Allein in der Sahara: 39.000 Flüchtlinge und ein Arzt

In der Region zwischen Ägypten bis zur nördlichen Sahara ist die Sorge eines Bürgeraufstandes groß - besonders seit dem Umsturz in Tunesien. Ein ständiger Konfliktpunkt ist die Lebenssituation von Flüchtlingen aus früheren Kriegen. Auch in Marokko warten seit über 30 Jahren die Saharauis auf die Rückkehr in ihre Heimat.

Manuel MeyerVon Manuel Meyer Veröffentlicht:
Flüchtlingslager in der Wüste: Ohne die Lebensmittel der UN würden die Saharauis hier nicht überleben.

Flüchtlingslager in der Wüste: Ohne die Lebensmittel der UN würden die Saharauis hier nicht überleben.

© Meyer

DAJLA. Abba Ali Maulud ist völlig übermüdet. Seit zehn Tagen ist er bereits im Dauereinsatz - 24 Stunden Bereitschaftsdienst, 40 Patienten pro Tag.

Danach werde er zwei Tage frei haben. Doch bei Notfällen muss er sofort zur Verfügung stehen. Er ist der einzige Arzt am "San Esteban de Sevilla"-Hospital.

"Die anderen Ärzte sind alle nach Europa gegangen", sagt Ali Maulud und schaut nachdenklich durch das Fenster seines Behandlungszimmers. Draußen ist weit und breit nichts zu sehen außer Sand und Wüste.

"Eigentlich würde ich alles am liebsten sofort hinschmeißen", träumt Ali Maulud vor sich hin. Er spricht von seinem inneren Kampf zwischen der Lust auf ein besseres Leben als Arzt in Europa und der moralischen Verpflichtung seinem Volk gegenüber. "Was soll ich tun? Wenn ich gehe, gibt es hier gar keinen Arzt mehr", klagt er.

Auf ein Referendum warten die Menschen seit 19 Jahren

Mit hier meint er Dajla, eines von insgesamt vier Flüchtlingslagern in der südalgerischen Sahara-Wüste. 39 000 Menschen leben hier unter härtesten Bedingungen.

Die einzige Klinik weit und breit: Ärzte sind hier im Dauereinsatz - und sehen täglich eine prekäre Versorgungssituation.

Die einzige Klinik weit und breit: Ärzte sind hier im Dauereinsatz - und sehen täglich eine prekäre Versorgungssituation.

© Meyer

Schon vor über 30 Jahren sind sie aus der Westsahara an der afrikanischen Atlantikküste in diese Gott verlassen Gegend vor den marokkanischen Truppen geflohen, die ihr Land 1976 nach dem Abzug der spanischen Kolonialherren mit Gewalt in Besitz nahmen.

Es kam zu harten Kämpfen, die erst 1988 mit einer von der UNO vermittelten Waffenruhe endeten. Dennoch hält Marokko bis heute immer noch zwei Drittel des Landes besetzt.

1991 versprach die UNO den Saharauis ein Unabhängigkeitsreferendum. Nach mehr als 19 Jahren ist es dazu immer noch nicht gekommen. Denn Marokko stellt sich trotz aller Bemühungen der UNO strikt gegen eine Volksabstimmung.

"Doch wie lange sollen wir denn noch warten? Wir halten es hier in den Lagern nicht mehr länger aus", versichert auch Mailmnin, eine der sechs Krankenschwestern am Hospital.

Im Flüchtlingslager gibt es kein fließendes Wasser und der Strom in den Lehmhütten und Nomadenzelten stammt von Autobatterien. Einige Flüchtlinge haben Ziegen, Kamele und Esel. Um die Grundversorgung mit Lebensmitteln kümmern sich die Vereinten Nationen mit Lebensmittelspenden.

Die medizinische Versorgung der Flüchtlinge ist prekär. Die meisten Patienten leiden unter ernährungsbedingter Anämie, Diabetes, Bluthochdruck, Erkältungs- und Atemwegserkrankungen, Augenproblemen, Durchfall und Zöliakie.

"Doch habe ich weder Medikamente noch Gerätschaften, um den Menschen richtig zu helfen", beklagt sich der 30-jährige Allgemeinmediziner Ali Maulud, während er einem Kamelhirten eine offene Wunde an der Hand verbindet.

Fachärzte kommen nur äußerst selten ins Lager

"Vor allem aber fehlen uns Fachärzte", sagt Maulud. Nur zwei Mal im Jahr kommen Fachärzte und Chirurgen von Hilfsorganisationen wie "Ärzte ohne Grenzen" für zwei Tage ins Flüchtlingslager, um die schlimmsten und chronischen Erkrankungen zu behandeln. "Doch das reicht einfach nicht aus für eine so große Bevölkerung", meint Ali Maulud.

Wie schlimm die Lage im einzigen Lagerhospital ist, zeigt ein Blick in die ophthalmologische Abteilung. "Ich bin nur Optiker. Ich kann hier Brillen anfertigen. Doch Augenkrankheiten kann ich nicht behandeln", erklärt Muley Ajamed, der im Hospital die Ophthalmologie leitet.

Unterdessen wartet Ali Mohammad Fadit im Zahnarztzimmer darauf, Patienten Zahnbürsten zu schenken oder den einen oder anderen Zahn zu ziehen. Zu mehr ist der gelernte Industrie-Ingenieur auch nicht in der Lage. Der letzte wirkliche Zahnarzt im Lager hatte ihn nur drei Monate angelernt.

"Ich ertrage das Leben hier nicht mehr. Ich will endlich wieder in meine Heimat", gibt Ali Maulud zu verstehen. Die Verzweiflung ist so groß, dass er sich offen für ein Ende des Waffenstillstands mit Marokko ausspricht.

Dieser Meinung sind die meisten Flüchtlinge. Erst recht, nachdem die marokkanische Polizei Mitte November 2010 mit äußerster Brutalität ein Zeltlager von Demonstranten rund zehn Kilometer östlich von El-Aiún, der Hauptstadt der besetzten Westsahara, stürmte.

Die Bewohner wollten eigentlich nur gegen die schlechten Lebensbedingungen der Saharauis protestieren. Nachdem aus den paar Zelten vor den Toren der Stadt aber 7000 wurden, stürmte die marokkanische Polizei mit Hubschraubern, Gummigeschossen und Tränengas das Lager und brannte die Zelte nieder.

Es kam zu heftigen Straßenkämpfen mit Dutzenden von Toten. "Wir geben keine Handbreit unseres Territoriums her", sagte König Mohammed VI. unmissverständlich.

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