Bahr: "Klientelismus bei der FDP ist schlichter Unsinn"

Das Versorgungsgesetz ist fertig - der Ball liegt bei der Selbstverwaltung. Was als nächstes kommt, darüber sprach die "Ärzte Zeitung" mit Gesundheitsminister Daniel Bahr.

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Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr im Gespräch mit Sunna Gieseke, Wolfgang van den Bergh und Helmut Laschet.

Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr im Gespräch mit Sunna Gieseke, Wolfgang van den Bergh und Helmut Laschet.

© Bert Spangemacher

Ärzte Zeitung: Das Landärztegesetz, wie es volkstümlich genannt wird, tritt am 1. Januar in Kraft: Können Sie eine Prognose wagen, wie viele Landärzte es am Jahresende 2012 mehr geben wird?

Bahr: Es geht um mehr als nur um Landärzte. Es geht um die Versorgung in der Fläche, um die Freiberuflichkeit. Wir haben immer mehr Ärztinnen und eine andere Einstellung junger Mediziner zum Arztberuf.

Stichworte sind hier Vereinbarkeit von Familie und Beruf und die Dezentralisierung von Entscheidungen. Das charakterisiert einen grundlegenden Richtungswechsel in der Gesundheitspolitik. Vor allem wollen wir jungen Medizinern eine verlässliche Perspektive geben.

Ärzte Zeitung: Inzwischen machen sich Patienten und Versicherte Sorgen, vor allem in den neuen Ländern. Was wird sich dort für die Menschen ändern?

Bahr: Es gibt künftig bessere Anreize, damit sich Ärzte dort niederlassen. Das war bisher nicht so. Wir haben Mengenabstaffelungen abgeschafft. Die Residenzpflicht entfällt, sodass Ärzte, die in der Großstadt wohnen wollen, gleichwohl in ländlichen Regionen arbeiten können.

Wir geben Kommunen die Option - wenn es denn keine andere Möglichkeit gibt -, Eigeneinrichtungen zu schaffen und dort Ärzte anzustellen. Ich möchte nur daran erinnern: Vor gut zwei Jahren wurde Ärztemangel in Deutschland noch geleugnet.

Heute streiten wir im Bundestag über die richtigen Wege, Ärztemangel zu beheben. Das ist ein Erfolg von Philipp Rösler und mir.

Ärzte Zeitung: Der Erfolg des Gesetzes hängt ab von der Selbstverwaltung. Welche Schrittfolge sehen Sie?

Bahr: Ich bin ein Anhänger der Selbstverwaltung. Deshalb geben wir ihr dezentral mehr Gestaltungsmöglichkeiten, statt alles zentral von Berlin zu bestimmen. Das bedeutet vor Ort viel Verantwortung. Ich erwarte, dass die Selbstverwaltung ihre Möglichkeiten nutzt.

Ärzte Zeitung: Monitoren Sie das?

Bahr: Ja. Wir werden das evaluieren. Ich bin dazu in ersten Gesprächen, und ich rate allen Beteiligten, nicht in die üblichen Rituale zu verfallen! Es gibt ja schon einige Beispiele der Zusammenarbeit von niedergelassenen Ärzten und Krankenhäusern, und ich erwarte, dass Krankenkassen vor Ort das unterstützen.

Ärzte Zeitung: Nicht selten werden aber die Vorschriften im SGB V zaghaft umgesetzt. Haben Sie Sanktionen in der Hand?

Bahr: Ich will ein Beispiel nennen: die elektronische Gesundheitskarte war ja über Jahre ein Streitpunkt und kam nicht voran. Wir haben jetzt gemeinsam einen Weg gefunden. Sie wird nun akzeptiert. Alles, was mir Sorgen gemacht hat, bei Aufwand und Datenschutz, auch der gläserne Patient, wurde verhindert.

Ärzte Zeitung: Das könnte auch heißen, dass Sie die Partner der Selbstverwaltung zum Rapport bei sich einbestellen?

Bahr: Ich pflege einen anderen Stil als meine Vorvorgängerinnen. Ich bin in der Sache entschlossen, aber fair im Umgang.

Ärzte Zeitung: Mit dem Versorgungsstrukturgesetz setzen Sie zu hundert Prozent auf die Problemlösungskraft des Kollektivvertrags. Warum?

Bahr: Nein. Wir geben auch Möglichkeiten, vom Kollektivertrag abzuweichen: Zuschläge in unterversorgten Gebieten, Förderung der Ärztenetze, die Verantwortung für die Sicherstellung übernehmen...

Ärzte Zeitung: ...Das läuft aber alles nur über die KV...

