Erektionsstörung kündigt Gefahr fürs Herz an

Potenzschwäche ist nicht einfach bloß eine persönliche Unannehmlichkeit, sondern bedeutet Alarm fürs Herz. Deshalb sollten die Patienten nicht nur andrologisch, sondern ganzheitlich betreut werden.

Veröffentlicht:
Mit der Fahrrad-Ergometrie kann der Arzt abschätzen, ob der Patient beim Sex Herzprobleme befürchten müsste.

Mit der Fahrrad-Ergometrie kann der Arzt abschätzen, ob der Patient beim Sex Herzprobleme befürchten müsste.

© Friedrich Stark/imago

NEURUPPIN (eb). Entgegen verbreitetem Vorurteil sind viele alte Menschen sexuell aktiv: bis zu zwei Drittel der 70- bis 79-Jährigen. Patienten mit einer Herz-Kreislauf-Krankheit (KHK) jedoch bleiben unter dieser Marke, so Professor Kurt Schmailzl aus Neuruppin (Uro-News 2011; 5: 32).

Ein Viertel der Bypass-Patienten zum Beispiel fürchtet die Wiederaufnahme sexueller Kontakte, und über ein Drittel der Patienten mit eingeschränkter Herzfunktion verzichtet auf Sex.

89 Prozent der Infarkt-Patienten haben selbst ein halbes Jahr nach dem Ereignis ihr früheres Liebesleben nicht wieder aufgenommen, die meisten aus Angst vor Überanstrengung.

Erektile Dysfunktion und Depressivität gehen Hand in Hand

Rund die Hälfte der Männer, die nach einem Infarkt eine Reha machten, gaben in einer Studie mindestens ein sexuelles Problem an, zehn Prozent eine mindestens mittlere Depression, ein Fünftel Angstsymptome. Fazit der Autoren: Bei Männern sind erektile Dysfunktion (ED) und Depressivität stark verknüpft.

Eine KHK geht besonders häufig mit ED einher: Forscher aus Graz stellten in einer Studie bei 65 Prozent von 184 KHK-Patienten eine Potenzschwäche fest.

Die Erklärung: KHK und ED beruhen beide auf Endothelschäden, die über eine chronische Entzündung zur Atherosklerose fortschreiten.

Diabetes, Hypertonie und Rauchen - eine riskante Trias

Allgemein steigt das ED-Risiko ab dem 50. Lebensjahr, bei Männern über 70 beträgt es 67 Prozent. Diabetes, Bluthochdruck und Rauchen machen besonders anfällig: 30 bis 90 Prozent der Diabetiker und 17 bis 55 Prozent der Hypertoniker haben eine ED, ebenso 55 Prozent der rauchenden, aber nur ein Fünftel der nichtrauchenden Herzpatienten.

Umgekehrt kündigt die ED eine Gefahr an. Den ersten sicheren Beleg liefern zwei Therapiestudien mit kardiovaskulären Risikopatienten (ONTARGET, TRANSCEND).

In einer Substudie füllten 842 Männer mit ED und 677 Männer ohne ED zu Beginn, nach zwei und vier Jahren IIED-Fragebögen aus (International Index of Erectile Dysfunction).

ED ist ernstes Warnzeichen für eine Gesundheitsgefahr

Ergebnisse: Bei Männern mit ED war zu jedem Zeitpunkt das Sterberisiko doppelt so hoch wie bei Männern ohne ED, ebenso das Risiko, an vaskulären Schäden und speziell einem Herzinfarkt zu sterben, und zwar um so mehr, je ausgeprägter die Impotenz war.

Dabei änderten die Antihypertensiva nichts daran, ob eine ED neu auftrat oder eine bereits bestehende sich verschlechterte. Die sexuelle Störung manifestiere sich wohl bei jenen Männern, deren KHK sehr viel weiter fortgeschritten sei, als sonst klinisch ersichtlich, vermutet Schmailzl.

Urologen sollten immer Kardiologen hinzuziehen

Ein doppelt so hohes Risiko, in den folgenden fünf Jahren am Herzinfarkt zu sterben - das sei die Botschaft, die Ärzte beim Patienten-Gespräch im Kopf haben sollten, und zwar Urologen wie Kardiologen.

