Interview

Noch kein biologisches Phantombild möglich

Der Immunologe und Genetiker Professor Peter M. Schneider hat die Methode des genetischen Fingerabdrucks ab Ende der 80er Jahre in Deutschland mit etabliert. Mit der "Ärzte Zeitung" sprach er darüber, was bei der DNA-basierten Vorhersage äußerer Merkmale und der biogeographischen Herkunft möglich ist.

Von Nicola Siegmund-Schultze Veröffentlicht:

Ärzte Zeitung: Sie arbeiten in einem von der Europäischen Union mit fünf Millionen Euro geförderten Konsortium daran, äußerlich sichtbare Merkmale, aber auch die biogeographische Herkunft eines Spurenlegers und das Alter auf Basis von DNA-Analysen vorherzusagen. Wann gibt es Ergebnisse?

Professor Peter M. Schneider: Das Projekt heißt VISAGE (steht für "visible attributes through genomics"), es läuft in acht europäischen Ländern und ist auf vier Jahre angelegt. Wir wollen es schaffen, in diesem Zeitrahmen wissenschaftlich validierte und in der Routine anwendbare Testverfahren für diese Fragestellungen in der forensischen DNA-Analyse zu haben.

Von Seiten der Molekulargenetik werden die bisherigen Methoden um das "next generation sequencing" erweitert, also die parallele Sequenzierung von Millionen von DNA-Fragmenten auf einem Chip in einer einzigen Analyse. Damit lassen sich Merkmale mit ausgeprägter genetischer Heterogenität in großer Zahl und für viele Proben rasch untersuchen – künftig hoffentlich kosteneffizient.

Welche äußeren Merkmale lassen sich mit welcher Zuverlässigkeit vorhersagen?

Professor Peter M. Schneider

  • Leiter des Bereichs Forensische Molekulargenetik am Institut für Rechtsmedizin der Universitätsklinik Köln
  • Vorsitzender der Spurenkommission in Deutschland
  • Etablierte mit anderen die Methode des genetischen Fingerabdrucks ab Ende der 80er Jahre in Deutschland und arbeitet am Aufbau populationsgenetischer DNA-Datenbanken mit.

Die Grundtöne von Augen- und Haarfarbe lassen sich mit einer Wahrscheinlichkeit von 95 bis 98 Prozent prognostizieren. Wir können ziemlich zuverlässig sagen, ob der Spurenleger blaue oder braune Augen hat oder helle, rote oder dunkle Haare oder eine helle oder dunkle Hautfarbe.

Schwierig wird es bei den Zwischentönen, bei grau-grünen oder grau-blauen Augen zum Beispiel. Mischfarben sind genetisch sehr komplex. Da liegt die Wahrscheinlichkeit, dass eine Vorhersage zutrifft, teilweise nur bei 50 bis 60 Prozent, für die Strafverfolgung natürlich zu wenig. Zu einer solchen Prognose gehört übrigens immer, dass wir Angaben zur Fehlerabschätzung machen.

Wie sieht es mit Gesichts- oder Nasenformen aus? Wird die Forensik in Zukunft ein biologisches Phantombild erstellen können?

MS: Wir sind noch weit davon entfernt, wissenschaftlich fundiert und mit ausreichender Vorhersagekraft ein echtes biologisches Phantombild zu erstellen.

Die Genetik von Gesichtsmerkmalen wie Nasenformen ist äußerst komplex, auch die Körpergröße zum Beispiel, die ein wichtiger Hinweis bei einer Fahndung sein kann, lässt sich nicht aus einigen wenigen genetischen Parametern ablesen. Dazu bedarf es umfangreicher, kostenintensiver Forschung.

In welchen kriminalistischen Situationen ist eine DNA-Analyse auf äußere Merkmale oder auf die Herkunft sinnvoll?

MS: Vor kurzem wurde ein Torso ohne Kopf in einem Fluss gefunden. Da wäre es natürlich sinnvoll für die Polizei zu wissen: Woher stammt diese Person und wie sah sie aus?, und diese Frage per DNA-Analyse zu untersuchen. Bei einem großen Teil der Spuren aber sind Menge und Qualität der DNA begrenzt, da müssen wir priorisieren.

Das ist auch Konsens in der Spurenkommission. Wenn Material knapp ist, hat oberste Priorität zu prüfen, ob die herkömmliche DNA-Analyse einen Treffer in der Datenbank des Bundeskriminalamts ergibt. Zweitens muss ein eindeutiger Bezug zur Straftat vorliegen, die DNA-Spur muss also zum Beispiel vom Opfer oder von einer Waffe stammen.

Drittens kommen für eine erweiterte DNA-Analyse nur Spuren in Betracht, die von einer einzelnen Person stammen. Aus Mischspuren, die wir häufig haben, lassen sich keine eindeutigen Vorhersagen ableiten. Und es stellt sich die Frage, ob die Anwendung von der Schwere der Tat abhängig sein soll.

