INTERVIEW

"Offenbar gibt es bei Herzinsuffizienz ein Therapieproblem"

Anfang dieses Jahres hat das Kompetenznetz Herzinsuffizienz seine Arbeit aufgenommen. Das Ziel der vom Bundesbildungsministerium geförderten Einrichtung: Durch den Aufbau eines Netzwerks von Studienzentren soll das deutsche Kleinklein in der klinischen Herzinsuffizienzforschung überwunden werden. Besonders wichtig sind dabei Projekte, in denen gemeinsam mit Hausärzten versucht wird, die Versorgung herzinsuffizienter Patienten zu verbessern. Mit Professor Karl Josef Osterziel von der Charité Berlin, dem wissenschaftlichen Geschäftsführer des Kompetenznetzes, sprach Philipp Grätzel von Grätz von der "Ärzte Zeitung".

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Ärzte Zeitung: In viele Projekte des Kompetenznetzes sind Hausärzte involviert. Warum legen Sie so großen Wert auf die Primärversorgung?

Professor Karl Josef Osterziel: Unser Wissen über die Behandlung von Patienten mit Herzinsuffizienz hat sich in den letzten Jahren dramatisch verbessert. Aus Untersuchungen wie der IMPROVEMENT-Studie wissen wir aber, daß die Empfehlungen der Herzinsuffizienz-Leitlinien an der Basis nicht in dem Maße angenommen werden, wie wir uns das wünschen. Hier gibt es ein klares Defizit. Kommen die Patienten mit den Behandlungen nicht klar? Ist das Budget zu knapp? Fehlt das Wissen? Diese Fragen wollen wir klären und andererseits das vorhandene Wissen über Diagnostik und Therapie in die Breite tragen.

Ärzte Zeitung: Wie wollen Sie das erreichen?

Osterziel: Bei einem unserer Projekte testen wir in Berlin in über 200 Allgemeinarztpraxen ein Programm, bei dem nach angloamerikanischem Vorbild die Praxismitarbeiterinnen des Hausarztes viel stärker als bisher in die telefonische und persönliche Betreuung von herzinsuffizienten Patienten eingebunden werden. In Heidelberg läuft dazu das Parallelprojekt, bei dem die Hausärzte geschult werden. Am Ende können wir dann Aussagen über die Effektivität der unterschiedlichen Ansätze innerhalb der deutschen Betreuungslandschaft machen. In einem anderen Projekt werden außerdem hausarztspezifische Leitlinien für die Herzinsuffizienz entwickelt.

Ärzte Zeitung: Die größte Therapiestudie des Kompetenznetzes vergleicht bei rund 1200 Patienten an 35 Zentren in Deutschland die beiden Betablocker Bisoprolol und Carvedilol. Von beiden ist bekannt, daß sie die Symptome bessern und das Leben verlängern. Warum also diese Studie?

Osterziel: In Deutschland, und übrigens auch in vielen anderen Ländern, nimmt nur etwa jeder fünfte Patient, der wegen einer Herzinsuffizienz einen Betablocker erhält, das Medikament in einer angemessenen Dosierung. Die Zulassungsstudien zeigen aber, daß 85 Prozent der Patienten den Betablocker gut vertragen. Wir wollen die beiden Betablocker bezüglich ihrer Verträglichkeit an einem Patientenkollektiv untersuchen, das den Verhältnissen in den Versorgungskrankenhäusern, Praxen und Ambulanzen entspricht. Wenn, wie ich vermute, die Verträglichkeit beider Präparate auch unter diesen Bedingungen gut ist, dann wissen wir definitiv: Wir haben ein Therapieproblem und kein Verträglichkeitsproblem.

Ärzte Zeitung: Das Kompetenznetz beschäftigt sich auch mit der diastolischen Herzinsuffizienz, die ja in der Kardiologie bisher eher stiefmütterlich behandelt wird. Wie wollen Sie das ändern?

Osterziel: Zunächst einmal indem wir versuchen, sie vernünftig zu diagnostizieren. Im Moment sprechen wir von einer diastolischen Herzinsuffizienz, wenn die Symptome einer Herzinsuffizienz vorliegen und die linksventrikuläre Auswurfleistung (EF) normal ist. Das ist ziemlich unbefriedigend. In einem sehr ehrgeizigen, von der Universität Göttingen koordinierten Teilprojekt wird nun versucht, einen Diagnose-Algorithmus für die diastolische Herzinsuffizienz zu entwickeln und ihn in einer Längsschnittstudie mit über 1600 Patienten zu evaluieren. Dabei geht es vor allem um positive Echokriterien, die Aussagen über das individuelle Risiko erlauben würden.

Ärzte Zeitung: Welche anderen Projekte werden noch vom Kompetenznetz Herzinsuffizienz realisiert?

Osterziel: Das wichtigste Infrastrukturprojekt ist sicher die Biobank, die in der Kardiologie bisher einmalig ist. Dort sollen von allen innerhalb des Kompetenznetzes behandelten Patienten Vollblut- und Serumproben gesammelt und für die Forschung zugänglich gemacht werden. Wissenschaftlich geht es hierbei zunächst um genetische Analysen bei Patienten mit Herzmuskel-Erkrankungen. Wir kennen zwar schon einige Gene, die eine hypertrophe beziehungsweise dilatative Kardiomyopathie verursachen. Was wir aber nicht wissen ist, ob es bestimmte Gene gibt, die bei Grunderkrankungen wie Diabetes mellitus oder Hypertonie für die Ausbildung einer sekundären Kardiomyopathie von Bedeutung sind.

Auch könnte man sich vorstellen, daß bestimmte Rhythmusstörungen bei primären oder sekundären Kardiomyopathien mit speziellen Genen assoziiert sind. Das wollen wir herausfinden.

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