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Droht uns eine Opioid-Krise wie die in den USA?

Bei über einem Viertel der Patienten unter Opioid-Langzeittherapie wegen chronischer Nichtkrebsschmerzen wurde in einer Studie der Uni Bonn eine Opioidsubstanzstörung diagnostiziert. Droht uns eine Suchtepidemie nach US-amerikanischem Muster?

Von Dr. Christine Starostzik Veröffentlicht:
In Deutschland erhalten Untersuchungen zufolge 1,3 Prozent der Pflichtversicherten eine Opioid-Langzeittherapie.

In Deutschland erhalten Untersuchungen zufolge 1,3 Prozent der Pflichtversicherten eine Opioid-Langzeittherapie.

© Mladen Zivkovic / Getty Images / iStock

Das Wichtigste in Kürze

  • Frage: Wie hoch ist der Anteil der Patienten mit inadäquatem Opioidgebrauch unter den Nichtkrebspatienten, die wegen chronischer Schmerzen unter einer Langzeittherapie mit Opioiden stehen?
  • Antwort: Mehr als ein Viertel der Patienten erfüllt die Kriterien der Diagnose „Opioidgebrauchsstörung“.
  • Bedeutung: Es handelt sich um die erste Einschätzung von Opioidgebrauchsstörungen in Deutschland.

BONN. Die aktuelle Opioidepidemie in den USA macht klar, wie schnell und anhaltend eine an sich effektive Therapie ins Negative umschlagen kann, wenn sie nicht adäquat eingesetzt wird.

Immer wieder erscheinen Berichte vom Ausmaß des Elends Betroffener mit Opioidsubstanzstörung (Opioid use disorder, OUD), deren Folgen und den Auswirkungen auf die Familien.

Allein in den zwölf Monaten bis Juni 2017 hat die US-Gesundheitsbehörde CDC fast 45.000 Todesfälle durch Opioid-Überdosierungen ermittelt. In Deutschland erhalten Untersuchungen zufolge 1,3 Prozent der Pflichtversicherten eine Opioid-Langzeittherapie, 15,5 Prozent von ihnen mehr als 100 mg Morphinäquivalent pro Tag.

Ambulante Patienten befragt

Ob ein ähnliches Szenario wie in den USA auch hierzulande denkbar wäre, wollten Dr. Johannes Just vom Universitätsklinikum Bonn und Kollegen in einer Querschnittstudie abschätzen (BMJ Open 2019; online 3. April). Um den Anteil der Patienten mit OUD zu erfassen, befragten sie 204 ambulante Patienten aus vier Kliniken im Raum Bonn.

Beim Abholen ihres Rezepts füllten die im Schnitt 62-jährigen Studienteilnehmer einen anonymen Fragebogen aus. Alle Patienten waren wegen chronischer Nichttumorschmerzen seit mehr als sechs Monaten unter Opioidtherapie, die meisten wegen Rücken-, Gelenk- oder Nackenschmerzen (33,8 bzw. 20,0 bzw. 11,4 Prozent).

Mehr als die Hälfte der Teilnehmer (59 Prozent) wurde bereits länger als vier Jahre mit Opioiden behandelt.

OUD gilt als problematischer Opioidgebrauch, der zu einer klinisch signifikanten Beeinträchtigung oder Notlage führt. In der Befragung mussten mindestens zwei von elf Kriterien zutreffen, um die Diagnose OUD zu stellen.

Unter anderem wurde danach gefragt, ob Opioide häufig in größeren Mengen oder über einen längeren Zeitraum als vorgesehen eingenommen würden und die Einnahme willentlich schlecht kontrolliert werden könne. Auch wurden beispielsweise Fragen nach der Leistungsfähigkeit in Schule und Job unter wiederholter Opioidanwendung gestellt.

Bei 26,5 Prozent der Befragten mit Opioid-Langzeittherapie stellten Just und Kollegen eine OUD fest, in 9,3 Prozent der Fälle wurde die OUD als moderat oder schwer eingestuft.

In der Regressionsanalyse zeigte sich als einzige signifikante Korrelation das Alter der Patienten: Mit jedem zusätzlichen Lebensjahr sank die Wahrscheinlichkeit für eine OUD-Diagnose um 3 Prozent. Die in dieser Studie ermittelten Daten liegen im Bereich der OUD-Raten anderer Länder, mit 21–41 Prozent in den USA sowie 21 Prozent in Australien.

Unterstützung von Suchtexperten

Den Studiendaten zufolge, so Just und Kollegen, sollten Personen, die wegen chronischer Nichtkrebsschmerzen eine Opioid-Langzeittherapie erhalten, als Risikogruppe für OUD angesehen werden.

Vor allem Patienten mit einer moderaten oder schweren Form der OUD benötigten zusätzliche Unterstützung durch einen Suchtexperten.

Möglicherweise, so die Studienautoren, haben hierzulande positive gesellschaftliche Faktoren wie das Versicherungssystem und eine hochwertige Gesundheitsversorgung mit regulatorischen Beschränkungen für Opioide eine Epidemie wie in den USA verhindert.

Für ein genaueres Bild der Lage in Deutschland und Europa seien allerdings weitere Studien mit höheren Probandenzahlen erforderlich.

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