"Made in Göttingen"

Posaunenklänge aus dem Tomografen dank Live-MRT

Forscher untersuchen mit Echtzeit-MRT eine Berufskrankheit von Musikern. Eine Göttinger Erfindung ermöglicht einzigartige Einblicke in den Körper – in Echtzeit.

Von Heidi Niemann Veröffentlicht:
Für die Untersuchung im MRT spielt Douglas Yeo auf einer Posaunen-Spezialanfertigung.

Für die Untersuchung im MRT spielt Douglas Yeo auf einer Posaunen-Spezialanfertigung.

© Heidi Niemann

GÖTTINGEN. "Pianissimo, please!" Der US-amerikanische Wissenschaftler Peter Iltis sitzt vor einer großen Glasscheibe im Kontrollraum der Biomedizinischen NMR Forschungs GmbH in Göttingen und gibt einem Probanden im Nebenraum über die Mikrofonanlage eine kurze Anweisung.

Wenig später ertönen im Keller des Forschungsgebäudes auf dem Max-Planck-Campus Posaunenklänge. "That was great", sagt Peter Iltis. "And now mezzoforte, please."

Douglas Yeo spielt die Tonfolge noch einmal, diesmal etwas lauter. Der langjährige Bassposaunist der Bostoner Symphoniker befindet sich dabei in einer ungewöhnlichen Position: Er liegt in einem Magnetresonanztomografen (MRT).

Yeo ist einer von mehreren Musikern, die eigens aus den USA angereist sind, um an einer Studie teilzunehmen, die nur dank einer Erfindung aus Göttingen möglich ist.

"Flash"-Technik verkürzt Aufnahme

Der Leiter der Biomedizinischen NMR Forschungs GmbH, Professor Jens Frahm, hat mit seinem Team eine Technologie entwickelt, mit der sich erstmals Echtzeit-Filme aus dem Inneren des Körpers mit höchster zeitlicher Auflösung aufnehmen lassen.

Frahm gilt als einer der Pioniere der MRT-Technologie. Gemeinsam mit seinen Mitarbeitern entwickelte er vor vier Jahrzehnten die "Flash"-Technik, durch die sich die ursprünglich sehr lange Messzeit einer MRT-Aufnahme stark verkürzte.

Diese Innovation brachte damals den Durchbruch für die breite Anwendung der Kernspintomografie in der medizinischen Diagnostik. Heute trägt die Technik "made in Göttingen" zu 100 Millionen Untersuchungen im Jahr bei.

Live in den Körper schauen

Jetzt haben die Göttinger Forscher erneut eine weltweite Vorreiterrolle übernommen: Mit der Echtzeit-MRT kann man live verfolgen, was im Körper passiert.

Mediziner können damit zum Beispiel Gelenk- oder Sprechbewegungen, Schluckvorgänge oder das schlagende Herz beobachten. Die neue Technologie wird derzeit an einigen Top-Standorten der klinischen Forschung erprobt.

Peter Iltis, Professor für Kinesiologie am Gordon College in Massachusetts, freut sich, dass er die Echtzeit-MRT an ihrem "Geburtsort" nutzen kann. Den Kontakt nach Göttingen vermittelte Professor Eckart Altenmüller, Leiter des Instituts für Musikphysiologie und Musikermedizin der Hochschule für Musik, Theater und Medien in Hannover.

Iltis erforscht eine berufsspezifische Krankheit, die schon viele Musiker die Karriere gekostet hat. Die fokale Dystonie tritt vor allem bei professionellen Blechbläsern auf und führt dazu, dass sie aufgrund von Zungenverkrampfungen ihr Instrument nicht mehr richtig spielen können.

Der US-Forscher kennt die Krankheit aus eigener Erfahrung. Der Hornspieler musste 2002 deshalb mit dem Musizieren aufhören.

Blasen durch den Plastikschlauch

Die Wissenschaftler untersuchen in der Vergleichsstudie sowohl Musiker, die von dieser Krankheit betroffen sind, als auch Elite-Musiker aus Top-Orchestern. Weil sich in den MRT-Scanner kein normales Instrument mit Ventilen einbringen lässt, spielen sie auf einer Spezialanfertigung.

Mit einem Plastikmundstück blasen sie durch einen Plastikschlauch, der die Ventile ersetzt und mit dem tonbildenden Metalltrichter des Instruments verbunden ist. Dieses befindet sich dann im MRT-Magnet bei den Füßen.

Im vergangenen Jahr legten sich mehrere Blechbläser der Berliner Philharmoniker in das Göttinger Echtzeit-MRT-Gerät, unter ihnen die Hornistin Sarah Willis. An den neuen Untersuchungen nahmen hauptsächlich Musiker aus den USA teil.

"Die Echtzeit-MRT bietet die Möglichkeit, in die Köpfe der Blechbläser hineinzuschauen und ihre Zungenbewegungen zu verfolgen", sagt Peter Iltis.

Zungenstellung entscheidend

Offenbar liegt genau dort das Problem. "Im hinteren Bereich der Zunge haben wir keine Sensoren, deshalb können Bläser nicht deren genaue Stellung kontrollieren", erklärt Jens Frahm, der die Untersuchungen begleitet. Die Forscher können auf den Live-Videos sehen, dass es deutliche Unterschiede gibt, wie die Bläser ihre Zunge beim Spielen positionieren.

Diese Erkenntnis könnte nicht nur für die Prävention und Therapie der Dystonie, sondern auch für die künftige Musikerausbildung von großer Bedeutung sein.

Douglas Yeo ist begeistert über die bewegten Bilder aus dem Kehlkopf und der Mundhöhle: "Hier kann man erstmalig genau sehen, dass die Zungenbewegungen einen erheblichen Einfluss auf die Gestaltung der Töne haben. Das war uns vorher überhaupt nicht klar", staunt er.

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