Bahr: Aus meiner Sicht wird eine ideologische Diskussion darüber geführt, ob der Kollektiv- oder Selektivertrag besser ist. Wir haben uns dafür eingesetzt, dass es ein Nebeneinander sein muss.

Wir brauchen den Kollektivvertrag, aber er braucht auch die Konkurrenz durch Selektivverträge. Ich halte nur nichts davon, einen selektiven Kollektivvertrag über den Paragraf 73 b zu ermöglichen.

Ärzte Zeitung: Deshalb haben Sie den Paragraf 73 b nicht verändert - und dort nicht mehr zuzulassen als im Kollektivvertrag erlaubt ist?

Bahr: Es ist beispielsweise eine höhere Vergütung möglich. Aber es muss dargestellt werden, dass es sich rechnet: durch Einsparungen bei Arzneimitteln, beim Krankenhaus oder durch besseren Service.

Es hat sich gezeigt, dass es Ärzte, Ärzteorganisationen und Krankenkassen gibt, die das mit Erfolg leben. Wir wollen einen solchen Wettbewerb um die bessere Versorgung.

Ärzte Zeitung: Haben Sie genügend Einblick in die Praxis vor Ort. Ihre Amtskollegin in Baden-Württemberg, Frau Altpeter, nutzt das zum Beispiel und besucht solche Praxen. Und Sie?

Bahr: Das habe ich auch schon oft getan. Und für Baden-Württemberg ist das geplant. Viele Besuche vor Ort bestätigen mich darin, dass es gute Beispiele dafür gibt, dass Selektivverträge gut funktionieren und die Versorgung verbessern können.

Man muss solchen Formen auch Zeit geben, sich zu entwickeln. Man kann nicht am Anfang beurteilen, ob das gut oder schlecht ist. Ich halte aber nichts davon, eine hausarztzentrierte Versorgung zu Pflicht zu machen - mit ist die Freiwilligkeit wichtig, für Ärzte und Patienten.

Ärzte Zeitung: Stichwort Praxisgebühr. Da wurden Stimmen bei Ihrem Koalitionspartner laut, die eine Korrektur fordern. Wie stehen Sie dazu?

Bahr: Den Vorschlag aus der CSU, fünf Euro bei jedem Arztbesuch zu erheben, lehne ich ab. Wir haben nach dem Koalitionsvertrag die Aufgabe, die Praxisgebühr in ein unbürokratischeres Verfahren zu überführen. Wir bereiten eine Diskussion darüber vor - über ein Ergebnis kann ich aber noch nichts sagen.

Ärzte Zeitung: Ihr Vorgänger hat vor nicht einmal zwölf Monaten das Jahr der Pflege ausgerufen. Herausgekommen ist ein dürftiges Eckpunktepapier.

Bahr: Einspruch: Die Pflege ist eine so große gesellschaftliche Herausforderung, dass sie uns über Jahre beschäftigen wird. Keine Reform wird alle Probleme der Pflege für die nächsten Jahrzehnte lösen können.

Die Eckpunkte gehen in die richtige Richtung: Erstmals gibt es wirkliche Verbesserungen für Demenzkranke, die bislang kaum Leistungen bekommen haben; wir stärken die Wahlfreiheit der Versicherten; wir stärken die Prinzipien ambulant vor stationär und Reha vor Pflege. Aber wir werden immer nur begrenzte finanzielle Ressourcen haben. Nicht alles, was gewünscht wird, ist auch finanzierbar.

Ärzte Zeitung: Was ist denn in den letzten zwei Jahren geleistet worden?

Bahr: Wir haben eine Abfolge von Reformen: zunächst haben wir die Finanzen der GKV stabilisiert und ein Milliardendefizit bewältigt; heute muss ich Überschüsse verteidigen. Wir haben einen Paradigmenwechsel bei der Preisfindung für Arzneimittel, und einen Paradigmenwechsel mit dem Versorgungsstrukturgesetz.

Und jetzt kommt die Pflege, dann die Patientenrechte, die Prävention und ein Transplantationsgesetz. Das ist ein Programm, das andere nicht in zwei Wahlperioden erledigt haben. Rot-Grün beispielsweise hat acht Jahre nichts in der Pflege gemacht.

Ärzte Zeitung: Ihr Fahrplan dafür?

Bahr: Wir arbeiten mit Hochdruck an einem Gesetzentwurf, der Anfang 2012 mit den Fraktionen und Ressorts abgestimmt wird und der im Sommer in Kraft treten wird.

Ärzte Zeitung: Ein Dauerbrenner ist die GOÄ. Wird die Reform noch in dieser Legislaturperiode gelingen?

