Glücksforscher

Warum man sich aufs Alter freuen kann

„Positive Psychologie“-Wissenschaftler Tobias Esch geht der Frage nach, wie sich Glück und Zufriedenheit im Lebensverlauf entwickeln. Seine Erkenntnis: Es gibt eine U-Kurve des Glücks.

Von Gesa Coordes Veröffentlicht:
Einer der sichersten Vorhersagefaktoren für mehr Zufriedenheit ist zunehmendes Alter, sagt Professor Esch (nicht abgebildet). (Symbolfoto mit Fotomodell)

Einer der sichersten Vorhersagefaktoren für mehr Zufriedenheit ist zunehmendes Alter, sagt Professor Esch (nicht abgebildet). (Symbolfoto mit Fotomodell)

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NEU-ISENBURG. Glück ist auch eine Frage des Trainings. Wie man Zufriedenheit, Gesundheit und Optimismus fördern kann, erforscht der Wittener Professor für Gesundheitsversorgung und Gesundheitsförderung, Tobias Esch. Seine Bücher wurden Bestseller. In einer neu eröffneten Ambulanz testet er die Konzepte praktisch aus.

Der Auslöser für seine Forschung ist knapp 30 Jahre her. Da war Tobias Esch Zivildienstleistender auf einer Krebsstation in Bremen. Und stellte mit Erstaunen fest: Bei gleicher Diagnose gab es Patienten, die ihr Schicksal mit Zuversicht und Leichtigkeit zu meistern schienen, während andere schier verzweifelten.

Seitdem hat Esch in Göttingen, Penang (Malaysia) und Aarau (Schweiz) Medizin studiert, als Arzt und Wissenschaftler an den Universitäten Witten-Herdecke, Duisburg-Essen, an der Harvard Medical School, der Charité Berlin und der Hochschule Coburg gearbeitet. Und seitdem hat er sich immer wieder gefragt, auf welche Weise Menschen mit Krankheiten umgehen und wie man dies für die Medizin nutzen kann.

Potenzial zum Glücklichsein

„Glücksforscher“ nennt man ihn heute. Dabei gehe es ihm durchaus nicht darum, die Welt mit einer „rosaroten Brille“ zu betrachten, sagt der Wissenschaftler. Das sei angesichts von Leid und Krankheit auch unangemessen. „Aber wir haben alle das Potenzial zum Glücklichsein“, sagt Esch. Um der „positiven Psychologie“ besser auf die Spur zu kommen, durchforstete er knapp 2000 Studien, die in sein Buch über die „Neurobiologie des Glücks“ einflossen.

Leider seien etwa 50 Prozent der Lebenszufriedenheit von den Genen bestimmt, berichtet Esch: „Dahinter stehen neurobiologische Belohnungsprozesse und die Frage, wie Dopamin, Serotonin und andere Neurotransmitter auf- und abgebaut werden.“ Zehn Prozent hingen an individuellen Umständen. Aber etwa 40 Prozent lassen sich beeinflussen, sodass auch die von der Natur Benachteiligten ihre Chancen auf Glück und Zufriedenheit verbessern können.

Dabei setzt Esch auf den sogenannten „inneren Arzt“ und die „Mind-Body-Medizin“, die Menschen dabei unterstützt, stressreduzierendes Verhalten und einen gesundheitsorientierten Lebensstil in den Alltag zu integrieren. „Chronisch Gestresste sterben früher“, sagt Esch.

Dagegen möchte er den Blick auf die eigenen Ressourcen und auf positive Erlebnisse lenken. So gehe man oft mit negativen Gedanken über Dinge durch den Alltag, die man nicht mehr ändern könne oder die noch gar nicht eingetreten seien. Dagegen könnten positive Gedanken heilend wirken.

Das gelte auch für ganz alltägliche stressende Ereignisse wie ein Stau auf dem Weg zu einem wichtigen Termin, wo man sich bewusst aus der Abwärtsspirale von negativen Gedanken und Symptomen herausholen könne. Schmerzpatienten müssten deutlich weniger Medikamente einnehmen, wenn sie meditieren oder Übungen zur Achtsamkeit und zur Stressbewältigung machen.

