Studie

Warum Fertiggerichte dick machen – und süchtig

Fertiggerichte schmecken vielen Menschen. Und ein Experiment zeigt: Man isst einfach mehr davon als von unverarbeiteter Nahrung. Die Forscher geben auch mögliche Erklärungen, warum das so ist.

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Hähnchen mit Nudeln als Fertiggericht: Wissenschaftler haben eruiert, was am miesen Ruf von Convenience Food dran ist.

Hähnchen mit Nudeln als Fertiggericht: Wissenschaftler haben eruiert, was am miesen Ruf von Convenience Food dran ist.

© huePhotography / Getty Images

BETHESDA. Tiefkühl-Pizza, abgepacktes Brot oder Schokolade: Stark verarbeitete Lebensmittel sind in den vergangenen Jahren auch in Deutschland immer beliebter geworden, mittlerweile machen sie fast die Hälfte der verzehrten Nahrung aus. Gleichzeitig steigt die Zahl der Übergewichtigen, jeder zweite Erwachsene gilt hierzulande als zu dick.

Eine aktuelle Studie legt nun einen Zusammenhang zwischen diesen beiden Trends nahe. So fanden US-Forscher heraus, dass Fertiggerichte, Chips und Co. Menschen dazu verleiten, mehr zu essen und somit zuzunehmen. Die Ergebnisse wurden im Fachmagazin „Cell Metabolism (10.1016/j.cmet.2019.05.008).

Gefährliche Fertiggerichte?

Schon länger stehen stark verarbeitete Nahrungsmittel im Verdacht, gesundheitsschädlich zu sein: Eine Studie von 2018 brachte einige davon mit einem erhöhten Krebsrisiko in Verbindung, erst vor kurzem berichteten Forscher gar von einem höheren Risiko, frühzeitig zu sterben.

Dennoch wird gerne zu derartigen Lebensmitteln gegriffen, zu denen etwa Fertiggerichte, Chips, Wurst, behandeltes Fleisch, aber auch Milch- und Fruchtgetränke gehören: Sie sind praktisch und schmecken vielen Menschen.

Dass veränderte Essvorlieben etwas mit der steigenden Zahl von Übergewichtigen zu tun haben könnten, scheint auf der Hand zu liegen. US-Forscher um Kevin Hall vom National Institute of Diabetes and Digestive and Kidney Diseases wollten das nun überprüfen.

Wie sah das Studiendesign aus?

Sie haben 20 gesunde Freiwillige ausgewählt, die einen Monat lang im Labor lebten. Eine Gruppe bekam jeden Tag drei Mahlzeiten plus Snacks, die andere aus hoch-prozessierten Lebensmitteln bestanden. Zum Frühstück gab es unter anderem eine Portion Honig-Nuss-Getreideprodukte und einen Fertig-Blaubeermuffin.

Die andere Gruppe erhielt genauso viele Mahlzeiten, allerdings mit unverarbeiteten Lebensmitteln. Hier bestand das Frühstück etwa aus Joghurt mit Obst und Nüssen. Beiden Gruppen wurden jeden Tag die gleichen Mengen an Kalorien sowie Kohlenhydraten, Fetten, Zucker und Salz angeboten, nach zwei Wochen wurde getauscht. Über den ganzen Zeitraum konnten die Probanden so viel essen, wie sie wollten.

Das Ergebnis: Nach den zwei Wochen mit stark verarbeiteten Lebensmitteln nahmen die Teilnehmer im Durchschnitt ein knappes Kilogramm zu, bei den nicht verarbeiteten Lebensmitteln nahmen sie im gleichen Maß ab. Ähnlich verhielt es sich mit dem Körperfett-Anteil.

Die Probanden nahmen bei den hoch-prozessierten Lebensmitteln durchschnittlich 508 Kilokalorien pro Tag mehr auf. „Tatsächlich aßen sie bei dieser Ernährungsweise mehr Kalorien, was zu einer Zunahme an Gewicht und Körperfett führte“, sagte Studienleiter Kevin Hall. Der Geschmack war dafür kein Grund: Beide Ernährungsweisen schmeckten den Teilnehmern gleich gut.

Vermutungen der Forscher zum Ergebnis

Die Wissenschaftler haben verschiedene Vermutungen zu den Ursachen. So aßen die Teilnehmer die hoch verarbeiteten Lebensmittel schneller. „Wenn man sehr schnell isst, gibt man seinem Magen-Darm-Trakt möglicherweise nicht genügend Zeit, um dem Gehirn zu signalisieren, dass man voll ist“, erläutert Hall. „In diesem Fall könnte man leicht zu viel essen.“

Dazu ergänzt Marc Tittgemeyer vom Kölner Max-Planck-Institut für Stoffwechselforschung: „Der Mensch misst den Kaloriengehalt eines Essens zunächst durch sensorische Wahrnehmung. Das heißt: Geschmack, Geruch und Aussehen geben uns einen ersten Eindruck über den Kaloriengehalt unserer Nahrung.“

Bei Fertigprodukten gebe es hier eine Diskrepanz, „weil dabei mehr Kalorien im Essen sind als wir dem beimessen“, so Tittgemeyer in einer unabhängigen Einordnung der Studie. Zudem lasse sich dieses Essen im Regelfall besser aufnehmen und sei sehr schmackhaft, so dass das Belohnungssystem des Körpers die Regulierung des Bedarfs überschreibe.

Eine weitere mögliche Ursache nennt das Autorenteam: Bei der stark verarbeiteten Ernährung standen auch Getränke mit zugesetzten Stoffen wie bestimmte Säfte und Limonaden auf dem Plan. Flüssigkeiten könnten aber zu einem anderen Sättigungsgefühl führen, so dass die Teilnehmer insgesamt mehr Kalorien aufnähmen.

Was sind die Einschränkungen der Studie?

Für Kabisch hat die Studie bei aller Sorgfalt im Untersuchungsdesign doch Schwächen: „Durch die kleine Zahl an Probanden, die zudem normalgewichtig und kerngesund waren, lassen sich viele typische Langzeitfolgen von ungesunder Ernährung, wie Insulinresistenz, Fettleber und ähnliches, weder statistisch noch methodisch abbilden.“ Für verlässlichere Aussagen bräuchte es mehrere Hundert Teilnehmer. Auch für Tittgemeyer deutet die Studie lediglich eine Korrelation an, anstatt Aussagen über kausale Zusammenhänge zuzulassen.

Auf eine weitere Einschränkung weisen die Studienautoren selbst hin: Da das gesamte Essen für die Teilnehmer zubereitet wurde, wurde Hall zufolge nicht berücksichtigt, wie bequem es zuzubereiten war oder wie viel es kostete. Frische Lebensmittel seien teilweise teurer, so dass auch sozioökonomische Faktoren bei Empfehlungen oder Regulationen berücksichtigt werden sollten.

Auch Kabisch betont, dass Fertiglebensmittel oft preisgünstiger seien: „Der Markt wird das allein nicht regeln, politische Maßnahmen sind notwendig“, so der Mediziner. „Die Besteuerung von Zucker, Fett, Salz et cetera kann einen Beitrag leisten, läuft aber auch Gefahr, gesunde Lebensmittel – Pflanzenöl, Obst und Ähnliches – zu brandmarken.“

Er empfiehlt eine flächendeckende gesundheitliche Aufklärung zu gesunder Ernährung. „Die Epidemie der Adipositas und des Diabetes erklärt sich zum Teil durch energiereiche Fertiglebensmittel, aber auch durch Bewegungsmangel, Begleiterkrankungen und durch soziale Faktoren.“ (ajo/dpa)

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