"Zweifel mit größter Überzeugungskraft ausgeräumt"

Von Gwen Janine Albers Veröffentlicht:

"Unsere verehrte Doktorandin hat zwei volle Stunden hindurch die an sie gerichteten Fragen mit bewunderungswürdiger Bescheidenheit, aber vor allem Fertigkeit entgegengenommen, gründlich und deutlich beantwortet und eingeworfene Zweifel mit größter Überzeugungskraft ausgeräumt. Hierbei bediente sie sich eines so schönen und wohlgesetzten Lateins, daß wir glaubten, eine alte Römerin in ihrer Muttersprache zu hören."

So die lobenden Worte des Dekans der medizinischen Fakultät der Universität Halle für die am 6. Mai 1754 frisch examinierte Doktorin der Medizin Dorothea Erxleben. Zum ersten Mal in der Geschichte war es einer Frau gelungen, an einer deutschen Universität promoviert zu werden.

Erxlebens Doktorvater war Professor Johannes Juncker, ein bedeutender Schüler des berühmten Georg Ernst Stahl. Juncker vertrat wie Stahl die Lehre des Animismus, wonach alle Körperfunktionen direkt von der Seele (Anima) gesteuert wurden.

Die am 13. November 1715 in Quedlinburg geborene Dorothea Christiane Leporin, Tochter des Arztes Christian Polycarp Leporin, war ein kränkelndes Kind von schwächlicher Konstitution. Das machte Dorothea zum Sorgenkind des Vaters, dem sie aber gerade dadurch besonders ans Herz wuchs. Er ließ sie am Unterricht ihres älteren Bruders teilhaben, der sich auf das Medizinstudium vorbereitete.

So lernte sie die naturwissenschaftlichen Grundlagenfächer, aber auch Latein und Französisch. Sie hatte das Glück, in ihrer Umgebung Menschen zu haben, die ihre wissenschaftlichen Interessen unterstützten und förderten. Der Rektor der Quedlinburger Ratsschule Tobias Eckart sandte ihr täglich Aufgaben und ermutigte sie, dem Beispiel Laura Bassis zu folgen, die 1732 in Bologna zum Doktor der Philosophie promoviert worden war.

Dorothea half ihrem Vater und Bruder in der Praxis, begleitete ihn auf Krankenbesuche und las die medizinische Literatur der Zeit. Schon bald praktizierte sie in der väterlichen Praxis, in Vertretung ihres ältesten Bruders Christian, als dieser zum Militärdienst einberufen wurde. Nur ein Universitätsstudium schien ihr als Frau verwehrt zu sein. Dennoch richtete sie 1740, als der Bruder nach seiner Freistellung vom Militär das Medizinstudium aufnahm, ein Gesuch an den jungen preußischen König Friedrich II. und bat um die Zulassung zum Medizinstudium.

Tatsächlich wurde 1741 ihrer Bitte stattgegeben, und sie erhielt die Erlaubnis, an der Universität Halle zu studieren. Doch konnte Dorothea ihre Chance nicht nutzen. Stattdessen heiratete sie 1742 den verwitweten Diakon Erxleben und übernahm damit auch die Rolle der Mutter für dessen fünf Kinder, zu denen im Laufe der Jahre noch vier eigene hinzukamen.

Obwohl sie selbst keine Universität besuchen konnte, machte sie sich Gedanken zum Frauenstudium, die sie 1742 mit Hilfe ihres Vaters unter dem Titel "Untersuchung der Ursachen, die das weibliche Geschlecht vom Studiren abhalten" veröffentlichte.

Sie nannte die Vorurteile der Männerwelt als Hauptursache des Mißstandes und verursachte damit einige Aufregung in akademischen Kreisen, fand Gegner, aber auch Befürworter. Neben ihrer Rolle als Hausfrau und Mutter bildete sie sich medizinisch fort und praktizierte weiter in der Praxis des Vaters, auch nach dessen Tod im Jahr 1747.

Obwohl selbst nicht wohlhabend, kümmerte sie sich um die Armen, die sich eine ärztliche Behandlung sonst nicht leisten konnten. Dennoch wurde sie als unerwünschte Konkurrentin nach einem Todesfall von drei Quedlinburger Ärzten wegen Kurpfuscherei angezeigt.

Zur Legalisierung ihrer Tätigkeit benötigte Erxleben die Promotion durch eine medizinische Fakultät. Deshalb verfaßte sie eine Dissertation mit dem Titel "Academische Abhandlung von der gar zu geschwinden und angenehmen, aber deswegen öfters unsichern Heilung der Krankheiten" und reichte sie im Januar 1754 an der Universität Halle ein.

