Spagat zwischen Hebamme und Wissenschaft

An der Medizinischen Hochschule Hannover arbeitet die erste habilitierte Hebamme Deutschlands. Ein Besuch bei Dr. Mechthild Groß auf der Entbindungsstation.

Christian BenekerVon Christian Beneker Veröffentlicht:
Trotz Habilitation will PD Dr. Mechthild Groß den Kontakt zum Dienst im Kreißsaal nicht verlieren. Dort erhält sie neue Anregungen für ihre Forschung.

Trotz Habilitation will PD Dr. Mechthild Groß den Kontakt zum Dienst im Kreißsaal nicht verlieren. Dort erhält sie neue Anregungen für ihre Forschung.

© cben

HANNOVER. Alter? "Verrate ich nicht." Kinder? "Sage ich nicht." Privates hält sie unter Verschluss, man kennt ja die Presseleute. Intimes dagegen darf ihr als Hebamme nicht fremd sein. "Meine Hände rochen noch nach Fruchtwasser, als ich die Nachricht bekam", sagt sie. Diese Nachricht war eine E-Mail vom Hochschulsenat. Er hatte ihre Habilitation anerkannt. In ihrer Habilitationsschrift hat sie sich mit dem Geburtsprozess beschäftigt. "Wir müssen auch mal weg von der Konzentration auf das Resultat nach dem Motto ‚Hauptsache gesund‘," sagt sie, "es geht auch um die sechs Stunden vor der Geburt." Anfang September hat sie ihre Antrittsvorlesung gehalten. Thema: Die Selbstdiagnose des Geburtsbeginns.

Mit streng gebürstetem blondem Schopf, Brille und einem fast immer lachenden Mund führt Mechthild Groß mit langen Schritten durch die Entbindungsstation der MHH. 1600 Kinder kommen hier im Jahr zur Welt. Eben wird ein Bett mit einer jungen Frau in den Flur geschoben. Die Hände ruhen auf dem großen Bauch, sie lächelt angespannt, Mechthild Groß strahlt über das ganze Gesicht: "Hallo!"

Sie will ihr Büro auf der Mutter-Kind-Station behalten. Auch als habilitierte Hebamme tue sie weiter Dienst im Kreißsaal. "Die Geburten geben mir immer wieder neue Anregungen."

Zurzeit untersucht sie das Verhältnis von Geburtsdauer, Schmerz und Wohlbefinden während des Gebärens. In den vielen Interviews der letzten Wochen hat sie oft vom "Spagat" gesprochen, den sie als Hebamme einerseits und als Wissenschaftlerin andererseits zu bewältigen habe. Beides gehört zusammen, sagt sie.

Klingt aber anstrengend. "Stimmt. Wenn ich in zehn Jahren zurückschaue, werde ich mich dasselbe fragen wie heute, wenn ich auf die vergangenen zehn Jahre zurückschaue: Wie habe ich das bloß geschafft?"

Groß ist seit 2001 an der Frauenklinik. Abi, Krankenpflegeausbildung und Psychologie-Studium, das sie 1989 für die Hebammenausbildung in Tübingen abbricht. Danach beendet sie das Studium. Das "Karriereangebot" als Psychologin habe sie ausgeschlagen. Sie ging nach Bremen und promoviert summa cum laude. Thema: Gebären als Prozess.

In ihrem winzigen Büro herrscht ein angenehmes Maß von Unordnung. Auf der Fensterbank sind Fotos und Glückwunschkarten aufgebaut.

Mechthild Groß ist in Deutschland Pionierin. "In zehn Jahren werde ich Professorin sein", sagt sie. Die Voraussetzungen in Hannover sind geschaffen: Schon länger leitet sie an der MHH den europäischen Masterstudiengang für Hebammenwissenschaft. Jede der zehn Studentinnen muss 10 000 Euro zahlen, denn die Hebammenwissenschaft ist als non-konsekutiver Studiengang nicht im Hochschulplan. In den Folien zu Groß' Antrittsvorlesung findet sich ein Bild der Familie Queen Victorias. "Bei ihren Entbindungen waren schon damals promovierte Hebammen dabei", sagt sie. Will sagen: Was die Hebammen tun, ist schon lange auch eine akademische Angelegenheit. "Hebammen viel mehr als das Handwerk", sagt Groß, "zum Beispiel übergreifende Kooperation und Organisationsfähigkeiten. Beides lernt man im Studium am besten."