Denn Schmailzl rät Urologen, die eine ED diagnostizieren, einen Kardiologen hinzu zu ziehen, selbst wenn bei dem Patienten noch keine ischämische Herzerkrankung bekannt sei. Für obligat hält er Echokardiografie, Belastungstest und Fahndung nach Risikofaktoren.

Nur Tabletten gegen die ED zu verordnen reiche nicht. Zwar seien die Patienten dann zufrieden, die hochgradige Gefahr fürs Herz aber bleibe.

Wie stark gefährdet Sex das Herz?

Schwere kardiale Ereignisse würden als biografischer Bruch erlebt, Zufriedenheit und sexuelle Aktivität nähmen ab. Dagegen helfe Aufklärung, wieviel man dem Körper zumuten könne.

Die Patienten beschäftigt besonders die Frage: Wie stark gefährdet Sex das Herz? Man kann sie beruhigen: Nur bei zwei Prozent der Infarktpatienten kommt einer Studie zufolge Sex als Trigger des Ereignisses in Frage.

Und in einer retrospektiven Untersuchung ließ sich nur bei 0,5 Prozent der fast 21.000 Obduktionsbefunde ein Zusammenhang zwischen Sex und Tod konstruieren.

Sex überfordert das Herz meistens nicht

Die kardiovaskulären Reaktionen beim Geschlechtsverkehr sind gut erforscht: Die Herzfrequenz steigt auf durchschnittlich 122,2/min, der systolische Blutdruck für drei bis fünf Minuten auf 150 bis 180 mm Hg. Die Beanspruchung für Herz und Kreislauf wird nach Angaben von Professor Kurt Schmailzl gewöhnlich überschätzt.

Zwar schwankt sie je nach Person und Situation beträchtlich, doch entspricht sie 2 bis maximal 6 metabolischen Äquivalenten (MET) und damit einer Sauerstoffaufnahme von 60 Prozent des Maximalwertes - so viel wie bei forciertem Gehen, Radfahren oder zwei Etagen Treppensteigen. Zum Vergleich: Joggen verbrennt 13 METs.

Risiko durch Belastungs-EKG ermitteln

Der einfachste Weg, das Risiko eines Herzpatienten beim Sex einzuschätzen, ist zugleich Reha-Routine: das Belastungs-EKG. Die Befunde liefern die Basis für die ärztliche Beratung.

Denn Studien zufolge haben KHK-Patienten mit Ischämie beim Sex auch eine Ischämie bei submaximaler Fahrrad-Ergometrie.

Patienten ohne Ischämie bei dieser Belastung bekommen auch bei sexuellen Aktivitäten keine Probleme. Überhaupt waren Ischämien bei der Ergometrie häufiger als beim Liebesakt.

Lesen Sie dazu auch: ED-Therapie: hohe Sicherheit und zufriedene Paare

Kommentare
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Das war der Tag: Der tägliche Nachrichtenüberblick mit den neuesten Infos aus Gesundheitspolitik, Medizin, Beruf und Praxis-/Klinikalltag.

Eil-Meldungen: Erhalten Sie die wichtigsten Nachrichten direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen
Lesetipps
Eine pulmonale Beteiligung bei Patienten mit chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen (CED) kann sich mit Stridor, Husten, Dyspnoe und Auswurf manifestieren. Sie zeigt in der Lungenfunktionsprüfung meist ein obstruktives Muster.

© Sebastian Kaulitzki / stock.adobe.com

Morbus Crohn und Colitis ulcerosa

Wenn der entzündete Darm auf die Lunge geht

Die elektronischen Monitoring-Devices könnten gezielt Patienten mit unkontrollierter Erkrankung verordnet werden, um zu messen, ob es bei der Inhalation an der Regelmäßigkeit, der Technik oder an beidem hapert und dann genau da zu schulen, wo es Probleme gibt.

© tadamichi / stock.adobe.com

Neue Möglichkeiten

So hilfreich können Smart Inhaler bei Asthma oder COPD sein