Demografie

EU-Staaten altern unterschiedlich

2060: Irland ist fast noch ein Jungbrunnen, Deutschland längst vergreist: Doch das muss keine Katastrophe sein, wenn die nationalen Sozialsysteme die Herausforderungen annehmen - und an den richtigen Stellschrauben drehen.

Florian StaeckVon Florian Staeck Veröffentlicht:
Im Vergleich der 27 untersuchten EU-Staaten hat Deutschland eine demografisch schwierige Ausgangslage.

Im Vergleich der 27 untersuchten EU-Staaten hat Deutschland eine demografisch schwierige Ausgangslage.

© lukas555 / fotolia.com

BERLIN. Pünktlich zur Debatte über den geplanten Vorsorgefonds in der Pflegeversicherung nährt eine neue Studie Zweifel an der "Zukunftsfestigkeit der europäischen Sozialstaaten".

Die am Mittwoch in Berlin vorgestellte Expertise wurde von Wissenschaftlern des Hamburgischen Weltwirtschafts-Instituts (HWWA) erarbeitet und vom Deutschen Institut für Altersvorsorge (DIA) finanziert. Gefördert wird das DIA von der Deutsche Bank-Gruppe.

Deutschland hat im Vergleich der 27 untersuchten EU-Staaten eine demografisch schwierige Ausgangslage: Schon heute ist die Bevölkerungsalterung hierzulande und in Italien am weitesten fortgeschritten: 20,7 Prozent der Einwohner waren im vergangenen Jahr älter als 65 Jahre.

Übertroffen wird dieser Wert nur noch von Italien (21,2 Prozent). Im Durchschnitt der EU-27 liegt der Anteil der 65+-Generation bei 18,2 Prozent, am geringsten ist er in Irland (12,2 Prozent).

Bei einer Geburtenrate von statistisch 1,4 Kindern je Frau wird jede Elterngeneration nur noch zu etwa zwei Dritteln durch Kindern ersetzt, betonen die Autoren. Deutschland weist mit 13,1 Prozent den geringsten Anteil bei den unter 15-Jährigen auf.

Deutlich höher ist diese Quote in Frankreich (18,6 Prozent) und Großbritannien (17,6 Prozent); der EU-27-Schnitt liegt hier bei 15,6 Prozent.

Beim Altenquotienten liegt Deutschland heute weit vorn

Die aktuelle Verteilung zwischen den Ruheständlern (über 65 Jahre) und der erwerbstätigen Bevölkerung zwischen 15 und 65 Jahren ergibt sich aus dem sogenannten Altenquotienten, der die beiden Gruppen in Beziehung setzt.

Auch hier spiegelt der Quotient die unterschiedliche demografische Ausgangslage der EU-27-Länder wider und reicht von 18,4 für die Slowakei bis 32,7 für Italien (Deutschland: 31,3).

Von besonderem Interesse für die langfristige Stabilität der Sozialsysteme ist die Frage, in welchem Tempo die einzelnen Länder altern. Für Deutschland sagen die Wissenschaftler einen Altenquotienten von 59,89 im Jahr 2060 voraus - doch dies ist nicht der höchste Wert im EU-Vergleich.

Vielmehr werden insbesondere die osteuropäischen Staaten noch dramatischer altern und weisen in 46 Jahren Altenquotienten von 67,99 (Litauen), 64,77 (Rumänien) und 65,59 (Polen) auf. Am geringsten wird dieser Verhältniswert im Jahr 2060 mit 36,65 in Irland ausfallen (EU-27-Schnitt: 52,55).

Begleitet wird diese Alterung der EU-Staaten in einigen Ländern von Schrumpfprozessen: Dies gilt neben Deutschland für Portugal und die osteuropäischen Länder. Die skandinavischen Länder, Großbritannien und Irland werden hingegen wachsen - am stärksten wird die Bevölkerung in Irland von heute 46 auf 65 Millionen (2060) steigen.

Parallel zur demografischen Entwicklung haben die HWWA-Forscher untersucht, wie sich die Sozialausgaben insbesondere für die Generation über 65 Jahre entwickelt haben.

Misst man die Sozialausgaben für diese Gruppe in Prozent des Bruttoinlandsprodukts, dann hat dieser Ausgabenanteil in Deutschland von 12,3 Prozent (2000) auf 11,4 Prozent (2011) abgenommen. Anders verlief die Entwicklung etwa in Portugal, wo ein Anstieg von 7,3 auf 13,3 Prozent verzeichnet wurde oder in Frankreich (Anstieg von 12 auf 15 Prozent).

Kuchen für alle wurde größer - geht das auch künftig?

Nach Angaben der Studienautoren gelang den Ländern eine Ausweitung der Ausgaben für Sozialausgaben, ohne dass dafür in anderen Bereichen gekürzt werden musste. "Soziale Wohltaten wurden gleichmäßig verteilt - allerdings nicht gleichmäßig finanziert", heißt es.

Angesichts der geschilderten demografischen Herausforderungen sei es fraglich, "ob eine solche Ausweitung der Sozialausgaben künftig weiter möglich sein wird".

In einer Projektion für das Jahr 2060 wurde das Ausmaß der künftigen Alterung und der künftige Umfang der Sozialausgaben für die Ruheständler in Beziehung gesetzt. Danach wird Deutschland zu einer Gruppe zusammen mit Griechenland und Portugal gehören, in der die Alterung am weitesten fortgeschritten ist, die Ausgaben jedoch im EU-Vergleich nur in mittlerem Tempo wachsen.

Um die künftige steigende Belastung für die erwerbsfähige Bevölkerung abzumildern, gibt es mehrere Stellschrauben, so die Studienautoren - unter anderem die Erwerbsquote (das Verhältnis von Erwerbstätigen zu Rentnern), das Renteneintrittsalter oder die Entwicklung der Produktivität.

Als einen Vorschlag präsentieren sie die Kopplung des Renteneintrittsalters an die Lebenserwartung: "Damit würde die Erwerbsphase automatisch mit der steigenden Lebenserwartung verlängert, die Ruhestandsphase hingegen bliebe gleich". Die Rente mit 67 in Deutschland komme "dieser Forderung schon recht nahe", heißt es.

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