Auf ihrem weißen Kittel trägt Mechthild Groß einen goldenen Sticker. Er zeigt stilisiert zwei geöffnete Hände, die sich schützend um einen Säugling legen. "Wir glauben daran, dass es gut ausgeht", sagt Groß zum Thema Geburt, "das tut ein Mediziner nicht, er sucht die Diagnose." Natürlich geht es auch um Emanzipation. Sowohl der Hebammen-Arbeit gegenüber der Medizin, als auch um die Emanzipation der Sage Femme gegenüber den Medizin-Männern.

Das Kollegium in Hannover sei allerdings rührend und unterstütze sie geradezu wunderbar, freut sich Groß. Dann berichtet sie doch von ihrem Tübinger Professor und unterdrückt höflich ein Lachen. "Er musste zur Kenntnis nehmen, dass die erste Überblicksanalyse zum Perinealriss von einer Hebamme war."

Schlagworte:
Ihr Newsletter zum Thema
Mehr zum Thema
Das könnte Sie auch interessieren
Glasglobus und Stethoskop, eingebettet in grünes Laub, als Symbol für Umweltgesundheit und ökologisch-medizinisches Bewusstsein

© AspctStyle / Generiert mit KI / stock.adobe.com

Klimawandel und Gesundheitswesen

Klimaschutz und Gesundheit: Herausforderungen und Lösungen

Kooperation | In Kooperation mit: Frankfurter Forum
Ein MRT verbraucht viel Energie, auch die Datenspeicherung ist energieintensiv.

© Marijan Murat / dpa / picture alliance

Klimawandel und Gesundheitswesen

Forderungen nach Verhaltensänderungen und Verhältnisprävention

Kooperation | In Kooperation mit: Frankfurter Forum
Ein Dialogforum von Fachleuten aus Gesellschaft, Gesundheitspolitik und Wissenschaft

© Frankfurter Forum für gesellschafts- und gesundheitspolitische Grundsatzfragen e. V.

Das Frankfurter Forum stellt sich vor

Ein Dialogforum von Fachleuten aus Gesellschaft, Gesundheitspolitik und Wissenschaft

Kooperation | In Kooperation mit: Frankfurter Forum
Alarmierender Anstieg: Hautpilz aus dem Barbershop

© David Pereiras | iStock (Symboldbild mit Fotomodell)

Dermatomykosen

Alarmierender Anstieg: Hautpilz aus dem Barbershop

Anzeige | Bayer Vital GmbH
Effektive Therapie von Nagelpilz: Canesten® EXTRA Nagelset

© Irina Tiumentseva | iStock

Onychomykosen

Effektive Therapie von Nagelpilz: Canesten® EXTRA Nagelset

Anzeige | Bayer Vital GmbH
Kommentare
Sonderberichte zum Thema

ADHS im Erwachsenenalter

Wechseljahre und ADHS: Einfluss hormoneller Veränderungen auf Symptomatik und Diagnose

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: MEDICE Arzneimittel Pütter GmbH & Co. KG, Iserlohn
Detailansicht eines Windrades: Bringt eine ökologisch nachhaltige Geldanlage auch gute Rendite? Anleger sollten auf jeden Fall genau hinschauen.

© Himmelssturm / stock.adobe.com

Verantwortungsbewusstes Investment

„Nachhaltig – das heißt nicht, weniger Rendite bei der Geldanlage!“

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: der Deutschen Apotheker- und Ärztebank (apoBank)
Den Herausforderungen mit Hopfenextrakt begegnen

© Pixelrohkost / stock.adobe.com

Arztinformation – Hilfe für Patientinnen in den Wechseljahren

Den Herausforderungen mit Hopfenextrakt begegnen

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: Procter & Gamble Health Germany GmbH, Schwalbach am Taunus
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Jetzt neu jeden Montag: Der Newsletter „Allgemeinmedizin“ mit praxisnahen Berichten, Tipps und relevanten Neuigkeiten aus dem Spektrum der internistischen und hausärztlichen Medizin.

Top-Thema: Erhalten Sie besonders wichtige und praxisrelevante Beiträge und News direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen

Steigende Prävalenz

Kindliche Rückenschmerzen: Eine neue Volkskrankheit?

Lesetipps