Insgesamt könnte die erweiterte DNA-Analyse jährlich bei einigen hundert Fällen in Deutschland sinnvoll sein, als Ergänzung, nicht als Ersatz für andere Verfahren.

Forensische DNA-Analysen werden auch in der Kriminaltechnik der Justizbehörden gemacht. Welchen Stellenwert hat die universitäre Rechtsmedizin im System?

MS: Es ist eine politische Entscheidung, wie solche strafrechtlich relevanten Aufgaben in einem Staat verteilt werden. Grundsätzlich aber glaube ich, ist der Politik klar, welche Bedeutung eine unabhängige Rechtsmedizin an Universitäten für ein Rechtssystem hat: nicht nur für Forschung und Lehre, sondern auch für die Dienstleistung in der Routine, da die Erkenntnisse wieder unmittelbar der Wissenschaft zugute kommen.

Wir beraten und schulen alle Parteien der Rechtspflege: Staatsanwälte, Richter und Strafverteidiger.

Lesen Sie dazu auch: Rechtsmedizin: DNA – der stille biologische Zeuge

Ihr Newsletter zum Thema
Mehr zum Thema

Hörsaalgeflüster

Südkorea: Klinikalltag im Ausland

Das könnte Sie auch interessieren
Glasglobus und Stethoskop, eingebettet in grünes Laub, als Symbol für Umweltgesundheit und ökologisch-medizinisches Bewusstsein

© AspctStyle / Generiert mit KI / stock.adobe.com

Klimawandel und Gesundheitswesen

Klimaschutz und Gesundheit: Herausforderungen und Lösungen

Kooperation | In Kooperation mit: Frankfurter Forum
Ein MRT verbraucht viel Energie, auch die Datenspeicherung ist energieintensiv.

© Marijan Murat / dpa / picture alliance

Klimawandel und Gesundheitswesen

Forderungen nach Verhaltensänderungen und Verhältnisprävention

Kooperation | In Kooperation mit: Frankfurter Forum
Ein Dialogforum von Fachleuten aus Gesellschaft, Gesundheitspolitik und Wissenschaft

© Frankfurter Forum für gesellschafts- und gesundheitspolitische Grundsatzfragen e. V.

Das Frankfurter Forum stellt sich vor

Ein Dialogforum von Fachleuten aus Gesellschaft, Gesundheitspolitik und Wissenschaft

Kooperation | In Kooperation mit: Frankfurter Forum
Kommentare
Sonderberichte zum Thema
Detailansicht eines Windrades: Bringt eine ökologisch nachhaltige Geldanlage auch gute Rendite? Anleger sollten auf jeden Fall genau hinschauen.

© Himmelssturm / stock.adobe.com

Verantwortungsbewusstes Investment

„Nachhaltig – das heißt nicht, weniger Rendite bei der Geldanlage!“

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: der Deutschen Apotheker- und Ärztebank (apoBank)
Von der Grundlagenforschung zu wegweisenden Therapien

© Alnylam

Pionier der RNAi-Technologie

Von der Grundlagenforschung zu wegweisenden Therapien

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: Alnylam Germany GmbH, München
Protest vor dem Bundestag: Die Aktionsgruppe „NichtGenesen“ positionierte im Juli auf dem Gelände vor dem Reichstagsgebäude Rollstühle und machte darauf aufmerksam, dass es in Deutschland über drei Millionen Menschen gebe, dievon einem Post-COVID-Syndrom oder Post-Vac betroffen sind.

© picture alliance / Panama Pictures | Christoph Hardt

Symposium in Berlin

Post-COVID: Das Rätsel für Ärzte und Forscher

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: vfa und Paul-Martini-Stiftung
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Jetzt neu jeden Montag: Der Newsletter „Allgemeinmedizin“ mit praxisnahen Berichten, Tipps und relevanten Neuigkeiten aus dem Spektrum der internistischen und hausärztlichen Medizin.

Top-Thema: Erhalten Sie besonders wichtige und praxisrelevante Beiträge und News direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen
Lesetipps
Für die Einarbeitung sollten Neulinge eine feste Ansprechpartnerin im Team haben. (Motiv mit Fotomodellen)

© Manu Reyes / Stock.adobe.com

Willkommenskultur

Neu im Team? Was Praxen beim Onboarding beachten sollten

Menschen laufen am Strand

© KOTO - stock.adobe.com

Nicht-medikamentöse Behandlung

Sport bei Kniegelenksarthrose? Move it or loose it!

Impfung gegen Gelbfieber: Ist eine Auffrischung nötig?

© Porträt: privat | Spritze: Fied

Sie fragen – Experten antworten

Impfung gegen Gelbfieber: Ist eine Auffrischung nötig?