"Sozialarbeiterinnen der Libido" und ihre Lebenswelt

Von Maja Abu Saman Veröffentlicht:

Im roten Salon hängt das abgenutzte Lackmieder einer Domina - hinter Glas im goldenen Rahmen. "Das ist unsere Erotik-Schleuse zur Straße der Möglichkeiten. Alles was Sie hier sehen, ist authentisch. Der Lack ist ab, das zerschlissene Mieder ist damit auch symbolisch zu verstehen", sagt Elisabeth von Dücker.

Die Kunsthistorikerin ist Kuratorin von Deutschlands erster Ausstellung über "Sexarbeit" im Hamburger Museum der Arbeit. Gut zwei Jahre lang haben Dücker und ihre Helfer in Bordellen, auf dem Straßenstrich und in Beratungsstellen für die Ausstellung recherchiert. Die "Ausbeute" ist auf einer Fläche von 700 Quadratmetern bis zum 26. März 2006 zu sehen.

"Es geht um Lebens- und Arbeitsbedingungen von Frauen und Männern im sexuellen Dienstleistungsgewerbe. Wo paßt das besser hin als ins Arbeits-Museum", meint Dücker. Der Rundgang durch die Ausstellung fängt "Heute" an und geht zurück in die Vergangenheit. Dokumentiert werden der Wandel von Sexarbeit, Gesundheitsrisiken für Freier und Prostituierte, Menschenhandel, Drogenprostitution, Recht und Sitte sowie der Huren Kampf um Respekt.

Seit 2002 ist Prostitution in Deutschland ein legales Gewerbe. Prostituierte können sich kranken- und rentenversichern, Arbeitsverträge abschließen, ihren Lohn einklagen. "Aber die gesellschaftliche Anerkennung läßt auf sich warten. Tabuisierung und Scheinheiligkeit sind weiter verbreitet", weiß Dücker. Für die Ausstellung sei sehr bewußt der Titel "Sexarbeit" gewählt worden, der auf die US-amerikanische Prostituiertenbewegung und ihre Forderung nach rechtlicher und sozialer Gleichstellung zurück geht.

Etwa 200 000 Frauen arbeiten allein in Deutschland im Sexgewerbe für rund eine Million Kunden täglich. Der Jahresumsatz liegt bei geschätzten 14 Milliarden Euro. Das reicht fast an den Umsatz der Deutschen Luft- und Raumfahrtindustrie heran. Hamburg gilt weiter als "Hauptstadt der Sexarbeit" mit 4000 weiblichen und 1000 männlichen Prostituierten.

Ihr Tages-Umsatz liegt nach Angaben von Detlev Ubben vom Landeskriminalamt (LKA) bei insgesamt 500 000 Euro. Nur ein Zehntel davon erhalten die Prostituierten selbst, den Löwenanteil die Zuhälter. "Das ist kriminelle Ausbeutung, die bekämpfen wir", sagt der LKA-Mann.

In der Ausstellung sind etwa 400 Exponate aus der Zeit von 1850 bis 2005 zu sehen. Hinter jedem Stück steckten "Geschichten von Licht- und Schattenseiten der Prostitution", sagt Dücker. Ausgestellt werden benutzte Bordell-Handtücher und echte "Ackerschuhe", Highheels mit 20 Zentimeter hohen Absätzen oder wattierte Winterstiefel für den Straßenstrich.

Daneben gibt es Installationen zur "Körperarbeit" wie den "gefallenen Engel" oder "Erotische Speisekarten" mit detaillierten Preisen für sexuelle Dienstleistungen. "Wir wollen aber keinen Voyeurismus bedienen, sondern Lebenswelten zeigen und Mythen entzaubern", betont Dücker.

Sex als Arbeit zu erklären, sei das Verdienst der Hurenbewegung der 70er Jahre in den USA gewesen. Sie habe den Begriff "sexwork" geprägt. Gut gefällt Dücker auch, daß sich französische Huren im Kampf gegen Ächtung und für Achtung "Sozialarbeiterinnen der Libido" nannten. Das sei die Zielrichtung. "Wir wollen Klischees ankratzen, ohne den Zeigefinger zu erheben. Kennen lernen kann Vorurteile abbauen, vielleicht wird Respektieren daraus", hofft die Ausstellungs-Macherin. (dpa)

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