In der Vorrede zur deutschsprachigen Ausgabe ihrer zunächst auf Latein erschienenen Arbeit bemerkte sie stolz: "Als diejenige Abhandlung, welche ich bey Vollziehung meiner Promotion pro specimine inaugurali auszuarbeiten und der hochlöblichen medicinischen Facultät zu Halle darzulegen schuldig war, das erstemal die Presse verließ, gedachte ich wol nicht, dass diese geringe Arbeit so vielen Beyfall finden würde, als nun wirklich geschehen ist." Erxleben kritisierte in der Dissertation Ärzte, die nur darauf bedacht waren, vordergründig Symptome zu beseitigen, ohne darauf zu achten, daß der Patient auch wirklich geheilt wurde.

Am 6. Mai 1754 bestand Dorothea Erxleben glänzend ihr Examen und bekam einen Monat später die Doktorwürde zuerkannt. Von nun an praktizierte sie uneingeschränkt, bis sie am 13. Juni 1762 im Alter von 46 Jahren an Brustkrebs starb. Erst 122 Jahre später wurde die zweite deutsche Ärztin promoviert. Franziska Tiburtius erhielt den Doktortitel 1876 in Zürich, mußte aber in Deutschland als Heilpraktikerin arbeiten. Erst zum Wintersemester 1908/09 wurden Frauen in Deutschland zum Medizinstudium zugelassen.

Schlagworte:
Ihr Newsletter zum Thema
Mehr zum Thema

10 Fragen, 10 Antworten

Ausgeschlafen trotz Schichtdienst: Wie das klappen kann

Das könnte Sie auch interessieren
Glasglobus und Stethoskop, eingebettet in grünes Laub, als Symbol für Umweltgesundheit und ökologisch-medizinisches Bewusstsein

© AspctStyle / Generiert mit KI / stock.adobe.com

Klimawandel und Gesundheitswesen

Klimaschutz und Gesundheit: Herausforderungen und Lösungen

Kooperation | In Kooperation mit: Frankfurter Forum
Ein MRT verbraucht viel Energie, auch die Datenspeicherung ist energieintensiv.

© Marijan Murat / dpa / picture alliance

Klimawandel und Gesundheitswesen

Forderungen nach Verhaltensänderungen und Verhältnisprävention

Kooperation | In Kooperation mit: Frankfurter Forum
Ein Dialogforum von Fachleuten aus Gesellschaft, Gesundheitspolitik und Wissenschaft

© Frankfurter Forum für gesellschafts- und gesundheitspolitische Grundsatzfragen e. V.

Das Frankfurter Forum stellt sich vor

Ein Dialogforum von Fachleuten aus Gesellschaft, Gesundheitspolitik und Wissenschaft

Kooperation | In Kooperation mit: Frankfurter Forum
Kommentare
Sonderberichte zum Thema
Detailansicht eines Windrades: Bringt eine ökologisch nachhaltige Geldanlage auch gute Rendite? Anleger sollten auf jeden Fall genau hinschauen.

© Himmelssturm / stock.adobe.com

Verantwortungsbewusstes Investment

„Nachhaltig – das heißt nicht, weniger Rendite bei der Geldanlage!“

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: der Deutschen Apotheker- und Ärztebank (apoBank)
Protest vor dem Bundestag: Die Aktionsgruppe „NichtGenesen“ positionierte im Juli auf dem Gelände vor dem Reichstagsgebäude Rollstühle und machte darauf aufmerksam, dass es in Deutschland über drei Millionen Menschen gebe, dievon einem Post-COVID-Syndrom oder Post-Vac betroffen sind.

© picture alliance / Panama Pictures | Christoph Hardt

Symposium in Berlin

Post-COVID: Das Rätsel für Ärzte und Forscher

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: vfa und Paul-Martini-Stiftung
Krisenkommunikation war Schwachpunkt in der Pandemie

© HL

Herbstsymposium der Paul-Martini-Stiftung

Krisenkommunikation war Schwachpunkt in der Pandemie

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: vfa und Paul-Martini-Stiftung
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Jetzt neu jeden Montag: Der Newsletter „Allgemeinmedizin“ mit praxisnahen Berichten, Tipps und relevanten Neuigkeiten aus dem Spektrum der internistischen und hausärztlichen Medizin.

Top-Thema: Erhalten Sie besonders wichtige und praxisrelevante Beiträge und News direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen

Der positive Jahresrückblick

Diese guten Nachrichten gab es 2025 im Gesundheitswesen

Lesetipps
Eine Person hält drei Figuren in den Händen

© Suriyo/stock.adobe.com

Man kann nicht nicht führen

Mitarbeiterführung in der Arztpraxis: Tipps für Praxisinhaber

Frau telefoniert

© Matthias Balk / picture alliance

Kontakt mit Patienten

Arztpraxis ohne Telefon: Kann das funktionieren?