Notfallreform

SPD meldet Bedenken gegen Grundgesetzänderung an

Die geplante Notfallreform betrifft auch das Rettungswesen. Dieses soll per Grundgesetzänderung ins SGB V überführt werden. In der SPD-Fraktion herrscht aber offenbar Skepsis, ob das umsetzbar und zielführend ist.

Thomas HommelVon Thomas Hommel Veröffentlicht:
Rettungsdienst: Die geplanten Änderungen sorgen für Diskussionsstoff. Vor allem auf regionaler Ebene regt sich Widerstand.

Rettungsdienst: Die geplanten Änderungen sorgen für Diskussionsstoff. Vor allem auf regionaler Ebene regt sich Widerstand.

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BERLIN. In der SPD gibt es offenbar erhebliche Zweifel, dass die geplante Reform der Notfallversorgung noch dieses Jahr den Bundestag passiert. „Ich würde behaupten, es wird in diesem Jahr kein Gesetz mehr geben“, sagte der Gesundheitsexperte der SPD-Bundestagsfraktion, Dirk Heidenblut, bei einem Fachgespräch des Paritätischen Gesamtverbands zur Digitalisierung der Notfallversorgung am Montagabend in Berlin.

Noch kein Gesetz im Bundestag

„Faktisch diskutieren wir im Bundestag noch kein Gesetz“, betonte Heidenblut, der für die SPD-Fraktion im Gesundheitsausschuss für die Bereiche Rettungsdienst und Notfallversorgung zuständig ist. Bislang liege nur ein Diskussionsentwurf des Bundesgesundheitsministeriums zur Notfallreform vor. „Vielleicht, wenn überhaupt“ werde es im kommenden Jahr ein Gesetz geben. Dafür spreche auch, dass die Länder bei den geplanten Änderungen des Rettungsdienstes derzeit „auf die Barrikaden“ gingen.

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hatte Mitte Juli seine Reformpläne für die Notfallversorgung vorgestellt und den Ländern einen Diskussionsentwurf zur Bewertung übermittelt. Dabei spielen auch die Rettungsdienste von ASB, Feuerwehr & Co. eine wichtige Rolle.

Rettungsdienst ist Ländersache

Bislang ist das Rettungswesen Sache der Länder und soll – so die Reformpläne – zusätzlich zur ambulanten und stationären Versorgung zu einem eigenen Leistungsbereich im Sozialgesetzbuch V aufgewertet werden. Auf diese Weise sollen Qualitätsstandards und technische wie personelle Strukturen der Dienste bundesweit vereinheitlicht werden. Um das Rettungswesen als Teil des Gesundheitswesens zu etablieren, wäre allerdings eine Grundgesetzänderung nötig.

Auch die Krankenkassen drängen auf einen solchen Schritt. Der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA), hatte der GKV-Spitzenverband kürzlich erklärt, könne dann gemeinsame Standards für die Rettungsdienste festlegen. In den Ländern respektive den Kommunen regt sich allerdings erheblicher Widerstand gegen die Pläne. Sie reklamieren das Rettungswesen als ureigene Aufgabe der „Daseinsvorsorge“ für sich.

„Kein großer Freund“

Auch SPD-Experte Heidenblut meldete Bedenken gegen eine Grundgesetzänderung an. „Ich persönlich würde keine großen Hoffnungen in eine Grundgesetzänderung haben – und ehrlich gesagt, ich bin auch kein großer Freund davon.“ Er sei skeptisch, ob es sinnvoll sei, „das an sich in weiten Teilen gut funktionierende System des Rettungsdienstes schlicht in eine neue Form zu gießen“.

Bisher sei ihm der GBA jedenfalls „noch nicht als entscheidungsfreudiger erschienen“ als die Länder, so der SPD-Experte. „Ich fürchte, wir würden am Ende auch solche Fragen wie die Digitalisierung zwischen den Gremien zerreiben. Ich glaube auch, das würde uns nicht wirklich nach vorne bringen.“

Gleichwohl müsse auch im Rettungswesen etwas getan werden, betonte Heidenblut. „Man kann auch viele Leben retten, wenn wir mehr Erstretter hätten.“ Aber es sei bislang nicht einmal gelungen, Erste-Hilfe-Kurse verpflichtend „in den Schulunterricht zu kriegen“.

Notwendig sei auch, bei der Notfallrettung die Chancen der Digitalisierung stärker als bisher zu nutzen, sagte der SPD-Politiker. Er könne sich gut vorstellen, im Zuge des Digitale-Versorgung-Gesetz (DVG), das diese Woche im Bundestag beraten werden soll, erste Ansätze dafür zu schaffen. Denkbar sei etwa die Auflage kassenübergreifender Projekte für digitale Lösungen im Rettungswesen. „Wenn, dann geht es nur über diesen Weg.“ Kassenspezifische Lösungen – hier die AOK für ihre Versicherten, dort die Barmer für ihre – seien hingegen nicht vorstellbar.

Digitalisierung darf nicht zu kurz kommen

Der Paritätische Gesamtverband kritisiert in einem Positionspapier, dass die Reformpläne bislang keinen Bezug auf die Frage nähmen, „wie innovative, digitale Angebote der Notfallversorgung in Deutschland“ umgesetzt werden könnten. Es seien aber dringend „gesetzliche Grundlagen“ zu schaffen, um Möglichkeiten der Digitalisierung in der Notfallversorgung „vollständig“ zu nutzen, heißt es in dem Papier weiter.

Dazu gehöre beispielsweise, dass Rettungsleitstellen per App parallel zur Alarmierung eines Notarztes medizinisch qualifizierte, freiwillige Ersthelfer benachrichtigten. Eine Verbreitung eines solchen Versorgungsangebotes werde indes dadurch erschwert, dass für eine Implementierung Investitionskosten erforderlich seien. Diese müssten nach der aktuellen Rechtssprechung von den Kommunen getragen werden.

Mobile Erstretter-App

Der Verein „Mobile Retter“ geht derweil davon aus, dass sich mit einer bundesweiten Etablierung des Ersthelfer-Angebots jährlich etwa 10.000 Menschenleben retten ließen. In mehr als 20 Landkreisen und Städten Deutschlands käme dieses bereits zum Einsatz. Nicolas Basse von der privaten Björn Steiger Stiftung, die sich ebenfalls für das Angebot einsetzt, sprach von einer „ehrenamtlichen Erfolgsgeschichte“. Allerdings erweise sich der „Weg zur zügigen Umsetzung als steinig“. Schwer zu durchschauende regionale Rahmenbedingungen seien ein Grund dafür. Basse mahnte eine rasche Umsetzung der Notfallreform an, um Strukturen des Rettungswesens zu vereinheitlichen.

Die Investitionskosten für die bundesweite Umsetzung bezifferte Basse auf zwischen 15 und 20 Millionen Euro pro Jahr. Bei den im Gesundheitsbereich ansonsten üblichen Aufwendungen sei dieser Betrag allerdings eine „wahrlich geringe Summe“. Basse stellte klar, dass die ehrenamtlichen Ersthelfer ein „ergänzendes“ Angebot leisteten, das die professionelle Notfallrettung aber stärken könne.

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