Pflegedienst der Nation

Pflegende Angehörige brauchen mehr Hilfe

Menschen, die ihre Angehörigen pflegen, benötigen sozialpolitische Hilfe, so eine aktuelle Studie. Gefragt ist insbesondere die Beratung und Begleitung durch die Kommunen.

Ilse SchlingensiepenVon Ilse Schlingensiepen Veröffentlicht:
Pflegende Männer – wie bei diesem alten Ehepaar – sind immer noch die Ausnahme.

Pflegende Männer – wie bei diesem alten Ehepaar – sind immer noch die Ausnahme.

© Felix Kästle / dpa

KÖLN. Pflegende Angehörige brauchen eine Vielzahl unterstützender Angebote, damit sie ihre wichtige Aufgabe bei der Versorgung von Pflegebedürftigen mit einem hohen Hilfebedarf dauerhaft wahrnehmen können. Hier ist vor allem die Sozialpolitik auf kommunaler, aber auch auf Bundes- und Landesebene gefragt.

Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie von sechs Wissenschaftlerinnen der Technischen Hochschule Köln, der Universität Duisburg-Essen und der Fachhochschule Bielefeld.

Grundlage der Untersuchung waren 20 leitfadengestützte Interviews mit pflegenden Angehörigen. Dabei handelte es sich um deutsche oder türkischstämmige Personen, die Eltern oder Schwiegereltern ab Pflegegrad drei oder mit Demenz in einem fortgeschrittenen Stadium rund um die Uhr oder für Stunden pflegen oder gepflegt haben.

Die Wissenschaftlerinnen richteten den Fokus dabei auf die Bedürfnisse und Probleme der Angehörigen im Pflegealltag.

Eigenständige Perspektive nötig

Pflegende Angehörige

Von den aktuell rund 2,9 Millionen Pflegebedürftigen wurden zuletzt 2,08 Millionen (73 Prozent) zu Hause versorgt.

1,38 Millionen Pflegebedürftige wurden dabei allein durch Angehörige versorgt, 692.000 zusammen mit ambulanten Pflegediensten.

16,2 Prozent der 40- bis 85- Jährigen in Deutschland unterstützen mindestens eine Person regelmäßig. Ein Drittel dieser Gruppe leistet Pflege im engeren Sinn. Am höchsten ist dabei die Unterstützungsquote bei den 60- bis 64-jährigen Frauen. Fast jede vierte Frau dieser Altersgruppe unterstützt eine andere Person aus Gesundheitsgründen.

„Wir fordern von den Kommunen eine aufsuchende, individuelle Beratung und Begleitung in allen Lebensphasen für pflegende Angehörige am besten aus einer Hand“, sagt Professorin Simone Leiber vom Institut für Soziale Arbeit und Sozialpolitik der Universität Duisburg-Essen, eine der Autorinnen der Studie „Sorgende Angehörige als Adressat_innen einer vorbeugenden Pflegepolitik“.

Unter dem Motto „Care for Carers“ fordern die Wissenschaftlerinnen eine eigenständige pflegepolitische Perspektive auf sorgende Angehörige. „Diese sollte neben den Interessen der Pflegebedürftigen auch den Erhalt der Gesundheit, der Existenzsicherung und der Lebensqualität von sorgenden Angehörigen in den Blick nehmen, sowohl im als auch im Anschluss an den Pflegeprozess“, heißt es in der Studie.

Die Forscherinnen hatten untersucht, welchen Einfluss der sozioökonomische Status, das Geschlecht, die Ethnizität und der Erwerbsstatus auf die Bewältigung der Pflegeaufgaben haben und fünf verschiedene Typen des Umgangs mit den Herausforderungen erarbeitet.

Dabei hat sich gezeigt, dass die einzelnen Strukturkomponenten zwar Einfluss auf die Bewältigung der häuslichen Pflege haben, aber nicht allein ausschlaggebend sind. Das gilt auch für den sozioökonomischen Status.

Selbstsorge zentrales Element

Als zentrales Element dafür, dass die Angehörigen die Pflege erfolgreich bewältigen, sehen die Wissenschaftlerinnen die Selbstsorge, also die Möglichkeit, sich ausreichend um die eigenen Belange zu kümmern. Aufgabe einer vorbeugenden Sozialpolitik sollte es laut der Studie deshalb sein, die „Selbstsorgeorientierung“ der Angehörigen zu fördern.

„Zentral erscheint dabei eine frühzeitige zugehende professionelle Pflegebegleitung aus einer Hand im Sinne eines Case-Managements, das sorgenden Angehörigen in allen Pflegephasen zur Seite steht.“

Für sinnvoll halten die Wissenschaftlerinnen die Finanzierung von Modellprojekten zum Case-Management in unterschiedlich geprägten Kommunen in der Stadt und auf dem Land.

Handlungsbedarf machen sie auch auf der Ebene der Betriebe aus: Über Anreize oder gesetzliche Verpflichtungen sollten verstärkt Maßnahmen zur besseren Vereinbarkeit von Pflege und Beruf auf den Weg gebracht werden, zudem müssten Arbeitnehmer besser über die bereits vorhandenen Möglichkeiten informiert werden.

Die Forscherinnen plädieren zudem für eine „rentenrechtliche Verbesserung für sorgende Angehörige“ und unterstützende Angebote für Familien, die die Versorgung der Pflegebedürftigen intern sicherstellen. Anderenfalls seien diese Angehörige auf lange Sicht insbesondere von Altersarmut bedroht.

Denn die Anrechnung von Angehörigenpflege auf die Rente liege in der Regel unterhalb der sonst alternativ erworbenen Rentenansprüchen.

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