Gentherapie-Studie bei ALS soll noch in diesem Jahr starten

Von Nicola Siegmund-Schultze Veröffentlicht:

Gäbe es Stephen Hawking nicht, den berühmten britischen Astrophysiker, kaum jemand in der Öffentlichkeit hätte je von amyotropher Lateral-sklerose (ALS) gehört. Dabei ist der Forscher ein Sonderfall: Die Symptome bestehen bei dem 63jährigen Wissenschaftler seit mehr als vier Jahrzehnten. Die meisten Patienten aber sterben drei bis vier Jahre nach der Diagnose, meist an Atemlähmung.

    Die Therapie war bereits im Tierversuch erfolgreich.
   

ALS ist die häufigste Motoneuron-Erkrankung: In den Industrieländern leiden sechs von 100 000 Menschen daran. ALS ist bislang nicht heilbar. Mit dem Glutamat-Antagonisten Riluzol (Rilutek®) läßt sich lediglich der Krankheitsverlauf verzögern, meist aber nur um Monate.

Jetzt haben zwei Arbeitsgruppen einen gentherapeutischen Ansatz für die Behandlung bei familiärer ALS im Tierexperiment sehr erfolgreich getestet. Grundlage für die Strategie beider Arbeitsgruppen ist die Erkenntnis, daß bei einem Teil der Patienten mit familiärer ALS - etwa zwei Prozent der Erkrankten - das Enzym Superoxiddismutase 1 (SOD1) verändert ist.

Durch die Mutation des Gens für SOD1 bekommt die Superoxiddismutase toxische Eigenschaften: Sie schädigt die Mitochondrien der Motoneuronen, die dadurch funktionsunfähig werden. Aber auch Zellen der Umgebung, etwa Gliazellen, werden geschädigt. Bei Patienten mit Mutationen im SOD1-Gen verläuft die Erkrankung besonders rasch und aggressiv.

Der ALS-Experte Don Cleveland von der Universität in San Diego hat kürzlich bei Mäusen mit mutiertem SOD1-Gen herausgefunden, daß Motoneuronen dann überleben, wenn die sie umgebenden Zellen gesund sind. Nager mit der SOD1-Mutation entwickeln ähnliche Symptome wie Patienten mit ALS.

Es gibt also ein gutes Tiermodell für die Erkrankung. Das nutzt auch die Arbeitsgruppe um Professor Patrick Aebischer von der Technischen Hochschule in Lausanne. Aebischer und sein Team wollen versuchen, das mutierte SOD1-Gen gezielt stumm zu schalten (Nature Medicine Online).

Die Forscher haben dazu in eine Genfähre, basierend auf einem Lentivirus, ein Stück RNA eingeschleust, die komplementär ist zur Boten-RNA mutierter SOD1-Gene. Die eingeschleuste RNA bindet sich an die Boten-RNA der pathogenetisch veränderten Gene und bremst damit spezifisch weitere Schritte der Proteinbiosynthese. Durch die Bindung wird das Gen abgeschaltet (Gene silencing).

Außerdem enthält die Genfähre ein gesundes, therapeutisches SOD1- Gen. Mit diesem Gen-Doppelpack, das ins Rückenmark im Lumbalbereich injiziert wurde, erzielten die Forscher bei Mäusen im Vergleich zu unbehandelten Tieren eine längere Funktionsfähigkeit der Muskeln, bremsten die Atrophie und verzögerten den Symptombeginn.

Einen ähnlichen Ansatz des Gene silencing stellen Forscher des Unternehmens Biomedica Oxford in derselben Online-Ausgabe von "Nature Medicine" vor. Dr. Mimoun Azzouz und seine Gruppe haben ebenfalls im Mausmodell gezielt mutierte SOD1-Gene ausgeschaltet und nachgewiesen, daß sich die Krankheitssymptome durch die Gentherapie deutlich verringerten und sich die Lebenszeit der Nager mit mutierten SOD1-Genen durch die Behandlung um 80 Prozent im Vergleich zur unbehandelten Kontrollgruppe verlängerte.

Noch 2005 sollen klinische Studien beginnen. Cleveland plant eine Gentherapie nach dem Ansatz von Aebischer. Zusätzlich sollen Genfähren in Muskeln mit intakten Genen für den Vascular Endothelial Growth Factor (VEGF) injiziert werden. Ein Mangel an diesem Wachstumsfaktor macht offenbar Mäuse und Menschen empfänglicher für ALS.

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