Die Selbstheilungskräfte der Patienten zu stärken, ist auch das Ziel der „Universitätsambulanz für Integrative Gesundheitsversorgung und Naturheilkunde“ der Uni Witten-Herdecke, die Esch im Februar eröffnet hat. Sie richtet sich an Menschen aus der gesamten Region, wobei es vor allem um alltägliche, chronische Erkrankungen wie Diabetes, Bluthochdruck, Rückenschmerzen, Rheuma und Magen-Darm-Erkrankungen geht.

Offene Patientenakte

„Im Zentrum steht die Aktivierung des Patienten“, sagt Esch. Über Konzepte zur Einbindung der Patienten hat er bereits an der Harvard Medical School geforscht, an der er als Postdoc und als Gastprofessor arbeitete und lehrte. Das beginnt schon bei der Anamnese, bei der die Kranken erst einmal danach gefragt werden, worin sie die Ursache für ihre Krankheit sehen, was sie sich von der Behandlung erwarteten und wovor sie Angst haben.

„Das führt zu dramatisch anderen Gesprächsverläufen“, so Esch. Die gestärkte Rolle der Patienten zeigt sich auch bei der offenen Patientenakte, die in Witten erstmals in Deutschland getestet wird. Durch das Programm „OpenNotes“ haben die Kranken online, aber datengeschützt Zugriff auf alle ihre Daten.

In den USA führte dies nicht nur zu mehr Wissen über die eigene Gesundheit und zu größerer Therapietreue, sondern auch zu einer deutlich verbesserten Beziehung zwischen Ärzten und Patienten. Esch: „Das ist wichtig, weil viele Patienten dazu neigen, die Verantwortung für ihre Genesung an die Ärzte abzugeben.“

Etwa zwei Drittel der Kranken haben sich nach den ersten Besuchen entschieden, an einem Programm teilzunehmen, das positive Emotionen fördern soll. Die Ambulanz setzt auf klassische Fragen des Lebensstils, die oft nicht beherzigt werden: Viel Bewegung, gesunde Ernährung, weniger Stress und mehr Aufmerksamkeit gegenüber dem eigenen Körper und dem eigenen Geist.

Musik, Tanz und Gartenarbeit

Esch empfiehlt, ungesunde Denkmuster zu ändern, sich regelmäßig zu entspannen und sich Zeit für sich zu nehmen. „Wenn wir dann noch genug schlafen, Freundschaften pflegen und die Freude im Alltag kultivieren, tun wir sehr viel für unsere Selbstheilungskompetenz“, so Esch. Richtig gut für Gesundheit und Zufriedenheit sind übrigens auch Musik, Tanz und Gartenarbeit. Er empfiehlt den Patienten, vieles auszuprobieren, um den passenden Weg zu finden.

Im Herbst hat er gemeinsam mit seinem guten Freund, dem Kabarettisten und Mediziner Dr. Eckard von Hirschhausen, ein neues Buch vorgelegt: „Die bessere Hälfte“, lautet der Titel. Darin zeigen die Autoren, dass man sich mit gutem Grund aufs Älterwerden freuen kann.

Nach der stressigen Phase in der Mitte des Lebens wachse die Lebenszufriedenheit etwa ab dem Alter von 60 Jahren wieder. Das bestätigt sich in einem aktuellen Forschungsprojekt mit mehr als 3000 Studienteilnehmern, in dem Eschs Team der Frage nachgeht, wie sich Glück und Zufriedenheit im Lebensverlauf entwickeln.

Paradoxe Entwicklung

Professor Tobias Esch spricht von der „U-Kurve des Glücks“. Sie reicht von den Glücksmomenten der Jugend bis zur stilleren Zufriedenheit im Alter. Aber dazwischen – im Alter zwischen 30 und 59 Jahren – stecken die Menschen oft in einer Phase des Stresses, nicht wenige sogar in einem „Tal der Tränen“.

„Es klingt zwar paradox, aber einer der sichersten Vorhersagefaktoren für mehr Zufriedenheit ist zunehmendes Alter“, sagt Esch. Die meisten älteren Menschen bleiben sogar dann zufrieden, wenn sie gebrechlicher werden und medizinisch gesehen nicht gesund sind. Esch: „Die Zufriedenheit emanzipiert sich gewissermaßen von der Gesundheit.“

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