Waschen, schneiden, Blutdruckmessen

Blutdrucksenkung to go beim Barbier

Barbiere sind nicht nur Könner der Haarschneidekunst, sie haben auch das Zeug dazu, den Blutdruck ihrer Kundschaft in den Griff zu bekommen. In einer US-Studie hat dieses kuriose Konzept tatsächlich funktioniert.

Von Veronika Schlimpert Veröffentlicht:
Durch das Präventionsangebot beim Barbier konnte der Blutdruck im Mittel um 27 mmHg gesenkt werden.

Durch das Präventionsangebot beim Barbier konnte der Blutdruck im Mittel um 27 mmHg gesenkt werden.

© rafwillems / stock.adobe.com

LOS ANGELES. In Zukunft geht man zur Bluthochdruck-Behandlung vielleicht nicht mehr zum Arzt, sondern in den Barbiershop von nebenan. In einer wohlgemerkt im "New England Journal of Medicine" erschienenen Studie haben es die Bartscherer nämlich tatsächlich geschafft, den Blutdruck ihrer Kundschaft in den Griff zu bekommen.

Die erreichte Blutdrucksenkung war mit 27,0 mmHg systolisch durchaus beachtlich – und dreimal besser als man es in pharmakologischen Interventionsstudien mit im Mittel –7 mmHg erreicht habe, wie die Studienautoren um Dr. Ronald Victor stolz berichten (N Engl J Med 2018; 378: 1291–301).

Sieht so das Präventionsmodell der Zukunft aus? Beim Friseurbesuch bekommt man eine Brustkrebsberatung zum Sonderpreis dazu. Die Cholesterinwerte werden im Supermarkt nach dem Bezahlvorgang gemessen, oder vielleicht sogar beim Bäcker, bei dem es dann keine Croissants mehr geben wird, sondern mit Omega-3-Fettsäuren angereicherte Low-Carb-Brötchen, nebst dem glutenfreien Vollkornbrötchen.

Prävention für Arme

Die US-amerikanischen Wissenschaftler hat der beachtliche Effekt ihrer Intervention jedenfalls überzeugt. "Wir glauben, dass die Implementierung solcher Konzepte eine Berechtigung hat", schreiben sie. Ihr evidenzbasiertes Konzept habe das Potenzial, die neuen strengeren Hypertonie-Grenzwerte in der Bevölkerung auch umzusetzen.

In den USA gilt seit 2017 ein Blutdruck von über 130/80 mmHg als krankhaft. Die Blutdruckeinstellung ist besonders in der schwarzen Bevölkerung oft mangelhaft. Und genau bei dieser, meist ärmeren Bevölkerungsschicht kommt der Barbier ins Spiel.

Männer gehen gemeinhin ja eh ungern zum Arzt; beziehungsweise ist in den USA der Arztbesuch eher eine Sache des Geldes als der Motivation. Deshalb die Idee, die Bluthochdruckbehandlung auszulagern und beim Barbier stattfinden zu lassen. Dessen Kundschaft ist gewillt, regelmäßig zu kommen und die Haarpracht stutzen zu lassen.

Außerdem steht sie ihrem Bartschneider meist loyal gegenüber – also die besten Vorrausetzungen für ein regelmäßiges Follow-up.

319 Barbier-Kunden in Studie

Insgesamt 319 Barbier-Kunden haben die Forscher für ihr Modell gewinnen können; die Probanden hatten einen Blutdruck von im Mittel 152,8 mmHg, waren afroamerikanischer Abstammung und gingen mindestens alle sechs Wochen zum Bartschneider.

Ein Teil der Probanden erhielt dort neben dem neuen Haarschnitt eine vom Barbier vorgetragene Lebensstilberatung, sie wurden zudem regelmäßig erinnert, einen Arzt aufzusuchen (Kontrolle). In der Interventionsgruppe statteten den Barbiershops speziell geschulte Apotheker regelmäßige Besuche ab, diese maßen dort den Blutdruck der Probanden, und verordneten gegebenenfalls die Einnahme von Antihypertensiva in Absprache mit dem Arzt, der sonst für die medizinische Behandlung der Kundschaft zuständig war.

Nach sechs Monaten war der Blutdruck in der Interventionsgruppe im Mittel um 27,0 mmHg gesunken (auf 125,8 mmHg) und in der Kontrollgruppe um 9,3 mmHg (auf 145,4 mmHg). Entsprechend 63,6 und 11,7 Prozent der Probanden hatten nach dieser Zeit den Zielblutdruck von unter 130/80 mmHg erreicht.

Modell auch für Deutschland?

Zugegeben, die Barbiere selbst haben zu der beachtlichen Blutdrucksenkung wohl eher weniger beigetragen. Die Hälfte der Teilnehmer hatte zuvor keine Medikamente eingenommen, in der Studie bekamen sie dann meist eine hocheffektive Zweifachtherapie verordnet.

Darüber hinaus hatten die Apotheker regelmäßigen Kontakt zu den Patienten, und zwar nicht nur im Barbierladen, sondern auch telefonisch. Vermutlich wäre der Effekt ähnlich ausgefallen, wenn man das Ganze in die Praxis verlagert hätte.

Und all diese Zuwendungen kosten natürlich Geld, und dann stellt sich die Frage: Wer bezahlt das? Die Krankenkassen, der Staat, der Patient selbst? In Deutschland wird uns beim Brötchenkaufen deshalb vermutlich in naher Zukunft kein Cholesterinsenker über den Ladentisch gereicht werden. Trotz allem ist es auch hierzulande an der Zeit, sich über neue Präventionsmodelle Gedanken zu machen.

Weitere Informationen zur Kardiologie unter www.springermedizin.de

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