Arndt Striegler bloggt

EU-Bürger im Brexit-England? Leider nur noch "Second Class"

Jetzt geht der Brexit offenbar in seine fiese Phase: Wer als EU-Bürger auf der Insel bleiben will, soll es nicht leicht haben, meint das britische Innenministerium. Was das bedeutet, hat unser Londoner Blogger Arndt Striegler erfahren.

Arndt StrieglerVon Arndt Striegler Veröffentlicht:
Ansage aus dem britischen Innenministerium: EU-Bürger auf der Insel müssen wohl nach dem Brexit mit Gegenwind rechnen.

Ansage aus dem britischen Innenministerium: EU-Bürger auf der Insel müssen wohl nach dem Brexit mit Gegenwind rechnen.

© gradt / stock.adobe.com

Bevor ich Ihnen, liebe Leser, die neuesten Brexit-Horror-Meldungen von der Insel serviere, erlauben Sie mir eine persönliche Anmerkung zu dem, was die Briten derzeit verzapfen: Gestern lag in meinem Briefkasten ein braunes Kuvert mit dem Absender "Home Office, The Capital, New Hall Place, Liverpool L3 9PP".

Braune Kuverts bedeuten in England in der Regel nichts Gutes: Entweder sind Steuern fällig, in der Nachbarschaft soll noch ein 54-stöckiges Hochhaus gebaut werden oder ähnlich nervendes.

"D. Owen" fordert Belege

In meinem Fall war es die Nachricht des Innenministeriums, dass mein seit rund sechs Wochen laufender Antrag auf britische Staatsbürgerschaft erst einmal auf Eis liegt. Warum? Es fehlen zwei Nachweise, die belegen, dass ich zwischen April 2017 und Mai 2018 tatsächlich in meinem Londoner Haus residiert habe. Diese Beweise, so die Forderung der Damen und Herren im britischen Innenministerium und unterzeichnet mit "D. Owen", müssten "bis spätestens 17. August 2018 im Original" in Liverpool sein, stand da im fetten Kursivdruck. Werde diese Frist versäumt, sei dies Grund genug, meinen Antrag auf Staatsbürgerschaft abzulehnen.

Als ich das las, musste ich mich erst einmal hinsetzen und Luft holen. Schließlich hängt meine Zukunft nach 32 Jahren als arbeitender Steuerzahler in Großbritannien davon ab, ob ein oder eine "D. Owen" in Liverpool gewillt ist, meinen Antrag zu genehmigen. Warum ich Ihnen dies alles erzähle, wo es doch soviel wichtigere Dinge (siehe weiter unten) beim Brexit gibt? Weil es zeigt, wie unfair und fies die Briten inzwischen mit EU-Bürgern wie mir umgehen!

Schneckpost reicht aus

Da wird mir eine Frist von 14 Tagen gesetzt, um schwer zu beschaffende Original-Dokumente wie Einkommensteuerbescheide von notorisch langsam arbeitenden Behörden zu beschaffen. Und dann – und das nehme ich den Briten wirklich übel – wird dieser Brief, der über meine Zukunft in diesem Land entscheiden wird, "Second Class" verschickt. Hä?

"Second Class" ist eine Art Schneckenpost in Großbritannien, die zwar für den Absender billiger ist, die aber für den Empfänger, in diesem Fall mich, bedeutet, dass der Brief von Liverpool nach London statt einem, vier Tage unterwegs ist. Damit sind vier Tage der 14-tägigen Frist von vornherein futsch. Was den Schluss nahelegt: Vielleicht will man im Innenministerium gar nicht, dass ich die Staatsbürgerschaft bekomme. Ich denke: Vermutlich bin ich hier nicht länger erwünscht. Ich kann Ihnen sagen, das ist ein ziemlich schlimmes Gefühl. Ich werde Ihnen berichten, wie die Sache letztlich ausgeht.

Standbein jenseits der Insel

So viel zu meiner persönlichen Situation. Nun aber zu dem eigentlich Wichtigen. Was gibt es Neues in Sachen Brexit-Poker? Dass Theresa May und ihre Minister in den vergangenen Tagen in Paris, Wien und anderswo um Nachgiebigkeit seitens der EU baten, dies aber wohl allerorten auf taube Ohren stieß. Ich denke mir: gut so!

Was allerdings bislang weniger bekannt ist: Immer mehr große und international agierende Arzneimittelhersteller warnen öffentlich vor drohenden Versorgungsengpässen, sollte es tatsächlich zu einem No-Deal-Brexit kommen. Jüngstes Beispiel ist AstraZeneca.

Das Unternehmen beschäftigt allein in Großbritannien rund 6700 Mitarbeiter und die weltweite Forschungsabteilung ist in der traditionsreichen Universitätsstadt Cambridge ansässig. Sollte die Londoner Regierung nicht schleunigst in die Puschen kommen und einen vernünftigen Brexit-Kompromiss aus dem Hut zaubern, so bestehe die ernsthafte Gefahr, dass Patienten in der EU vom kommenden März an nicht mehr die für sie lebenswichtigen Medikamente erhalten werden.

Einer der Gründe: Da Forschung und Entwicklung derzeit schwerpunktmäßig im englischen Cambridge stattfinden, müssten viele klinische Tests nach März 2019 sowohl in Großbritannien als auch in der EU vorgenommen werden. Das ist nicht nur teuer für Unternehmen wie AstraZeneca, sondern kostet auch viel Zeit. Im Klartext: Sollte es nicht bald einen Durchbruch in den Brexit-Verhandlungen geben, ist die medikamentöse Versorgung vieler Patienten gefährdet. Auch das ist starker Tobak.

Wenige Zeitungen berichten

AstraZeneca hat wie viele andere Pharmahersteller seit dem Brexit-Referendum im Juni 2016 reagiert, in dem zum Beispiel in Schweden neue Test-und Forschungsstätten eingerichtet werden, um so langfristig den Zugang zum EU-Markt sicherzustellen. Doch auch das ist aufwändig, kostet viel Zeit und Geld.

Die wenigen britische Zeitungen, die überhaupt über diese bedrohlichen Folgen des Brexit berichten, schreiben, AstraZeneca habe bislang "rund 40 Millionen Pfund" (knapp 45 Millionen Euro) für die Vorbereitungen des endgültigen EU-Austritts ausgegeben.

Wobei die Pharmabranche bei Weitem nicht die einzige Branche oder Region ist, die sich inzwischen ernsthafte Sorgen um die Zukunft macht. Gerade wurde bekannt, dass London erstmals seit Jahrzehnten im vergangenen Jahr wieder geschrumpft ist. Es kommen weniger Neubürger in die Stadt; mehr Menschen ziehen fort als neue zuziehen. Der wichtigste Faktor ist auch hier nach Expertenmeinung der Denkfabrik "The Centre for London": Brexit-Angst.

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