Bahr: Ich wünsche mir das und arbeite mit Hochdruck daran. Ich verfolge mit großem Interesse und Wohlwollen, dass die Bundesärztekammer und die private Krankenversicherung Gespräche führen, um zu einem Konsens zu kommen.

Das ist ein Fortschritt, weil es noch bei der GOZ zwischen Zahnärzten und PKV sehr konfrontativ zuging. Als Gesundheitsminister muss ich außerdem das Kabinett überzeugen - und die GOÄ muss auch durch den Bundesrat.

Ärzte Zeitung: Sie können den Kontrahenten ja damit drohen, dass das sonst Herr Lauterbach machen wird...

Bahr: Ich brauche damit nicht zu drohen, das macht die SPD schon von allein mit ihrem aktuellen Parteitagsbeschluss. Die Sozialdemokraten wollen eine Einheitsvergütung und eine Einheitskasse.

Ärzte Zeitung: In der fundamental strittigen Frage der Öffnungsklausel müssen Sie wohl letztlich politisch entscheiden. Wo ist Ihre Präferenz?

Bahr: Mit mir wird es keine Öffnungsklausel für Dumpingpreise geben. Eine Gebührenordnung muss verlässlich sein.

Ärzte Zeitung: Ein weiteres Projekt ist das Patientenrechtegesetz. Da geht es zur Zeit nicht recht voran...

Bahr: Doch! Mit dem Bundesjustizministerium sind wir uns einig und planen, Anfang 2012 einen Gesetzentwurf vorzulegen.

Ärzte Zeitung: Und was wird drin stehen?

Bahr: Zum einen werden wir die Ansprüche von Patienten in einem Gesetz bündeln und dabei auch die aus der Rechtsprechung erwachsenen Ansprüche einbauen.

Für uns ist wichtig, dass das besondere Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient gewahrt bleibt. Das heißt: Ich will keine generelle Beweislastumkehr.

Ärzte Zeitung: Ein faktisches Problem ist, dass Patienten ihre Ansprüche nicht durchsetzen können, etwa weil diese von Krankenkassen bestritten werden. Da hilft der Anspruch im Notfall gar nichts.

Bahr: Ich sehe das Problem, und dafür müssen wir einen pragmatischen Weg finden.

Ärzte Zeitung: Ein trauriges Kapitel ist der Zustand Ihrer Partei: konstant unter der Fünf-Prozent-Hürde. Was bedeutet das für Ihre Kollegen in der Fraktion, die sich um ihre Existenz sorgen und nicht mehr den Kopf frei haben für Politik?

Bahr: Ich will die Lage nicht beschönigen. Mit dem Ergebnis des Mitgliederentscheids ist der Streit aber beendet. Es gibt eine Vertrauenskrise - es gibt sie, und das europaweit, in Bezug auf alle Regierungen!

Unsere Wähler laufen über ins Lager der Nichtwähler. Darum sage ich: Die Nerven bewahren! Erstaunlich ist, wie die 93 Kollegen in unserer Fraktion Stabilität zeigen, auch in der Frage des Euro. Da gibt es mehr Abweichler in der Union. Aus der Perspektive des Auslands beneidet man uns um unsere Stabilität.

Ärzte Zeitung: Aus heutiger Sicht: War es richtig, dass die FDP das undankbare Gesundheitsressort übernommen hat?

Bahr: Ja, wir haben bei der Bildung der Koalition die Gesundheitspolitik so erfolgreich verhandelt, dass wir auch das Ressort noch dazu bekommen haben, um das auch umzusetzen.

Ich mache das mit großer Freude, wohlwissend, dass ein Bundesgesundheitsminister es nie allen Recht machen kann.

Ärzte Zeitung: Obwohl Sie unter dem Generalverdacht stehen, Klientelpolitik zu machen? Für Ärzte, Apotheker, Pharma-Industrie, PKV.

Bahr: Das verfolgt die FDP seit Jahren. Das wird einfach behauptet und ist schlichter Unsinn.

Wenn wir denjenigen, die im Gesundheitswesen arbeiten, dafür Motivation und gute Rahmenbedingungen geben wollen, ist das doch nicht gegen die Patienten gerichtet. Wer Patienten und Ärzte gegeneinander ausspielt, der schadet dem besonderen Vertrauensverhältnis zwischen dem Arzt und seinen Patienten.

Ärzte Zeitung: Über Ihr Ressort hinaus: Können Sie zwei, drei Projekte nennen, bei denen Sie Ihr liberales Profil wieder schärfen können?

Bahr: Leistungsgerechtigkeit, Achtung von Bürgerrechten, Informanten- und Datenschutz - und die soziale Marktwirtschaft. Das vereint nur die FDP.

Interview: Wolfgang van den Bergh, Sunna Gieseke und Helmut Laschet

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