Das Glück macht im Südwesten Schule

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"Wege zum Glück" vermittelt Rektor Ernst Fritz-Schubert seinen Schülern.

"Wege zum Glück" vermittelt Rektor Ernst Fritz-Schubert seinen Schülern.

© Foto: dpa

HEIDELBERG. In Baden-Württemberg können Realschüler und Gymnasiasten seit September in einem ganzheitlichen Unterricht lernen, wie sie ein erfülltes Leben gestalten. Auf dem Stundenplan steht ein Unterrichtsfach namens "Glück".

Von Stefan Benz

Das "Glück" kann man nur an der Heidelberger Willy-Hellpach-Schule als Fach belegen - ob man es einüben kann, wird sich zeigen. Einstweilen führt Oberstudiendirektor Ernst Fritz-Schubert (59) Aristoteles als Gewährsmann an: Der hat behauptet, Glücklichsein könne man lernen.

Mit dem neuen Fach hat der Rektor die Sehnsucht der Menschen getroffen. Es geht ihm allerdings nicht um klassische Bildung. Das neue Lehrangebot des studierten Volkswirtes, der in der Mittelstufe Ethik lehrt und seine Oberschüler ins Rechnungswesen einführt, zielt wohl eher auf so etwas wie Herzensbildung. Das klingt nach Romantik wie der Begriff Glück selbst. Kultusbürokraten können ja Formulierungen wie Lebensbewältigungskunde oder Lebenskompetenz verwenden - wenn es sie glücklich macht.

Kreatives auf dem Weg zum Turbo-Abitur

Wer dahinter jedoch Kuschelpädagogik vermutet, wird schon am Schwarzen Brett der Hellpach-Schule verblüfft. Dort hängen neben dem Ausriss aus der "Bild" ("Hier lernen Schüler das Glücklichsein") auch Artikel mit Überschriften wie "Der Weg zum Turbo-Abitur" und "Akademische Überholspur". Die Hellpach-Schule ist nicht nur eine Berufsfachschule zur mittleren Reife, kaufmännische Berufsschule und Wirtschaftsgymnasium, sondern auch Lehranstalt für Leistungssportler sowie Sprungbrett für Ehrgeizige und Begabte, die Abitur und Vordiplom mit einem Streich erledigen wollen.

Neben solch einer Express-Schulung nimmt sich das Wahlangebot "Glück" wie ein Beitrag zur Entschleunigung des Unterrichts aus. Um den Sinn einer Tat, den Genuss des Moments soll es dabei gehen. Dass seine Schule des Glücks eine ganzheitliche Lehre bietet, will Rektor Fritz-Schubert auch im Gespräch dokumentieren. Kaffee, Kekse und Kerzen stehen auf dem Tisch. "Die Situation soll Ihnen gut tun", sagt er und legt dem Besucher die Hand auf die Schulter, denn Berührung führe zur Ausschüttung von Oxytocin im Zwischenhirn - das entspanne. Fritz-Schubert greift sich im Gespräch immer wieder an Brust und Bauch. Die Gestik ist beredt: Glück ist für Fritz-Schubert eine Herzenssache.

"Seit 31 Jahren mache ich mir Gedanken zum Thema - da bin ich in den Schuldienst eingetreten." Der Ausdauersportler, der als Feierabendtriathlet jedes Jahr auf einen Ironman hinarbeitet, hat auch pädagogisch einen langen Atem bewiesen. Und das will er auch seinen Schülern vermitteln: Sie brauchen ein Ziel und eine Strategie, wie sie es angehen. "Wege zum Glück", nennt es Fritz-Schubert. "Ich will den Schülern Fragen auf den Weg geben, nicht Antworten." Schließlich waren sich ja schon die alten Griechen nicht einig, ob nun Askese oder Hedonismus, Entsagung oder Ausschweifung zur Glückseligkeit führen.

Je nachdem, ob Hauptschüler auf dem Weg zur mittleren Reife oder Gymnasiasten das Glück suchen, ist der Unterricht verschieden aufgebaut. Die 18 Oberstufenschüler, die das Glück sogar ins Abitur einbringen können, entwickeln ein Projekt. Schüler Max will beispielsweise die Ästhetik der Musik und ihre Wirkung auf das Glücksempfinden untersuchen. Für die Wirtschaftsschüler ist der Unterricht zunächst vor allem ein Selbsterfahrungskurs mit Übungen von Therapeuten, Theaterpädagogen und Schauspielern. Seit September standen bereits Lebens- und Leistungsfreude sowie Bewegungserlebnisse auf dem Lehrplan.

Themen wie Ernährung, Abenteuer Alltag und soziale Verantwortung sollen folgen. Weil ein Schulfach nach Noten verlangt, müssen die Pennäler Protokoll führen. Das Tagebuch der Glückskunde wird dann bewertet. Und weil keiner das Fach Glück belegt, um dann bei den Noten eine Niete zu ziehen, geben sich die meisten viel Mühe. "Dein Heft zeigt", steht dann da als Anmerkung des Lehrers, "dass Du Dich mit dem Thema auseinandergesetzt und sehr viel verstanden hast. Sehr gut!" - Glück gehabt, setzen, Eins!

Konzept für angehende Lebenskünstler

In der Heidelberger Willy-Hellpach-Schule lernen über 1400 junge Leute - 450 Wirtschaftsgymnasiasten, 160 Berufsfachschüler und 800 Berufsschüler. Über 50 haben das bundesweit bislang einmalige Wahlpflichtfach "Glück" belegt, das seit diesem Schuljahr mit zwei Wochenstunden angeboten wird.

Es gibt einen Kurs am Wirtschaftsgymnasium und zwei an der Berufsfachschule, die zur mittleren Reife führt. Den Unterricht gestalten sowohl Lehrer von Fächern wie Ethik, Biologie und Sport als auch externe Dozenten aus Bereichen wie Theater und Therapie.

Dabei geht es freilich nicht um das Glück, das einem vom Schicksal zufällt, sondern das Glück, das man selbst gestalten kann. Die neue Lehre richtet sich mithin nicht an Systemlottospieler, sondern eher an angehende Lebenskünstler. Oberstudiendirektor Ernst Fritz-Schubert bezieht sich im Konzept seines neu geschaffenen Fachs auf die pädagogischen Rahmenrichtlinien des Landes Baden-Württemberg, in deren Vorwort es heißt: "Jeden Bildungsplan wird man zukünftig daran messen müssen, ob er geeignet ist, die Zuversicht junger Menschen, ihr Selbstbewusstsein und ihre Verständnisbereitschaft zu erhöhen." (stb)

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