Medizinischer Dienst

Krankenhäuser fühlen sich zu Unrecht angeprangert

Das Abrechnungssystem für Klinikaufenthalte ist hoch kompliziert und deshalb fehleranfällig. Kliniken im Norden sehen sich in die Nähe von Abrechnungsbetrügern gerückt. Das wollen sie nicht länger hinnehmen.

Dirk SchnackVon Dirk Schnack Veröffentlicht:
Der Streit über die Klinikabrechnungen flammt in regelmäßigen Abständen wieder auf.

Der Streit über die Klinikabrechnungen flammt in regelmäßigen Abständen wieder auf.

© PhotographyByMK /stock.adobe.com

KIEL. Krankenhäuser im Norden fordern „Abrüstung“: Von den Krankenkassen und den Medien in der Wortwahl über vermeintlichen Abrechnungsbetrug und vom Gesetzgeber in der Kontrolldichte. Das MDK-Gesetz von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn bewerten sie trotz einiger Fortschritte kritisch.

Der 6K-Verbund, ein Zusammenschluss von sechs kommunalen Klinikträgern in Schleswig-Holstein, nimmt die öffentliche Darstellung über das Abrechnungsverhalten von Krankenhäusern als verzerrt wahr.

Was Krankenkassen öffentlich über vermeintlichen Betrug bei der Abrechnung von Klinikleistungen behaupten, ist für den 6K-Vorsitzenden Dr. Roland Ventzke eine „Frechheit“ und „erfüllt für uns fast den Tatbestand der Verleumdung“.

6K-Verbund

Zum Verbund zählen die kommunalen Klinikträger der Westküstenkliniken (Heide und Brunsbüttel), des Klinikums Itzehoe, des Friedrich-Ebert-Krankenhauses (FEK) Neumünster, des Klinikums Bad Bramstedt, der imland Kliniken (Rendsburg und Eckernförde) und des Städtischen Krankenhauses Kiel.

12.000 Mitarbeiter sind an den Standorten des 6K beschäftigt. Zusammen behandeln sie im Jahr 260 000 Patienten ambulant und 160 000 stationär. Damit stellen sie nach eigenen Angaben ein Viertel der Gesundheitsversorgung in Schleswig-Holstein sicher.

Er bezieht sich auf Äußerungen von Kassenseite, wonach angeblich die Hälfte der Klinikabrechnungen falsch sein soll. Der Geschäftsführer aus dem Städtischen Krankenhaus Kiel wirft den Krankenkassen vor, sich bei dieser Darstellung nur auf einen kleinen Ausschnitt von geprüften Rechnungen zu beziehen, eine Hochrechnung sei unseriös.

Umstrittenes MDK-Gesetz

Unterstützung erhielt er in einem Pressegespräch von Dr. Martin Blümke, Geschäftsführer der Westküstenkliniken. Nach ihrer Darstellung werden nur 18 Prozent der Abrechnungen geprüft, das heißt: Über 82 Prozent der Abrechnungen haben die Kassen keinen Überblick.

Bei den geprüften Abrechnungen wiederum gehe es zu 75 Prozent um Themen wie Verweildauer oder Fehlbelegung – aus solchen strittigen Fragen einen Abrechnungsbetrug zu konstruieren, ist nach ihrer Ansicht ebenfalls unseriös.

Denn häufig geht es nach ihrer Darstellung etwa darum, einen hochbetagten Menschen noch einen Tag länger stationär zu betreuen, weil diesem die Anschlussbetreuung fehlt – auch wenn dieser Tag die obere Verweildauer überschreitet. „Wir verhalten uns sozial und deshalb wird uns Abrechnungsbetrug vorgeworfen“, sagt Arzt Blümke dazu. Nach seiner Darstellung sind dies keine Einzelfälle.

MDK-Prüfungen als Geschäftsmodell?

Ventzke vermutet, dass die Krankenkassen die MDK-Prüfungen als Geschäftsmodell entdeckt haben. Nach seinen Angaben hat der MDK im Jahr 2012 bei einem Verwaltungsaufwand von 270 Millionen Euro 730 Millionen Euro von deutschen Krankenhäusern über Prüfungen zurückgeholt. Im Jahr 2016 waren es bei einem Verwaltungsaufwand von 310 Millionen Euro schon 1,2 Milliarden Euro.

Folge: Für den MDK lohnt es sich, die Prüfungen auszudehnen. Die Kliniken wiederum sind gezwungen, mehr Personal zu beschäftigen, um die Abrechnungen prüfungssicher zu machen. Ventzke sieht darin ein System, das immer weiter aufgerüstet wird und Fachkräfte bindet. Eine weitere Folge: Das Misstrauen zwischen den Vertragspartnern erhöht sich.

Kommt deshalb das MDK-Reformgesetz von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) nicht genau zu richtigen Zeit? Aus Sicht des MDK nicht, weil es die Abrechnungslogik nicht in Frage stellt. Es verhindert also nicht, dass das Misstrauen bleibt und es weiterhin zu Auseinandersetzungen kommt.

Die von Spahn angestrebte Unabhängigkeit des MDK durch die Umwandlung in eigenständige Körperschaften halten die Klinikvertreter nur für ein „Feigenblatt“, weil die Kassenvertreter in den entscheidenden Gremien weiterhin die Mehrheit haben. „Es bleibt der Medizinische Dienst der Krankenkassen, er heißt nur anders“, sagt Blümke.

Unterschiedliche Einschätzungen

Weiterer Kritikpunkt sind die vorgesehenen Strafzahlungen für die Kliniken, wenn die Prüfer Rechnungskürzungen vornehmen. Sie halten dies für überzogen, weil es dabei eben nicht um Betrug, sondern um unterschiedliche Einschätzungen von medizinischen Sachverhalten geht.

Nach dem Motto „ein Tag geht immer“ könnten MDK-Mitarbeiter stets eine kürzere Verweildauer als angemessen einstufen. Helfen würde nach Ansicht Ventzkes beiden Seiten neben einer neuen Abrechnungslogik nur ein vereinfachtes System. „Es ist zu kompliziert“, sagt Ventzke mit Blick auf weit über 1000 Fallpauschalen.

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