Drei Tesla

Acht Tonnen Scanner in der Arztpraxis

Eine Bremer Radiologenteam nutzt schweres Gerät - einen simultan arbeitenden molekularen Ganzkörper MRT. Solche Technik findet sich sonst nur an wenigen großen Unikliniken in Deutschland.

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Der Radiologe Markus Lentschig ist vom Patientennutzen überzeugt muss bei Zuweisern aber noch dicke Bretter bohren.

Der Radiologe Markus Lentschig ist vom Patientennutzen überzeugt muss bei Zuweisern aber noch dicke Bretter bohren.

© Christian Beneker

Christian Benecker

BREMEN. Radiologe Dr. Markus Lentschig aus Bremen ist von seiner großen Entscheidung überzeugt. Zusammen mit seiner Kollegin Professor Christiane Franzius und seiner Ehefrau Dr. Ursula Rausch-Lentschig hat er 2008 Millionenbeträge auf den Tisch gelegt und den "Siemens Biograph mMR 3T" gekauft.

Dabei handelt es sich um den ersten simultan arbeitenden molekularen Ganzkörper MRT, der MRT und PET in einem Scanner vereinigt.

"Vor allem bei Tumorpatienten haben Aufnahmen aus unserem Gerät das Therapie-Management der Patienten komplett zu ihrem Nutzen geändert", erklärt Lentschig den besonderen Nutzen des Gerätes.

Aber viele Zuweiser zögern noch, ihre Patienten zu Lentschig und seinen Kollegen zu schicken.

Nobel und entspannt geht es zu in der im zweiten Stock eines Ärztehauses gelegenen Praxis an der Bremer Heerstraße. Eine Glaswand trennt das große Wartezimmer samt supermoderner Möbel von der Geschäftigkeit der vierspurigen Straße vor der Tür.

Große Flachbildschirme zeigen Unterhaltsames. Übervolle Wartezimmer, wie in vielen Hausarztpraxen, sind hier fremd. "Wir behandeln zwei bis sechs Patienten am Tag", erklärt Lentschig.

"Zentrum für moderne Diagnostik" (ZEMODI), haben die Ärzte ihre Praxis getauft. Im Rahmen einer überörtlichen radiologisch-nuklearmedizinischen Gemeinschafspraxis arbeiten die drei ZEMODI-Ärzte zusammen mit vier weiteren Bremer Praxen und insgesamt zehn Kolleginnen und Kollegen.

Strom fließt durch armdicke Kabel

Das acht Tonnen schwere Gerät steht in einem eigens geschützten Raum: Übermannshoch mit einer Röhre von einem Innendurchmesser von großzügigen 70 Zentimetern, die - so die Betreiber - adipösen und klaustrophobischen Menschen die Untersuchung erleichtert.

Als die Praxis gebaut wurde, haben die Ärzte ihr Stockwerk eigens für den Scanner verstärken lassen. Der Energiehunger der Maschine ist gewaltig. Durch zwei armdicke Kabel zieht sie stündlich so viel Strom, wie ein Vier-Personen-Haushalt an einem halben Tag verbraucht.

Ähnliche Geräte stehen in Deutschland nur noch in den Unikliniken in München, Tübingen, Leipzig und Essen. Der weiße Riese in Bremen ist der Einzige, der ausschließlich der Untersuchung von Patienten mit klinischen Fragestellungen dient.

Wer den Untersuchungsraum betritt, sollte Schlüssel, Münzen, Gürtel oder Taschenmesser abgelegt haben. Denn ist der "mMR 3T" erst von der Leine, erzeugt er ein Magnetfeld von drei "Tesla".

Damit ist das Bremer Gerät 60.000 bis 100.000 Mal stärker als das Magnetfeld der Erde. Es beträgt in Europa etwa 0,000048 und am Äquator gerade mal noch 0,00003 Tesla. Gegenüber anderen MRT ist die Bremer Maschine aber noch bescheiden. Forschungs-MRTs bringen es auf bis zu sieben Tesla.

Untersuchung noch nicht in den Leitlinien

95 Prozent der Patienten sind Tumorpatienten. "Aber wir untersuchen Patienten zum Beispiel mit Demenz oder unklaren Entzündungen." Rund die Hälfte der Patientinnen und Patienten kommen auf Überweisung.

"Wir haben mehr erwartet. Die Kollegen sind noch zurückhalten", sagt Lentschig. "Sie sagen, was nicht in den Leitlinien steht, das machen wir nicht." Mit regelmäßig Fünf Patienten am Tag wäre alle Ärzte im ZEMODI beruhigter.

Tatsächlich stehe eine PET-Untersuchung nur beim Lungenkarzinom in der Leitlinie. "Aber unsere Technik ist neu!", argumentiert der Radiologe. "Weil neue Leitlinien einige Jahre brauchen, kann unsere Untersuchung noch gar nicht in den Leitlinien stehen."

Viel für den Patienten und den Kassengeldbeutel überflüssige Therapie könnte vermieden werden. Bei einem Patienten mit Prostatakrebs konnten die Bremer Radiologen zeigen, dass der PSA-Wert von "6" nach der OP auf Metastasen in den Lymphdrüsen zurückzuführen war.

"Hätte man vor der OP untersucht, hätte man die Therapie optimieren können", sagt Lentschig.

Bevor ZEMODI an den Start ging hatte man mit den Kassen eine Vereinbarung über 300 Patienten im Jahr getroffen, berichtet Lentschig. "Und natürlich haben wir den Markt sondiert."

Um die Zuweisungen anzukurbeln, setzten Lentschig und seine beiden Kolleginnen auf Vorträge und Einzelgespräche - mit noch mäßigem Erfolg.

"Auf einer Fortbildung für Allgemeinmediziner war zum Beispiel das Interesse außerordentlich gering." Lentschig und seine beiden Kolleginnen müssen also dicke Bretter bohren.

Allerdings: Die anderthalbstündigen Untersuchungen in der Bremer Praxis sind teuer. Allein die radioaktive Substanz, die den Patienten vor dem Scan gespritzt wird, kann bis zu 1500 Euro kosten.

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