Leistungsdruck lastet vielen auf der Seele

Die Zahl psychischer Erkrankungen bei Erwerbstätigen ist in den vergangenen Jahren in Deutschland stark gestiegen: Im Schnitt fehlt ein Arbeitnehmer heute 30 Tage wegen einer Störung der seelischen Gesundheit. Als Gründe machen Experten vor allem einen gesteigerten Leistungsdruck im Job sowie schlecht bezahlte und befristete Arbeitsverhältnisse aus.

Von Bülent Erdogan Veröffentlicht:
Wenn der Job krank macht: Die Zahl der Arbeitsunfähigkeitstage wegen psychischer Erkrankungen steigt rapide, im Schnitt sind es 30 Tage.

Wenn der Job krank macht: Die Zahl der Arbeitsunfähigkeitstage wegen psychischer Erkrankungen steigt rapide, im Schnitt sind es 30 Tage.

© Foto: dpa

BERLIN. Knapp jeder dritte erwerbsfähige Deutsche zwischen 18 und 65 Jahren leidet einmal im Jahr an einer Störung des seelischen Wohlbefindens. Darauf hat die Vizepräsidentin der Bundesärztekammer, Dr. Cornelia Goesmann, anlässlich des Welttages für seelische Gesundheit am kommenden Samstag hingewiesen.

Die Wahrscheinlichkeit, im Laufe des Lebens mindestens einmal eine psychische Erkrankung zu entwickeln, liege in Deutschland sogar bei knapp 43 Prozent, sagte die Hausärztin und Psychotherapeutin auf einem Symposion ihrer Kammer und des Aktionsbündnisses für Seelische Gesundheit am Dienstag in Berlin. Thema der Veranstaltung waren psychische Erkrankungen am Arbeitsplatz. Etwa eine halbe Million Deutsche sei derzeit von einer chronischen psychischen Krankheit betroffen.

Trotz des gewachsenen Verständnisses der Bevölkerung über psychiatrische Erkrankungen seien Kranke, Angehörige und Behandelnde im Privatleben wie auch in der Arbeitswelt immer noch Vorurteilen und Diskriminierungen ausgesetzt, sagte Goesmann. Nach Ansicht der Mediziner ist die Teilhabe von Menschen an einem erfüllten Berufsleben jedoch ein wichtiger Baustein zu Erhalt und Wiedererlangung der psychischen Gesundheit.

Laut Professor Andreas Weber vom Medizinischen Dienst des Spitzenverbandes der gesetzlichen Krankenkassen sind Deutschlands Arbeitgeber hierauf allerdings mitnichten eingestellt, im Gegenteil: Weber weist der Arbeitswelt sogar einen großen Anteil an der im Vergleich zu anderen Erkrankungen steigenden Zahl psychischer Krankheiten am Arbeitsplatz zu. Eine Ursache hierfür ist für ihn die Globalisierung, die den 24 Stunden am Tag und sieben Tage in der Woche verfügbaren Arbeitnehmer postuliere und einem "totalitären Wettbewerb" den Weg geebnet habe. Dieser setze bereits nach dem Kindergarten ein.

Folgen dieses Epochenwandels seien Arbeitsverdichtung, die ständige Sorge um den Arbeitsplatz, eine fehlende Anerkennung am Arbeitsplatz, Mehrfachbeschäftigungen sowie prekäre oder befristete Beschäftigungsverhältnisse. So habe jeder dritte Arbeitnehmer heute nur noch einen befristeten Arbeitsvertrag. "Aus der Generation Praktikum ist eine Generation Dauercasting geworden", betonte Weber.

Der volkswirtschaftliche Schaden durch psychische Erkrankungen belaufe sich allein in Deutschland auf 50 bis 100 Milliarden Euro, so der Mediziner unter Berufung auf Schätzungen. Mit den Erkrankungen sei in vielen Fällen eine Abwärtsspirale bis hin zu Frühverrentung der Betroffenen verbunden. Deren Durchschnittsalter liege derzeit bei 48 Jahren, die durchschnittliche Rente betrage etwa 600 Euro im Monat. "Was machen wir mit diesen Menschen?", fragte Weber.

Der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde, Professor Frank Schneider, warnte vor einer Unterversorgung von psychisch Kranken sowohl im ambulanten wie im stationären Sektor. Positiv sei, dass sich die Menschen heute deutlich öfter zum Psychiater trauten, als dies früher der Fall gewesen sei.

Lesen Sie dazu auch: Experte kritisiert Verteilung von Psychiatern Gesunde Psyche im Blickpunkt eines Welttages

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