Zinspolitik der EZB

Sinkende Rendite, steigende Kurse – wird Anleiheboom zur Falle?

Anleger drängen aus Sorge um die eingetrübte Entwicklung der Weltwirtschaft in Anleihen. Experten sehen den Trend mit Sorge. Denn Unternehmen verschulden sich zunehmend, weil sie sich immer günstiger Kapital leihen können.

Von Richard Haimann Veröffentlicht:
Schuldenfalle Niedrigzinsen für Unternehmen? Experten zeigen sich besorgt.

Schuldenfalle Niedrigzinsen für Unternehmen? Experten zeigen sich besorgt.

© Birgit Reitz-Hofmann/Panthermedia

NEU-ISENBURG. Weil die Weltwirtschaft durch die von US-Präsident Donald Trump geschürten Handelskonflikte immer mehr an Schwung verliert, wenden sich Anleger von Aktien ab und investieren stattdessen in Anleihen. Das drückt deren Zinsen.

Experten sehen dies kritisch, weil Konzerne die immer günstigeren Anleihen nutzen könnten, um sich höher zu verschulden. Die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) zum Beispiel warnt, in den USA sei das Volumen potenziell ausfallgefährdeter Kredite auf mehr als 3000 Milliarden Euro gestiegen. „Die niedrigen Zinsen begünstigen den Verschuldungsaufbau“, sagt BIZ-Generaldirektor Agustín Carstens.

Anleihen mit hohem Zufluss

Nach der Anlagestatistik des Indexfonds-Anbieters Amundi zogen private und Profiinvestoren von Anfang Januar bis Ende August per saldo 11,7 Milliarden Euro aus börsennotierten Indexfonds, sogenannten ETF (exchange-traded fund), ab, die in Aktien investieren. Dafür legten sie in diesem Zeitraum 33,4 Milliarden Euro in Indexfonds an, die in Unternehmens- und Staatsanleihen investieren.

„Anleihen sind wegen der fortgesetzten Suche der Anleger nach Rendite seit Jahresbeginn in Europa die ETF-Anlageklasse mit den höchsten Zuflüssen“, sagt Fannie Wurtz, Leiterin von Amundi ETF.

Für die Anleger, die früh in diesem Jahr in Anleihe-ETF investiert haben, hat sich das Engagement ausgezahlt. Einzelne ETF, wie der in langlaufende Staatsanleihen investierende iBoxx EUR Liquid Sovereign Diversified 25+ des Indexfondsanbieters Comstage, haben seit Anfang Januar um mehr als 30 Prozent zugelegt. Anleihen sind börsentäglich handelbare Schuldverschreibungen. Mit ihnen leihen sich Unternehmen und Regierungen Geld am Kapitalmarkt.

Zinsen bringen Rendite-Paradoxon

Die Anleger erhalten im Gegenzug jedes Jahr eine vorab festgelegte Zinszahlung über die gesamte Laufzeit hinweg. Das macht die Papiere zur bevorzugten Anlage in schwachen Wirtschaftsphasen. Denn Unternehmen kürzen dann ihre Dividenden, weil sie weniger verdienen.

Durch die fixierte Zinszahlung kommt es bei Anleihen zum sogenannten Rendite-Paradoxon: Steigt der Kurs einer Anleihe an der Börse, sinkt die von Käufern erzielbare Rendite.

Deutlich macht dies ein Rechenbeispiel: Beträgt bei der Emission einer Anleihe mit Anteilsscheinen im Wert von 10.000 Euro die fixierte jährliche Zinszahlung 200 Euro, erzielen die Anleger pro Papier eine Rendite von zwei Prozent. Steigt der Wert des Anteilsscheins auf 11.000 Euro, erhält dessen Käufer zwar weiterhin 200 Euro im Jahr. Gemessen am nun höheren Einstandspreis von 11.000 Euro beträgt seine Rendite jedoch nur noch 1,82 Prozent.

Anleihen werden in Anteile im Wert zwischen 10.000 und 50.000 Euro gestückelt. Die meisten Privatanleger investieren deshalb nicht in einzelne Schuldverschreibungen, sondern in Anleihe-Fonds. Diese bündeln das Kapital vieler Anleger und streuen es über zahlreiche, vom Fondsmanagement ausgewählte Anleihen.

Allerdings fallen bei diesen aktiv verwalteten Fonds jährliche Gebühren von bis zu 1,5 Prozent an. Hinzu kommen Ausgabeaufschläge von bis 3,5 Prozent, die beim Erwerb der Fondsanteile an die vermittelnden Banken fließen.

Anders ist dies bei Anleihe-ETF. Sie bilden passiv einen Index aus Staats- oder Unternehmensanleihen nach. Die jährlichen Gebühren betragen deshalb zum Teil nur 0,05 Prozent. Zudem entfallen die Ausgabeaufschläge, da ETF- Anteile ausschließlich über die Börse erworben werden.

Experten mit Sorgen

Seit Jahresbeginn haben private und Profiinvestoren verstärkt in Schuldverschreibungen investiert, weil sich die globale Konjunktur zunehmend eintrübt. Zusätzlich beflügelt wird der Drang in die Anleihen durch die jüngsten Zinssenkungen der US-Notenbank und die Ankündigung der Europäischen Zentralbank (EZB), von November an zur Ankurbelung der Wirtschaft wieder selbst jeden Monat Anleihen im Wert von 20 Milliarden Euro zu erwerben.

Dies hat dazu geführt, dass die Zinsrenditen der Anleihen immer weiter schrumpfen. Deutsche Staatsanleihen zehnjähriger Laufzeit weisen aktuell eine negative Rendite von minus 0,5 Prozent aus. Anleger zahlen Geld dafür, ihr Kapital dem Staat leihen zu dürfen.

Nicht nur viele Anlageexperten sehen diese Entwicklung mit Sorge. Sollten die Zinsen bei Anleihen irgendwann einmal wieder steigen, könnten manche Unternehmen Probleme bekommen, ihre nun zu Mini-Zinsen begebenen Schuldverschreibungen zu refinanzieren, sagt Manfred Rath, Portfoliomanager bei der KSK Vermögensverwaltung in Nürnberg.

Anleger, die auf Anleihen setzen, müssten deshalb auf die EZB vertrauen. „Würde die Europäische Zentralbank die Renditen nicht künstlich niedrig halten“, sagt Rath, „müssten Unternehmen erheblich höhere Zinsen bieten“, um Käufer für ihre Anleihen zu finden.

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