HINTERGRUND

Zirkadiane Rhythmik wird zur Therapie bei Rheumatoider Arthritis genutzt

Von Michael Hubert Veröffentlicht:
Entzündliche Erkrankungen wir Rheumatoide Arthritis haben eine Tagesrhythmik.

Entzündliche Erkrankungen wir Rheumatoide Arthritis haben eine Tagesrhythmik.

© Foto: sebastian kaulitzkiwww.fotolia.de

"Patienten mit Rheumatoider Arthritis (RA) dürfen auf keinen Fall Melatonin einnehmen", warnt Professor Maurizio Cutolo. Denn das schlaffördernde Hormon sei bei diesen Patienten sowieso in erhöhter Konzentration vorhanden. Melatonin fördert die Bildung von Interleukin-12 und anderen Entzündungsbotenstoffen.

Cutolo hat dazu sogar eine kleine Studie gemacht: Eine Gruppe der Patienten mit Rheumatoider Arthritis (RA) erhielt einige Tage 10 mg Melatonin, eine Gruppe Placebo. In der Melatonin-Gruppe nahmen die Symptome wie Morgensteifigkeit und Gelenkschmerz deutlich zu, so der Rheumatologe von der Uni Genua in Italien beim europäischen Rheuma-Kongress EULAR 2008 in Paris.

Melatonin und Kortisol sind die beiden Haupthormone des zirkadianen Rhythmus, erläutert Professor Jürgen Ripperger von der Uni Fribourg in der Schweiz. Solche Rhythmen gebe es bei allen höheren Organismen. So wird etwa bei Pflanzen die Chlorophyllbildung hochgefahren, bevor die Sonne richtig scheint. Die Pflanze bereitet sich so optimal auf die Photosynthese vor, so der Chronobiologe Ripperger. Der innere Taktgeber müsse allerdings immer wieder mit dem Tagesrhythmus der Natur synchronisiert werden. Das läuft bei Pflanzen wie Menschen über das Licht. Beim Menschen geschehe das über den suprachiasmatischen Nukleus (SCN): Dort werden die Lichtinformationen verarbeitet und mit dem Zellstoffwechsel synchronisiert.

Zehn Prozent der menschlichen Gene sind zirkadian reguliert

Bei uns Menschen seien etwa zehn Prozent der gesamten Genexpression zirkadian reguliert. So wird ein Ausgleich zwischen den Funktionen Aktivität und Regeneration geschaffen. Die Herzaktivität ist tagsüber höher. Morgens steigen Puls und Blutdruck, die Atmung beschleunigt sich: Die Physiologie des Körpers wird auf die Anforderungen des Tages eingestellt - ganz so, wie es auch die Pflanze macht. Nachts hingegen werden die Leberzellen maximal aktiviert - die Entgiftung des Körpers läuft auf Hochtouren. Mithilfe des zirkadianen Rhythmus geht der Körper also hoch ökonomisch mit seinen Ressourcen um und verteilt unterschiedliche Aufgaben auf unterschiedliche Zeiten.

Was hat das Ganze mit der Rheumatologie zu tun? Vieles, denn auch die Rheumatoide Arthritis ist einem zirkadianen Rhythmus unterworfen. Davon zeuge etwa die Morgensteifigkeit, so Ripperger. Woran das genau liegt, haben Professor John Kirwan von der Uni Bristol in Großbritannien und seine Kollegen mittlerweile herausgefunden. Bekannt war bereits, dass Interleukin-6 (IL-6) bei RA deutlich erhöht ist. IL-6 ist daher auch eine der Zielstrukturen für die Therapie bei RA. Wann aber die Synthese von IL-6 beginnt, war bisher unklar.

Um das zu klären, wurde RA-Patienten über 24 Stunden jede Stunde Blut abgenommen und wurden die biochemischen Parameter bestimmt. Das Ergebnis: Der Entzündungsbotenstoff wird bereits ausgeschüttet, bevor die Kortisolsynthese in der Nacht startet. IL-6 komme schon ab 2 Uhr voll zur Synthese, Kortisol erst ab 4 Uhr, so Kirwan. Zu spät, um die entzündungsfördernden Prozesse des Interleukins zu hemmen. Hinzu komme, dass die Konzentration des Kortisols nicht ausreiche, IL-6 effektiv zu bremsen. Denn die IL-6-Spiegel seien bei RA-Patienten deutlich erhöht, bis um das 20-Fache. Die Studie habe auch ergeben, dass andere Zytokine wie IL-1 oder TNFa nicht zirkadian reguliert sind, ergänzt Kirwan.

Synthese von Interleukin-6 beginnt um 2 Uhr nachts.

Wo aber wird bei RA-Patienten das IL-6 gebildet? "In der Synovia", antwortet Kirwan. Das ist nicht nur eine schlüssige Hypothese. Wieder hat der Rheumatologe hierzu eine Studie gemacht, die etwas spektakulär erscheint. Denn er hat einigen Patienten einen Katheter ins Kniegelenk gelegt und zusätzlich zu venösem Blut Synovialflüssigkeit aus dem Gelenk entnommen. Die IL-6-Synthese im Gelenk stimmte mit dem Rhythmus der Konzentration im Blut überein.

Und wie kommen diese Erkenntnisse Patienten mit RA auch praktisch zugute? "Klassische Prednisonpräparate kommen einfach zu spät, werden sie in der Frühe eingenommen", so Cutolo. Bis ein einigermaßen hoher Wirkspiegel erreicht werde, hat das IL-6 gegen 8:30 Uhr bereits ein Maximum erreicht. Hier helfe ein Steroid, das seine volle Wirkung schon vor dem Einsetzen der IL-6-Synthese in der Nacht entfalte. Ein solches Prednison mit verzögerter Freisetzung wurde bereits erfolgreich getestet und soll noch dieses Jahr auf den Markt kommen (wir berichteten). Gegen 22 Uhr eingenommen, kommt das Prednison MR (modified release) etwa 4 Stunden verzögert, genau richtig, wenn die IL-6-Synthese beginnt.

Neue Prednisonform verschiebt die Interleukin-6-Synthese

Also haben Kirwan und Kollegen ihre RA-Patienten zwei Wochen mit dem Prednison MR therapiert und anschließend wieder 24 Stunden lang jede Stunde Blut abgenommen, die IL-6-Spiegel bestimmt und mit denen vor der Steroid-Therapie verglichen. Das Ergebnis: Mit dem Prednison MR wurde das IL-6-Maximum von 8:30 nach 13:30 Uhr verschoben. Das spiegeln auch die klinischen Daten einer Studie (CAPRA) wider: Die Morgensteifigkeit ist geringer ausgeprägt und die Dauer um fast ein Viertel verkürzt.

Zirkadiane Rhythmik ist ein komplexer Vorgang, der nicht nur zu Unannehmlichkeiten wie Jetlag führt, sondern dessen Verständnis auch therapeutisch genutzt werden kann. Und wenn Patienten mit RA über mehrere Zeitzonen reisen und sich wundern, warum ihre Morgensteifigkeit geringer als üblich ist, liegt auch das am zirkadianen Rhythmus: Beim Aufstehen hat das IL-6 entweder noch nicht sein Maximum erreicht oder schon lange hinter sich.

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