Schwere Depressionen

Mit EKT weniger Klinikaufenthalte

Erhalten Patienten mit schweren affektiven Störungen eine Elektrokonvulsionstherapie, bleiben sie länger in Remission: Die Gefahr, innerhalb eines Monats erneut eine stationäre Behandlung zu benötigen, ist deutlich geringer.

Von Thomas Müller Veröffentlicht:
Patientin mit schwerer affektiver Störung.

Patientin mit schwerer affektiver Störung.

© elenaleonova / Getty Images /

BALTIMORE. Die Elektrokonvulsionstherapie (EKT) hat einen schweren Stand: Obwohl das Verfahren in den vergangenen drei Dekaden soweit verbessert werden konnte, dass es kaum noch zu kognitiven Beeinträchtigungen kommt und sich die Patienten nach einer Sitzung rasch wieder erholen, wird die EKT immer seltener angewandt, stellen Psychiater um Dr. Eric Slade von der Universität in Baltimore fest. Viele Ärzte und Patienten würden noch immer bleibende Schäden oder schwere Nebenwirkungen fürchten, auch gebe es kaum Kliniken, die EKT-Geräte vorhalten und über Ärzte verfügen, die damit umgehen können, bemängeln die Forscher. Zudem schreckten Aufwand und Kosten viele Kliniken ab.

Wirksamstes Verfahren

Dies sei jedoch zu kurz gedacht, falls sich mit der EKT erneute Klinikeinweisungen verhindern lassen. Schließlich gilt die EKT noch immer als das wirksamste Verfahren gegen schwere affektive Störungen und hilft oft auch noch den 30 Prozent der Patienten, die auf Medikamente kaum oder gar nicht ansprechen.

Das Team um Slade hat nun untersucht, wie häufig die EKT in Kliniken von neun US-Staaten zur Anwendung kommt (JAMA Psychiatry 2017, online 28. Juni). Die Experten konnten Angaben zu rund einer halben Million Patienten aus den "State Inpatient Databases (SID)" auswerten. Alle waren zwischen August 2015 und März 2017 stationär psychiatrisch behandelt worden. Die Datenbank erfasst sämtliche privaten und öffentlichen Kliniken und deckt damit fast alle stationär aufgenommenen Patienten ab. Knapp 163.000 Patienten hatten eine schwere affektive Störung, davon ein Drittel eine unipolare Depression, 40 Prozent eine bipolare und 28 Prozent eine schizoaffektive Störung. Eine EKT erhielten nur knapp 2500 oder 1,5 Prozent der Patienten mit schweren affektiven Störungen, die im Untersuchungszeitraum erstmals in eine Klinik mussten. Solche Patienten waren häufiger Frauen, Ältere, Weiße und Latinos, zudem waren sie öfter privat versichert, wohnten eher in urbanen Regionen und hatten mehr Begleiterkrankungen als Patienten ohne EKT.

Wie sich zeigte, mussten 6,6 Prozent der EKT-Behandelten innerhalb eines Monats erneut aufgrund einer affektiven Problematik in eine Klinik, bei solchen ohne EKT waren es 12,3 Prozent. Berücksichtigten die Forscher über ein quasi-experimentelles Modell sämtliche bekannten Unterschiede der Patienten und auch die Wahrscheinlichkeit, in einer bestimmten Klinik eine EKT zu erhalten (basierend auf EKT-Raten in vergangenen Jahren), dann war die Wiederaufnahmerate nach einer EKT um 46 Prozent geringer als ohne.

Kliniken an den Kosten beteiligen?

Männer – obwohl seltener mit Stromimpulsen behandelt –sprachen offenbar besser an als Frauen; sie mussten in den 30 Tagen nach der EKT zu 56 Prozent seltener in eine Klinik als Männer mit anderen Therapien, bei Frauen war die Rate um 42 Prozent reduziert. Bipolarpatienten und solche mit schizoaffektiven Störungen profitieren nach den Berechnungen von Slade und Mitarbeitern signifikant stärker als solche mit unipolarer Depression – die Wiederaufnahmeraten war in der Analyse um 58, 56 und 47 Prozent reduziert. Das Alter scheint wenig relevant zu sein, hier gab es keine klaren Unterschiede zwischen Patienten über und unter 65 Jahren.

Die Forscher um Slade bemängeln, dass die EKT viel zu selten angewandt wird – trotz vieler Studien, die eine hohe Remissionsrate auch bei pharmakotherapieresistenten Patienten sowie eine reduzierte Sterberate bei schwer Depressiven und Patienten mit posttraumatischen Belastungsstörungen ergeben haben. In neun von zehn US-Kliniken mit psychiatrischen Patienten werde das Verfahren gar nicht erst angeboten. Die Psychiater schlagen vor, die Kliniken bei der kurzfristigen Wiederaufnahme psychiatrischer Patienten stärker an den Kosten zu beteiligen. "Wenn Kliniken einen Teil der Kosten für ungeplante Wiederaufnahmen selbst tragen müssen, werden sie den Wert einer EKT und anderer Verfahren, die das Risiko für Rehospitalisierungen mindern, eher schätzen lernen", schreiben sie.

In Deutschland werden nach Angaben der DGPPN (Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde)jährlich über 800.000 Patienten stationär psychiatrisch behandelt, aber nur 3000 per EKT (Stand 2008). Geht man davon aus, dass – wie in den USA – rund ein Viertel der Betroffenen eine affektive Störung hat, ergibt sich ebenfalls nur ein Anteil von rund 1,5 Prozent der Patienten, die eine EKT erhalten.

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