Überstunden

Wann muss der Praxischef zahlen?

Mehrarbeit in Praxis und Klinik ist keine Seltenheit. Doch sind Mitarbeiter überhaupt verpflichtet, sie zu leisten? Und muss der Arbeitgeber sie auch immer zahlen?

Von Heike Jablonsky Veröffentlicht:
Jeden Tag ein paar Überstunden: Tarifverträge zum Ausgleich sind für Arbeitgeber bindend.

Jeden Tag ein paar Überstunden: Tarifverträge zum Ausgleich sind für Arbeitgeber bindend.

© Oliver Berg / dpa

CELLE. In Praxis und Klinik sind Überstunden nicht selten. Ihre Erbringung wird arbeitgeberseits erwartet, während die Mitarbeiter eine Vergütung voraussetzen.

Dennoch sind Arbeitnehmer nur verpflichtet, Überstunden zu leisten, wenn dies im Arbeitsvertrag ausdrücklichsteht oder sich aus einer Betriebsvereinbarung oder einem Tarifvertrag ergibt.

Zudem ist Mehrarbeit nur in besonderen Situationen wie Notfällen zu erbringen. Einschlägige Regelungen über die Vergütung von Überstunden finden sich in Tarifverträgen, etwa im Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst, der in der Regel einen Ausgleich durch Arbeitsbefreiung vorsieht.

In Individualarbeitsverträgen fehlen häufig entsprechende Regelungen, oder sie sind rechtlich nicht haltbar, weil sie gegen das Transparenzverbot verstoßen.

Dieses erfordert, dass Vertragsbedingungen klar und verständlich formuliert sind und das Bestimmtheitsgebot eingehalten wird.

So verstößt beispielsweiseeine Klausel, die Überstunden anordnet und dafür eine pauschale Vergütung als Äquivalent regelt, gegen das Transparenzverbot. Denn daraus ergibt sich nicht, welche Arbeitsleistung in welchem zeitlichen Umfang davon erfasst ist.

Vereinbarung für Zuschläge nötig

Ein allgemeiner Rechtsgrundsatz, wonach jede Mehrarbeit zu vergüten ist, besteht nicht. Die Vergütungserwartung ist vielmehr anhand eines objektiven Maßstabes festzustellen, wobei Verkehrssitte, Art, Umfang und Dauer der Tätigkeit sowie vergleichbare Regelungen in Tarifverträgen heranzuziehen sind.

Rechtsgrundlage ist Paragraf 612 Bürgerliches Gesetzbuch: Eine Vergütung gilt als stillschweigend vereinbart, wenn die Dienstleistung den Umständen nach nur gegen eine Vergütung zu erwarten ist.

Das heißt, im Einzelfall muss der Praxisinhaber für geringfügige Mehrarbeit kein Entgelt zahlen. Zuschläge für Überstunden bedürfen in der Regel einer gesonderten Vereinbarung.

Eine gesonderte Vergütung für Mehrarbeit - sofern nicht arbeitsvertraglich vereinbart - entfällt, wenn Dienste höherer Art geschuldet sind oder der Arbeitgeber insgesamteine deutlich herausgehobene Vergütung zahlt. Dies könnte für angestellte Ärzte zutreffen.

Maßstab für eine herausgehobene Vergütung ist die Beitragsbemessungsgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung. Diese liegt derzeit bei 4800 Euro für Ostdeutschland und bei 5600 Euro für den Westen.

Vergütung nicht per se für Besserverdiener

Verdient der Mitarbeiter mehr und ergibt sich aus den einzelvertraglichen Regelungen oder aus dem Tarifvertrag keine Entlohnung für Mehrarbeit, so muss der Arbeitgeber in der Regel die Überstunden auch nicht vergüten.

Das Bundesarbeitsgericht begründet dies damit, dass diejenigen, die ein Einkommen oberhalb der Beitragsbemessungsgrenze erzielen, zu den Besserverdienern gehören.

Sie würden danach beurteilt, ob sie ihre Aufgaben und nicht nur ihr Stundensoll erfüllten. Eine Vergütungserwartung besteht dann nach Ansicht des Bundesarbeitsgerichtes nicht.

Verdienen Mitarbeiter weniger als die Beitragsbemessungsgrenze und sollen Überstunden entweder gar nicht oder pauschal abgegolten werden, ist auf die Formulierung der Klauseln zu achten.

So sollten nur Klauseln vereinbart werden, die den Umfang der pauschal abzugeltenden Überstunden klar definieren und sich dabei an den Grenzen des Arbeitszeitgesetzes orientieren.

Entsprechen Vereinbarungen diesen Voraussetzungen nicht, sind sie in der Regel unwirksam. Als Konsequenz haben Mitarbeiter einen Anspruch auf Vergütung von der ersten Überstunde an.

Zur Person: Heike Jablonsky ist Fachanwältin für Arbeits- und Medizinrecht in Celle, www.ra-jablonsky.de

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