolle auf weniger Zucker, Salz und Fett in Lebensmitteln hinarbeiten. Diese „Nationale Strategie zur Reduktion von Zucker und Fett in Lebensmitteln“ geht Senatorin Prüfer-Storcks allerdings nicht weit genug, „weil sie ausschließlich auf freiwillige Maßnahmen zur Zucker-Reduzierung setzt.“ Nachdem der Konflikt öffentlich wurde, ging in sozialen Medien Hohn und Spott auf das Bezirksamt nieder.

Kritik kam auch von Verbraucherschützern: Es sei nicht mehr zeitgemäß, Mindestmengen für Zucker festzulegen, sagte Silke Schwartau von der Verbraucherzentrale Hamburg. Niemand brauche hohe Zuckeranteile in Limonadengetränken.

Allerdings sollen gerade die diversen Mindest- und Höchstmengen im Deutschen Lebensmittelbuch eigentlich die Verbraucher schützen und verhindern, dass Hersteller von Lebensmitteln unter falscher Flagge segeln. Für mehr als 2000 Lebensmittel ist hierzulande die Zusammensetzung festgelegt, von Fruchtsäften über Gewürze und Teigwaren bis zu Obst- und Gemüseerzeugnissen. Damit sorgten die Leitsätze für „Klarheit und Wahrheit bei Lebensmitteln“, heißt es auf der Internet-Seite der Kommission. Das funktioniert nur, wenn Verstöße auch Folgen haben.

Allerdings räumt die Gesundheitsbehörde der Hansestadt aber auch ein: „Diese Leitsätze sind über mehrere Jahrzehnte historisch gewachsen. Dadurch sind Bezeichnungen und Verarbeitungsverfahren enthalten, die heute teilweise nicht mehr den Verbrauchererwartungen entsprechen.“

Deshalb ärgern sich etablierte Limonadenhersteller über den Branchenaußenseiter. „Die Rechtslage für die Zulässigkeit der Bezeichnung ‚Limonade‘ gilt seit Jahrzehnten gleichermaßen für alle Unternehmen“, sagt Detlef Groß von der Wirtschaftsvereinigung Alkoholfreie Getränke. Es gebe Konzepte wie eine „leichte Limonade“, die schon heute weniger Zucker oder Kalorien möglich machten. Der Verband habe schon mehrfach darauf hingewiesen, dass eine Fortschreibung der Leitsätze zeitgemäß und notwendig sei. (dpa/bar)

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