"Das Medizinstudium macht demütig und sozial gesinnt"

Veröffentlicht:

Ralf Bröer

Vor 800 Jahren starb der bedeutendste jüdische Arzt, Rabbiner und Philosoph des Mittelalters, Moses ben Maimon, genannt Maimonides, in Fostat bei Kairo. Zwei Jahre vor seinem Tod schrieb der 64jährige an seine Freunde: "Das Joch der Kranken lastet schwer auf meinem Hals. Indem sie Heilung bei mir suchen, haben sie meine Kraft aufgerieben. Sie ließen mir keine freie Stunde, weder bei Tag noch bei Nacht."

Maimonides bezahlte sein Privileg, Arzt der vornehmsten Gesellschaft zu sein, mit einer ungeheuren Arbeitsbelastung. Schon am frühen Morgen machte er sich auf zum Palast des Sultans in Kairo. Nach seiner Rückkehr am späten Nachmittag warteten auf ihn "Hallen voll von Menschen", die ihm höchstens eine kurze Essenspause gönnten.

"Dann komme ich, um sie zu heilen, ihnen Arzneien zu verschreiben und Heilungen ihrer Leiden anzuordnen. Das Kommen und Gehen dauert bis in die Nacht hinein, manchmal - bei der Wahrheit der Tora - bespreche ich mich mit ihnen bis ans Ende der zweiten Morgenstunde."

Maimonides stammte aus einer angesehenen Juristenfamilie in Spanien und wurde 1138 in Cordoba geboren. Ihm stand ein turbulentes Leben bevor. Seine Mutter starb schon bei der Geburt. Im Alter von zehn Jahren floh die Familie vor den Almohaden, einer fanatischen muslimischen Gruppierung, die Nordafrika und Südspanien erorbert hatte, aus der Heimatstadt.

Das überragende Talent als Gelehrter zeigte sich früh

Zwölf Jahre lang irrte Moses mit seinem Vater durch das Land, immer auf der Flucht vor den Glaubenseiferern. Schon früh zeigte der Junge ein überragendes Talent als Gelehrter. Aus unbekannten Gründen begab sich die Familie 1160 ins marokkanische Fes, dem Hauptort der Almohaden. Hier widmete sich Moses auch medizinischen Studien. Doch die Situation in Fes spitzte sich zu. Als der Rabbi der Stadt 1165 hingerichtet wurde, verließ Moses mit Vater, Stiefmutter und Bruder das Land und ließ sich in Fostat in Ägypten nieder.

Weitere Schicksalsschläge folgten. Die Stiefmutter starb, dann der Vater und schließlich kam der Bruder auf einer Geschäftsreise ums Leben. Mit ihm versank der größte Teil des Familienvermögens im Meer. Dadurch wurde Moses gezwungen, seinen Lebensunterhalt als Arzt zu verdienen, was er wohl nicht beabsichtigt hatte. Er sah sich eigentlich als gelehrten Rabbiner. Schon 1168 hatte er einen großen Kommentar zur Mischna, dem nicht in der Tora fixierten jüdischen Gesetz, verfaßt.

Zehn Jahre später folgte sein theologisches Hauptwerk, die Mischne Tora, eine systematische Darstellung des gesamten jüdischen Gesetzes. Um 1190 schloß Maimonides den "Führer der Unschlüssigen" (More nevukhim) ab, in dem er die aristotelische Philosophie mit der jüdischen Religion versöhnen wollte. Seine Rationalisierungen der Gebote stießen auf heftigen Widerspruch, obwohl er die eigene Meinung zu umstrittenen Themen im Text verschlüsselte.

Maimonides war Hofarzt des Sultans in Ägypten

Maimonides heiratete die Schwester eines hohen Beamten und erhielt so Zugang zum Hof des Sultans Saladin. Bald war er Leibarzt des Wesirs, später auch Hofarzt des Sohnes und Nachfolgers Saladins. 1176 erhielt er den Rang des Nagid, des Oberhauptes der ägyptischen Juden.

Maimonides verfaßte auch einige von medizinischen Schriften, von denen zwei an den westeuropäischen Universitäten Berühmtheit erlangten: Die "Aphorismi Rabbi Moysis" wurden das beliebteste Repetitorium der Lehre Galens. Bemerkenswert ist, daß Maimonides auch vor Kritik an Galen, dem bewunderten antiken Vorbild, nicht zurückscheute. Das "Regimen sanitatis", eine diätetische Gesundheitsanleitung, entstand als Antwort auf die Klage des Sultans über Obstipation, Appetitlosigkeit und Melancholie. Beide Schriften vermittelten antikes und arabisches Wissen in das damals rückständige Westeuropa.

Das Ende der Nacht für den Geschlechtsverkehr empfohlen

Maimonides schrieb außerdem über Asthma, Hämorrhoiden, Vergiftungen und die rechte Form des Geschlechtsverkehrs. Als geeignete Zeit empfahl er die Phase nach der Verdauung oder am Ende der Nacht. Der Koitus sei zwar eigentlich heilsam, ein übermäßiger Samenerguß schwäche jedoch die Lebenskraft.

Die Medizin stand für Maimonides ganz im Dienst der Religion. Heilen war für ihn ein göttliches Gebot, denn nur ein Gesunder könne zum jüdischen Ziel der vollständigen Heilung der Welt beitragen. Das Medizinstudium mache den Menschen "demütig, gottesfürchtig und sozial gesinnt".

Die Lehren des Maimonides wurden zu seiner Zeit als radikal empfunden. Seine Schriften, die er meistens in arabischer Sprache, aber mit hebräischen Buchstaben verfaßte, beeinflußten Philosophen wie Spinoza, Leibniz und Moses Mendelssohn. Sie trugen zur Entfaltung der Aufklärung bei.

Moses ben Maimon starb am 13. Dezember 1204 im Alter von 66 Jahren und wurde in Tiberias am See Genezareth beigesetzt. Auf seinem Grabstein stand die Inschrift: "Hier liegt ein Mensch und doch kein Mensch. Warst du ein Mensch, so haben Himmelswesen dich gezeugt."

Schlagworte:
Mehr zum Thema

Kommentar

Alarmstufe rot in der Notaufnahme

Glosse

Die Duftmarke: Frühlingserwachen

Kommentare
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Das war der Tag: Der tägliche Nachrichtenüberblick mit den neuesten Infos aus Gesundheitspolitik, Medizin, Beruf und Praxis-/Klinikalltag.

Eil-Meldungen: Erhalten Sie die wichtigsten Nachrichten direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen

Tierexperiment: Neuer Signalweg identifiziert

Essen in Sicht? Die Leber ist schon aktiv!

Lesetipps
Wo lang im Gesundheitswesen? Der SVR Gesundheit und Pflege empfiehlt mehr Richtungspfeile für alle Akteure.

© StefanieBaum / stock.adobe.com

Sachverständigenrat Gesundheit und Pflege

Gesundheitsweise empfehlen Primärversorgung für alle – und Quotierung der Weiterbildung

„Wenn die Politik Wissenschaftlern sagen würde, wir wollen dieses oder jenes Ergebnis, ist das Propaganda.“ Klaus Überla – hier im Treppenhaus seines Instituts – über Einmischungen aus der Politik.

© Patty Varasano für die Ärzte Zeitung

Interview

STIKO-Chef Überla: RSV-Empfehlung kommt wohl bis Sommer